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Tradition und Skepsis

Als Tiroler Hauptstadt ist Innsbruck auch ein Ort der Traditionen, an dem altes Brauchtum ausgiebig gepflegt, gehegt, zelebriert und inszeniert wird. Und auch wenn ich an sich nichts gegen Traditionen, Trachten und Blasmusik einzuwenden habe, ganz schmecken will mir die Präsentation der Innsbrucker bzw. Tiroler Melange nicht.

 

Da zanken sich Natters und Mutters bis in die politische Ebene wegen einer zum möglicherweise falschen traditionellen Zeitpunkt gestohlenen Kanone für das Mutterer „Bumsa-Schießn“ und werden dafür mit Zeitungsbeiträgen und Nachrichten bedacht. Da berichtet die UNIpress (Nr.9/Dez 10, S. 16) über die Musikstadt Innsbruck, wo Bezirkskapellmeister Mag. David Nagiller in seinem Beitrag anmerkt, dass wer mit Tracht durch die Stadt gehe, teils irritierte oder missbilligende Blicke ernte, um im weiteren Textverlauf Fastfood, Soap-Opera-Konsum und „neo-urbane Provinzialität“ (was ist das eigentlich?) gegen „Erbauung des jeweiligen Publikums bei Ausrückungen“, „echte Gemeinschaftspflege“ und das „Erbringen kultureller Leistung“ in der Freizeit zu stellen. Als ob diese Dichotomie so überhaupt noch existierte und es in Folge darum gehen könnte, eine sogenannte höhere gegen eine niederere Kultur auszuspielen. Und dass, wie Nagiller formuliert, die Blasmusik „alle Stürme der vergangenen Jahrtausende überdauert“ hat, mundet mir in dieser Diktion auch nicht besonders – denn auf so manche musikbegleiteten Stürme der Geschichte hätte die Menschheit gut verzichten können.

 

Und während ich mir so den Kopf über Traditionen zerbreche, surfe ich über die Homepage der Tiroler Schützen und werfe einen Blick in deren Satzungen, wo unter § 2 Grundsätze und Zweck folgende Formulierung zu finden ist:

 

„Die Treue zu Gott und dem Erbe der Väter,
der Schutz von Heimat und Vaterland,
die geistige und kulturelle Einheit des ganzen Landes,
die Freiheit und Würde des Menschen,
die Pflege des Tiroler Schützenbrauches.“

 

Offen gesagt, da fühle ich mich auch nicht sehr behaglich, weil ich dem „Erbe der Väter“ (wo sind eigentlich die Mütter und Kinder?) nur so weit traue, wie die Geschichte eine Abfolge friedlicher Ereignisse bildet. Und Vereine, die in Friedenszeiten bei hochsubventionierten Veranstaltungen wie im Gedenkjahr 2009 mit Gewehren aufmarschieren und Dornenkronen durch die Stadt tragen, sind mir prinzipiell unheimlich.

Und so kann ich zwar die Geschichte eines Landes lernen, über unzählige Opfer trauern und auch manche Errungenschaft begrüßen. Aber selbst wenn, wie der Philosoph Odo Marquard in einem Aufsatz schreibt, Zukunft Herkunft braucht – ich will nicht so recht verstehen, warum man das Gestern täglich neu zur Aufführung bringen und glorifizieren muss, wenn es unzählige aktuelle Probleme gibt, denen weder mit Tracht, Blasmusik noch Gewehr sinnvoll begegnet werden kann.

 

Hier die Quellen zum Nachlesen:

 

http://www.tt.com/csp/cms/sites/tt/Überblick/Chronik/ChronikInnsbruckLand/1851710-6/schleichts-euch-wieder-runter-über-den-bichl.csp

 

http://oehinfo.uibk.ac.at/unipress/up_downloads/UP1210.pdf

 

http://tiroler-schuetzen.at/uploads/1_-_statuten_btsk.pdf

Martin Varano

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