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Relikte – Arbeitserziehungslager Reichenau

Viele können es nicht mehr hören, viele wollen es nicht mehr sehen, viele glauben die Mahner wären ewig gestrige und wieder andere tragen ihre Unwissenheit und tierische Existenz so offen zur Schau, dass ich mich beinah genötigt fühle diesen Artikel zu veröffentlichen, um mich wieder unter die Mahner zu mischen. Anlassfall ist eine heftig geführte Facebook Diskussion deren Thematik ein Artikel der Tiroler Tageszeitung vom 27.03.2014 war. Aufgrund einer Gewalttat, die natürlich geahndet werden muss, forderten Mitbürger tatsächlich aber ganz unverhohlen wieder kollektive „Vergasungen“.

Die Reichenau

Die Reichenau ist ein relativ junger Stadtteil, der erst in der Nachkriegszeit entstand und mitunter als Sinnbild für die ersten Gehversuche von großflächigem zivilem und sozialem Wohnbau in Innsbruck zu verstehen ist. Auf den ehemals landwirtschaftlich genutzten Flächen des „Gutshofes Reychenau“, der entscheidend zur Nahrungsmittelversorgung des Innsbrucker Bürgertums beitrug, entstanden erste „Wohnblöcke“ für die durch die Kriegswirren verarmten und Existenzlosen Arbeiter, Soldaten, aber auch Bauern und Andere (z.b. Südtiroler…). Die legendäre „Bocksiedlung“ zählt ebenfalls zu ihren Ursprüngen (Eine Barackensiedlung). An der Grenze zur heute genannten „Rossau“ bzw. am Gelände des heutigen Recylinghofes Rossau stand das von der GESTAPO betriebene „Arbeitserziehungslager Reichenau“.

In der Diktion der damaligen Zeit war der Unterschied zu einem „KZ“ darin begründet, dass solche Lager nicht in erster Linie der Vernichtung , sondern zur „Disziplinierung und Herstellung der Arbeitsfähigkeit“ galten – Im Klartext bedeutete dies meist tödliche Zwangsarbeit.

Zahlen und Fakten sind nur spärlich dokumentiert ebenso sind zuverlässige Quellen Mangelware. In grausamer Relation zu den anderen Unglaublichkeiten dieser Zeit dürfte es sich um ein „kleines“ Lager gehandelt haben („nur“ ca. 200 -800 Tote) und eignet sich dadurch hervorragend für einen kollektiven Verdrängungsprozess.

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Jetzt wird’s wirklich Hart

Ich begebe mich nun auf dünnes Eis, da weitere Recherchen notwendig wären und Spekulation nicht die Mutter und Vater des Wissens sind:

Begeht man das Gelände etwas großräumiger oder betrachtet es aus der Luft stößt mann/frau in der Parallelstraße, der „Trientlgasse“, auf ein Umspannwerk und einen eigentümlichen Komplex der an den Charme von Kasernenbauten der 30/40er Jahre erinnert. Das größte Gebäude am Gelände Richtung Langer Weg ist noch am ehesten dokumentiert und diente als Landwirtschaftliche Schule die später nach Rotholz verlegt wurde. Am hinteren Teil stehen scheinbar ausrangierte od. Reparaturbedürftige Fahrzeuge der Exekutive und es gibt wage Hinweise, dass dieses Gelände dem Innenministerium gehören könnte. Die Garagenartige Anlage täuscht allerdings nicht darüber hinweg, dass sich hier ehemals auch etwas „militärisches“ abgespielt haben muss.

Die These lautet, dass das ehemalige Lager gar nicht zur Gänze abgerissen wurde und die Nachkriegsnutzung der Allierten als Zentrum für „displaced persons“ weitergeführt wird/wurde. Die ehemals landwirtschaftliche Schule dient heute als „Flüchtlingsheim Reichenau“ – Klingelts ?

DSC_1162DSC_1176DSC_1167reichenau Bezugspunkt ist mitunter diese Karte, die das abgerissene Hauptlager zeigt, aber klar ersichtlich wird dass die Gebäude auf diesem Gelände standen – Auch die „Wärter“ brauchten Unterkünfte – allerdings macht die Bauweise stutzig (Fuhrpark?)

Ich möchte darauf hinweisen, dass dieser Artikel keinerlei Botschaft oder Statement verfolgt und gewisse Assoziationen auch rein zufällig sein können. Die dunklen Zeiten sind vorbei und es ist im Heute davon auszugehen, dass viele Handelnde vom besten Wissen und Gewissen geleitet werden. Es geht um Symboliken und historisches Interesse.

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Es ist das Individuum – es ist der Mensch – jeder Einzelne der täglich sein Gewissen prüfen muss um diese, unsere, einzige Welt zu einem unvergleichlichem Ort zu machen. Nicht umsonst ist das Mahnmal Reichenau Ausgangs- oder auch Endpunkt eines christlichen Besinnungsweges, der uns wieder mal erinnert – „Lernt der Mensch aus der Geschichte? – Gott ist an diesem Ort und ich wusste es nicht“.

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http://de.wikipedia.org/wiki/Lager_Reichenau

http://tirol.orf.at/news/stories/2578893/     (Link ist von 2013 – enthält aber Bildmaterial und weitere Dokumentationen bzw. kann den Interessierten weiterführen) – Obige Karte ist aus einem Kurzfilmchen dieser Seite mittels Screenshot „gestohlen“ – Mann/Frau möge mir diese Copyright od. anderwertige Verletzungen verzeihen.

P.S: Weitere Fakten zu diesem Gelände – Kaserne – sind äußerst willkommen um an einer eventuellen weiteren „Verewigung“ im Netz zu „arbeiten“.

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Martin Kapferer

24 Comments

  1. Ich finde die Serie super! Es ist wichtig bei allen schönen Seiten auch auf die weniger erfreulichen Orte nicht zu vergessen. Innsbruck ist eben viel mehr als Goldenes Dachl und Sprungschanze.

  2. Frage: Einige Widerstandskämpfer wie Dr. Grünewald, der so viel ich weiß, zum Tode verurteilt war, saßen im Lager Reichenau und konnten im Mai 1945 bevor die US-Army in Innsbruck einmarschierte die Stadt von den Nazis befreien.
    Da müsste es doch Unterlagen geben.
    Es wäre interessant zu wissen, wie die Befreiung Innsbrucks und des KZ-Lagers Reichenu ablief.

    • Hallo Heidi

      …Der Artikel erhebt keine akademischen Ansprüche – ebenso sind mir die Leistungen des Instituts für ZG bzw. Dr. Schreiber/Albrich/Steininger usw. zu diesem Thema bekannt…Bloggen ist leider immer auch „Verkürzung“ – Intention ist mitunter auch die schnelllebige „Smartphone/Facebook Generation“ bzw. Menschen die sich NICHT akademisch od. wissenschaftlich mit diesem Thema befassen zu erreichen und durch aktuelle Fotos usw. dem Ganzen ein wenig die „Verstaubheit“ zu nehmen. Ich gehe immer davon aus, dass Interessierte sich dann irgendwann ihre Quellen selbst suchen und solche Beiträge max. ein Anstoß sein können sich mit Thematiken zu befassen…Danke fürs lesen und wahrgenommen werden! 😉

      • Hallo Heidi (nochmal) 😉

        …habe das .pdf Skript nun gelesen (besonders Schluß) und möchte auf meine These nochmal verweisen – Wurde das Lager wirklich zur Gänze abgerissen? …Vllt. ist dieser Beitrag gar nicht so profan, wie inszeniert?…Die Archive sind Ihre – die Fotos aktuell…..und Ja, ich mag Indiana Jones 😉

        • Hallo Martin! Schon klar, dass ein blog post nicht alles behandeln will/soll/muss! Und dein Artikel passt doch super! Versteh also den Hinweis auf weiteres Material einfach als konstruktiven Beitrag und für all jene, die sich weiter damit beschäftigen wollen und als Zeichen der Unterstützung.

          • Hallo Walta – ich verstehe es natürlich auch so und bin sehr froh über die Resonanz und weiterführenden Links – möchte mich nur ein wenig gegen die Haltung stemmen „Wir haben eh schon alles erforscht und beschränken uns auf die Zitation von sekundär und tertiär Quellen usw.“….vllt. folgst noch zum Kommentar von Uwe!

  3. „eine heftig geführte Facebook Diskussion“
    „ein Artikel der Tiroler Tageszeitung“
    „Aufgrund einer Gewalttat“, „die natürlich geahndet werden muss“

    Wow.
    Auch bei euch Linken müssen Gewalttaten geahndet werden?
    Und damit ihr eure Idole aus der Anzizeit wieder aufkochen könnt, genügt jetzt auch

    „eine heftig geführte Facebook Diskussion“
    „ein Artikel der Tiroler Tageszeitung“

    Pfui Teufel zu solchen „Demokraten“ und selbsternannten Mahnern.

    • Sehr geehrter Hr. Joseph

      …Sollten sie die Serie verfolgen, haben sie evt. festgestellt, dass es sich meist um Bauwerke usw. handelt die in/um Innsbruck zu finden sind und von den Menschen nicht mehr wahrgenommen werden.
      Wie Sie nach Lesen diesen Artikels zum Schluß kommen ich wäre ein „Linker“ od. „Rechter“ ist alleinig Ihre Sache – Sollten sie Schuldzuweisungen, politische Parolen od. „Anzi“ Sprüche, oder Anspielungen auf Demokratie oder ähnliches entnehmen, empfehle ich dringend Psychotherapie…

      Die Einleitung mag wissenschaftlichen Standards nicht genügen und es wird lediglich die „Inspirationsquelle“ genannt – Viel zu oft verwenden Menschen Wörter und Begriffe deren Tragweite ihnen scheinbar nicht bewusst ist – in diesem Fall war es „Vergasen“…

      Und weil sie den „Teufel“ abschließend nannten – haben sie den Artikel wirklich zu Ende gelesen ? – dann sollten sie sich der Frage stellen: Ist „Gott“ ein Linker od. Rechter oder nichts davon?

      Zum Abschluß möchte ich mich bedanken für ihren Kommentar der diesen Artikel mehr als legitimiert hat…

  4. Ich wohnte in Stuttgart /Leonberg seinerzeit in den ehem. Wohnbereichen niederländischer Jüdinnen und ihrer Kinder eines nahen Arbeitslagers innert meinen Ausbildungsausseneinsätzen zur Krankenpflege.
    In meinem dritten Ausbildungsjahr wurde an unserem Wohnkomplex die Erinnerungsgedenkplatte enthuellt, die das ungenehme Gefühl die ganzen Jahre über verklärte.. (Ich wohnte dort etwa alle 6 Monate fuer 6 bis 8 Wochen)
    Der Arbeitseinsatz des Lagers umfasste etwa in zwei ehem. Autobahntunneln den Bau von Flugzeugen. Der Lärm seinerzeit muss dort ohrenbetäubend, dauerhaft lähmend incl. zwangsläufig irreparabler Gehörgangsschäden gewesen sein, wenn sie es denn überhaupt überlebten. Presslufthammereinsatz zwecks Einsatz von Nieten.
    Vor dem Tunnel posiert eine riesige Kupferplatte, in die die Opfernamen ausgestanzt waren.
    Vor dem Dauerverschluss der Röhre suchte ich das Innere einst auf, um weit im Innern die Kupferbuchstaben deponiert gelagert zu finden. Wie zynisch, an dem Ort des Opfertums deren Namen zerlegt in ausgestanzte Buchstaben, wild zusammengeworfen, der erwünschten Zerstoerung seitens der Nationalsozialisten so entsprechend, jeglicher Identität zu berauben. So jedenfalls meine Empfindung..

      • Hallo Josef

        Danke fürs lesen und deinen Kommentar…vllt. sollte der Link einfach so stehen bleiben wie er ist – Zu den Zerstörungen kann ich nur nochmal auf die Bronzeplatte verweisen „Lernt der Mensch aus der Geschichte?“ (Dies gilt für alle – egal welches „politisches“ oder wirtschaftliches Bekenntnis abgelegt wurde)….

  5. Bei Schreiber steht, dass es sich um 18 Holzbaracken gehandelt hat. Die können das also nicht sein. Wohl aber, ebenfalls laut Schreiber, gab’s daneben ein Lager der Deutschen Reichsbahn. Dazu würden Garagen wohl eher passen…

    • Hallo Uwe – das ist eine Erklärung und kann stimmig sein nur was bedeutet „Lager“? – hier ein Auszug aus der Homepage: „An das „Arbeitserziehungslager“ Reichenau grenzten noch zwei weitere Lager, über die noch sehr wenig in Erfahrung gebracht werden konnte: ein Lager der Deutschen Wehrmacht für Kriegsgefangene mit bis zu 500 Personen sowie ein Lager der Deutschen Reichsbahn mit einer Aufnahmekapazität von rund 200 Menschen…“ ….Zwirbelt der Kopf? – vllt. ist verdrängen manchmal besser?…Danke fürs mitlesen.

  6. die links und weiterführenden infos machen diesen (eh schon) spitzenbeitrag so richtig wertvoll und inetressant! danke an alle!

  7. Hallo,
    Ich wollte nur anmerken dass die vermeintlichen Gebäude (Flüchtlingslager) erst am anfang – mitte der 50er Jahre gebaut wurden und damals als Werkstatt und Garage für die Tiroler Landesregierung im einsatz waren und dass das Grundstück anfang der 60er Jahren für den Bau der Autobahn erweitert wurde und heute der Landesbauhof Valiergasse 1 ist.
    Es ist auch der „Bezugspunkt“ Geographisch gesehen ein Falscher, da diese Gebaüde neben dem Langen Weg sind bzw. waren…

  8. Johannes Breit, Das Gestapo-Lager Innsbruck-Reichenau.
    Geschichte. Aufarbeitung.Erinnerung, Innsbruck (Tyrolia) 2017
    gibt einen sehr guten Einblick in dieses so überaus tragische Thema.
    Johannes Breit ist Historiker (meines Wissens nach der Enkel des Tiroler Komponisten und Featureproduzenten Bert Breit), dokumentierte und recherchierte so eingehend (interviewte auch Zeitzeugen), dass sein längst fälliger Beitrag als die erste umfassende Abhandlung zum besagten Lager Reichenau gilt. Der zudem von Johannes Breit u. a. 2008 produzierte Film
    „Es ist besser, nicht zu viel um sich zu schauen. Das Arbeitserziehungslager Innsbruck-Reichenau 1941 – 1945“
    war vor ziemlich einiger Zeit meiner Erinnerung nach beim Leokino als DVD käuflich zu erwerben. Ob das immer noch so ist, weiß ich nicht, und ist daher nur dort vor Ort in Erfahrung zu bringen.
    Das Interesse und die Betroffenheit der hier das Thema Kommentierenden finde ich jedenfalls sehr erfreulich!

  9. Beschämend für die Stadt Innsbruck finde ich nur, dass das vor Jahren fast versteckt aufgestellte steinerne Denkmal für die Opfer des Reichenauer Gestapo-Lagers in der Rossaugasse nicht in Augenhöhe, sondern so niedrig – am Boden – angebracht worden ist und überdies mit nur noch schwer lesbarer Schrift. Auch der Inhalt ist nicht korrekt: Es wäre wohl traurig und empörend, wenn Opfer von politischer, rassistischer u. a. Gewalt und des mit ihr verbundenen Menschenquälertums nur dann ein Anrecht auf Entschuldigung und ein Trauer- und Mahnmal hätten, wenn sie, wie hier (doch nur bei einigen zutreffend) behauptet, bloß für ihre (engere) „Heimat“ gelitten hätten. – Ließe sich dieser antiquierte Denkmal-Zustand nicht doch noch einmal verbessern? Beschämend ist doch nicht das Denkmal, sondern die Taten, die es beklagt. Da geht es schließlich nicht darum, aus welchem Eck die Untaten kamen, oder um die Sorge, dass ein Erinnerungsmonument „übertrieben“ ausfallen könnte! – Hier ist die Stadt Innsbruck nochmals gefragt!

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