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FERNANDO SÁNCHEZ CASTILLO: TLATELOLCO … WINTER GAMES

 

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Der Kunstraum  Innsbruck  präsentiert unter dem Titel Tlatelolco … Winter Games den spanischen Künstler Fernando Sánchez Castillo eine Arbeit die die Niederschlagung des Aufstandes von Studenten anlässlich der Olympischen Sommerspiele 1968 in Mexiko City zu Thema hat.  Angeregt durch die politischen Aufstände und Revolten in Europa, vor allem in Frankreich und Deutschland, aber auch der Anti-Vietnam-Kriegsbewegung und nicht zuletzt auch der Revolte in Kuba hatten sich auch in Mexiko Initiativen gebildet, die den politischen Stillstand in diesem Land, wo zwar keine Militärdiktatur herrschte wie etwa in Brasilien oder in vielen anderen südamerikanischen Staaten, aber sich doch auch viele soziale Ungerechtigkeiten eingeschlichen hatten.  So herrschte in Mexiko die Partei der Institutionalisierten Revolution – was ja eigentlich ans ich schon im Namen ein Widerspruch scheint – die zwar zu Beginn ihrer Herrschaft viele sozialpolitisch wirksame Maßnahmen gesetzt hatte wie etwa die Verstaatlichung der Erdölgewinnung, mit der Zeit allerdings, durch ihr ständiges Verbleiben an der Macht und dem Fehlen einer politisch wirksamen Opposition zu einer selbstherrlichen Machtelite verkommen war. So löste sich die Regierung von der Politik der Autonomie, ermöglichte ausländische Investitionen, machte Landreformen rückgängig und verhinderte auch Streiks. Wobei auch dazugesagt werden muss, dass es in Mexiko in dieser Zeit auch einen Aufschwung gegeben hat, die Wirtschaft wurde diversifiziert, es bildete sich ein Mittelstand heraus  und Mexiko entwickelte sich von einem Agrarstaat langsam zu einem Schwellenland

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Dennoch blieb die Armut in Mexiko noch ziemlich groß und die Austragung der Olympischen Sommerspiele 1968 war daher von vielen als Provokation empfunden worden. Daher bildeten  sich 1968 größere studentische Gruppen heraus, die für politische Veränderungen im Mexiko der ausgehenden sechziger Jahre sorgen wollten. Am 2. Oktober 1968 kam es dann zu dem in die Geschichte Mexikos eingegangen Massaker von Tlatelolco – einem Stadtteil von Mexiko City, bei dem das Militär und Sicherheitskräfte  auf eine Menge von friedlich protestierenden Student/innen schossen, unterstützt von auf Dächern positionierten Scharfschützen. Dieses Massaker war – wie man inzwischen weiß – von langer Hand vorbereitet, es waren höchste politische Kreise darin involviert, und erst in den späten neunziger Jahren konnten die Hintergründe dieses Verbrechens aufgedeckt werden.

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Castillos Installation nähert sich dem Thema nun auf eine sehr abstrakte Weise. So etwa in dem Video im Hauptraum der Galerie, das den Flug einer Drohne über Tlatelolco zeigt, dem Ort, wo das Massaker stattgefunden hatte. Dabei wird in einer Art  Reenactment mit Leuchtfackeln und Pyrotechnik das Massaker nachgestellt. Eine Vorgehensweise, die sich mir nicht ganz erschlossen hat und meiner Meinung nach auch der Tragik dieses Geschehens nicht gerecht wird. Vielleicht nicht zuletzt dadurch, weil wir – gerade in diesen Tagen – bei dieser Art von Geschichtsillustration eher an Silvesterfeuerwerke denken als an kriegerische Handlungen.

Mehr beeindruckt hat mich da die Figur des Tank Man, das Sinnbild für den unbekannten Kämpfer oder Rebellen, angelehnt an das berühmte und durch alle Medien gegangene Bild des unbekannten Studenten, der sich beim Massaker auf dem Tian’anmen-Platz in Peking vor einen Panzer gestellt hatte. Der Künstler hat diese Figur als Symbol für den unbekannten Kämpfer, dessen Identität wohl auch nie bekannt werden wird,  ausgewählt und sie an die Stirnwand des Ausstellungsraumes gestellt, wo  sie eine ironisch ästhetische Wirkung entfaltet, dabei die vielerorts noch immer praktizierte Heldenverehrung persiflierend.

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Auf einem im Ausstellungsraum ausgelegten Teppich ist die Demonstrationsroute der Student/innen nachgezeichnet, die man so abgehen kann. Die Schusswinkel und Standorte der Scharfschützen sind eingezeichnet und  man kann so das Geschehen, begleitet von den Geschossgarben aus den Lautsprechern, nachvollziehen.

Im kleinen Raum sind noch diverse Materialien wie Dokumente, Filme  und Bilder über das Geschehen rund um dieses Ereignis zu sehen, das hierzulande noch immer zu wenig bekannt ist oder von vielen vielleicht aufgrund der langen Zeitspanne die seither vergangen ist,  auch schon wieder vergessen worden ist.  So kann die Schau im Kunstraum vielleicht auch ein wenig Erinnerungsarbeit über ein Land leisten, das auch jetzt nicht zur Ruhe gekommen ist und immer wieder  für Schlagzeilen sorgt.

Und wer jetzt noch wissen will, warum die Ausstellung „Wintergames“ heißt, da 1968 in Mexiko ja die Sommerolympiade stattfand, so ist dieser Titel als Reverenz des Künstlers an den Ausstellungsort Innsbruck gedacht, in dem ja zweimal Olympische Winterspiele stattfanden, und vor einigen Jahren an der hiesigen Universität die Asche von ebenfalls bei einem Massaker ums Leben gekommenen Student/innen zur DNA-Analyse gebracht worden war, um deren Identität feststellen zu können. Und was man vielleicht auch noch wissen sollte. Mexiko war das einzige Land im Völkerbund, dass 1938 gegen den Anschluss Österreichs an das nationalsozialistische Deutschland gestimmt hatte. Weshalb es in Wien auch einen  Mexikoplatz gibt.

Noch bis 28. Jänner 2017

Videocredits:  Studio Fernando Sánchez Castillo, with the collaboration of Sala Arte Público and Centro Cultural Universitario Tlatelolco – Memorial

Fotos : Verena Nagl

Helmut Schiestl

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