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Music and the city (Vol. 49): Patricia Kopatchinskaja (Osterfestival 06.04.)

Vielleicht muss ich diese Konzertbesprechnung mit einer kleinen Entschuldigung beginnen. Am besten sollte ich gleich sagen, dass ich über das Konzert gar nicht so viel sagen werde, außer: es war grandios und eine Offenbarung. Das ist unter Umständen nicht sehr differenziert, nicht sehr fachmännisch ausgedrückt, spiegelt aber meine aufrichtige Begeisterung wider. Und zeigt an, dass gestern bei der musikalischen Begegnung mit der Violinistin Patricia Kopatchinskaja etwas passiert ist, das mir nicht alle Tage passiert. Ja, ich bin ich restlos begeistert und fasziniert. Fasziniert von ihrem Spiel, von ihrem Ton, von ihrer Präsenz, von ihrer Person.

Dabei hätte ich es ahnen müssen. Das Magazin „Strings“ hat sie erst kürzlich als „the most exciting violinist in the world“ bezeichnet. Was ja schon mal nicht nichts ist. Aber mir, als Skeptiker in Sachen Superlative, eher wenig bedeutet hat. Interessanter war da schon eine Formulierung der Autorin des Textes: „For Patricia Kopatchinskaja, performances are a spontaneous experience, so don´t expect the same thing twice“, oder auch: „Kopatchinskaja believes that all music should be treated as a living, breathing art form – and not something in a museum.“

Die Violinistin Patricia Kopatchinskaja (Foto: Marco Borggreve)

Die Violinistin Patricia Kopatchinskaja (Foto: Marco Borggreve)

„Kunst muss beleben, muss schockieren, alle Sinne auffrischen“, lässt sie mit wachem Blick und gestikulierend in einem Interview wissen. Sie betritt die Bühne stets barfuß. So auch gestern. Vermutlich um „präsenter“ zu sein, den Boden unter ihren Füßen zu spüren, ganz im Jetzt zu sein. Aus diesem Jetzt heraus interpretiert sie die Stücke und Werke. Mit einer Vorliebe für zeitgenössische KomponistInnen, aber auch in der „alten Musik“ verwurzelt. Alles wird ihr zum Material, zur Vorlage, die es zu beleben gilt. Erstaunlich, aber letztlich die Konsequenz aus ihrem Ansatz: Nicht „nur“ die grandiosen Werke der gestern beim Osterfestival Tirol auf dem Programm stehenden Galina Ustvolskaya werden somit ins Jetzt geholt und lebendig gemacht, dieses Empfinden der Lebendigkeit und der Fokussierung auf den Augenblick überträgt sich auch auf die ZuhörerInnen. „Die Menschen werden toter, mit jedem Tag werden wir toter. Und die Menschen sind damit auch einverstanden“, merkt sie in einem Gespräch an.


„Die Menschen werden immer toter“…

Es ist in jedem Ton spürbar und hörbar, dass sie damit nicht einverstanden ist und sich auflehnt. In ihrem Spiel, dieser Ansammlung von Augenblicken und Lebendigkeit, die  zu einem großen Ganzen werden. Sie durchlebt die Stücke, interpretiert sie nicht nur. Ihr Ton ist dabei niemals nur schön. Vielfach auch „unsauber“, kratzend, wüst, nur um dann wieder ins Elegische zu kippen. Vielseitig und kühn. Sie findet für jede Passagen den für sie richtigen Klang und die richtige Spielweise, die nicht zwingend mit der Intention des Komponisten einher gehen muss. Andererseits: Welcher Komponist will sein Werk als totes Museumsstücke in absoluter Werktreue wiedergegeben hören? Man darf annehmen: die Komponistin Galina Ustvolskaya, die an diesem Abend auf dem Programm stand,  wohl nicht.

Pure Vitalität. So könnte das Spiel von Patricia Kopatchinskaya bezeichnet werden. Letztlich versagen aber Beschreibungsversuche. Ganz einfach deshalb, weil beschreiben oftmals auch ein erster Ansatz der Musealisierung, der Stilllegung bedeutet. Die Wirkung wird festgelegt, das Werk und die Interpretation ist analysiert und fein säuberlich abgelegt. Das ist wohl auch ein Aspekt, gegen den das Spiel von Patricia Kopatchinskaja aufbegehrt. Dieses Spiel muss man gehört haben, empfunden, es entsteht im Augenblick, im Jetzt. Es ist unberechenbar und in ihrer tiefen Wirkung, die manchmal zu Tränen rührt, unbeschreibbar. Lebendiger habe ich mich selten gefühlt, als ich ein Konzert verlassen habe.

Markus Hinterhäuser, wahrlich kein Unbekannter, begleitete sie kongenial am Klavier. Auch über ihn könnten ganze Abhandlungen geschrieben werden. Aber an diesem Abend war, für mich, Patricia Kopatchinskaya im Mittelpunkt. Ganz subjektiv, ganz von meiner persönlichen Betroffenheit und meinem Berührt-Sein ausgehend. Herrlich befreiend, wenn es gar nicht mehr darum geht, die Atmosphäre in der Gesamtheit zu beschreiben, sondern wenn man sein eigenes Empfinden, seine eigene Lebendigkeit in den Vordergrund rückt. Möglicherweise ist das eine Wirkung des fantastischen Spiels von Patricia Kopatchinskaja

Markus Stegmayr

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