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Rezension: Soziale Fragen im Wandel

Haben wir Glück, haben wir Arbeit. Haben wir Arbeit, haben wir Pech. Der kürzlich erschienene Sammelband zeigt das massive Ungleichgewicht zwischen subjektiver Erwartung und objektiver Verwirklichung rund um unsere schöne neue Arbeitswelt auf.


Willkommen im Prekariat…

Dass sich unsere Erwerbs- und Lebensrealitäten massiv verändert haben ist weder neu, noch schön. Im krassen Gegensatz zum Zeitalter sozialstaatlicher Verantwortlichkeit, das sich zumindest noch auf jene konzentrierte, die einer Vollzeitbeschäftigung nachgehen konnten, rücken Normalarbeitsverhältnisse aktuell ebenso in den Hintergrund wie menschenwürdige Auffangnetze:


Die Normen der 1970er und 1980er Jahre der vollzeitigen und kontinuierlichen Existenzsicherung durch Lohnarbeit verlieren an Bestand, denn in der Regel sind neue flexible Arbeitsformen nicht auf Dauer angelegt und ermöglichen selten eine eigenständige Existenzsicherung. 30 % der Beschäftigen in Österreich, absolut betrachtet mehr als eine Million, sind in einem Arbeitsverhältnis tätig, das von einer unbefristeten Vollzeitbeschäftigung mit sozialer und arbeitsrechtlicher Absicherung erheblich abweicht.

Durch die voranschreitende „Atypisierung und Entstandardisierung von Erwerbsarbeit“ werden Arbeitskräfte mit Anforderungen konfrontiert, die sich ausschließlich am Primat von Angebot und Nachfrage orientiert. Ein Trend, dem auch der Tirol-Tourismus folgt. Während Arbeit auf Abruf und die saisonal bedingte Ausweitung von Normalarbeitszeit längst Realität geworden ist, verteilen sich Ganzjahresdienstverhältnisse nur mehr auf den kleineren Teil der Beschäftigten. Dabei sticht ins Auge, dass nicht nur mehr die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben gefordert wird, sondern deren Verschmelzung.

…arbeiten sie hier oder machen sie das privat?

Arbeits- und Lebenswelten beeinflussen sich gegenseitig. Durch die Implementierung flexibilisierter Arbeitszeit- und Beschäftigungsmodelle wurden die Grenzen zwischen Arbeit und Nicht-Arbeit jedoch endgültig zu Fall gebracht:

Auf dem Weg in die Arbeit noch schnell einen Fachtext lesen; bei einem interessanten Fernsehbeitrag rasch ein paar arbeitsrelevante Notizen auf ein Blatt kritzeln; im Krankenstand das Mobiltelefon beantworten, im Urlaub die Mails sichten und abends im Familienkreis Arbeitsthemen diskutieren – das alles sind Formen entgrenzter Arbeit, die immer mehr auch in sogenannten „Nomalarbeitsverhältnissen“, also unselbständigen Vollzeit-Beschäftigungen, auftreten.

Seit die Flexibilisierungswelle von Wissenschaft, Medien, Politik und Ökonomie in Gang gebracht wurde, bedeutet das aber auch, dass die Grenzen zwischen bezahlter und nicht-bezahlter Arbeit immer diffuser werden:  

Hier ist der Graubereich in allen Schattierungen vorhanden. Ist die mobile Krankenpflegerin, die fünf Minuten länger bei einer Patientin verweilt, weil diese ihr Herz ausschütten möchte, nun privat bei der Patientin? Ist die Fachliteratur, die sich eine wissbegierige Kollegin zu ihrem Arbeitsgebiet besorgt, aus der privaten Geldbörse zu zahlen? Ist die Teilnahme an einer freiwilligen Arbeitsveranstaltung außerhalb der Arbeitszeit (z.B. Supervision, Diskussionsveranstaltung, Fortbildung) tatsächlich immer eine Privatangelegenheit?
 

Fragen, die uns jeden Tag begegnen und in vielen Fällen wohl auf unsere Kosten beantwortet werden. Wer den Blick hinter die Kulissen unserer schönen neuen Arbeitswelt anhand dieses Sammelbandes wagen will, tut gut daran! Die Beiträge sind klar strukturiert, werfen Fragen auf, vorgefertigte Meinungen um und bieten sich geradezu dafür an, sich nicht mehr ausboten zu lassen.  

 

 

Soziale Fragen im Wandel
Probleme und Perspektiven des Sozialstaates und der Arbeitsgesellschaft
 

Herausgeberin:

Mag.a Dr.in Alexandra Weiss, Büro für Gleichstellung und Gender Studies an der Universität Innsbruck


ÖGB-Verlag

142 Seiten, Preis: 19,90
ISBN: 978-3-7035-1525-5

Mit Beiträgen von:

Klaus Dörre, Christine Stelzer-Orthofer, Michaela Moser, Fabian Kessl, Johann Ofner, Anton Kern, Peter Grüner und Sabine Trummer, Clara Fritsch, Marcel Fink und Alexandra Weiss

Weitere Informationen:
 
http://www.uibk.ac.at/leopoldine/gender-studies/wissenschaftskommunikation/buch-soziale-frage-im-wandel.html

http://www.oegbverlag.at/servlet/ContentServer?pagename=V01/Page/Index&n=V01_0.a&cid=1329236723749

Isabella Krainer

4 Comments

  1. Alles im Zeichen des Wirtschaftswachstums….

    Die Preisfrage:

    Warum brauchen wir ständig Wirtschaftswachstum?
     

    Ich mach jedenfalls nicht mehr mit.

    Lassen wir das System von selbst in sich zusammenfallen und schaffen etwas schöneres für uns Menschen.

     

    Mal ehrlich, wer braucht Börsenmakler, Versicherungsvertreter, Betriebswirtschaftabsolventen, Wirtschaftsprüfer, Anwälte, Polizisten, Lobbiisten, Richter, Erben die ihr Geld für sich arbeiten lassen (also wo andere für deren Geld arbeiten müssen), Wer braucht die Heerscharen von herablassenden Sesselfurzern in den Ämtern, vor allem dem AMS. Wer braucht Immobilienmakler, Pensionsvorsorgeberater (die bald alle gehetzt sein werden, weil das nichts mehr wert sein wird), Rohstoffspekulanten, Flughafensicherheitskontrollen, Soldaten, Offiziere, Mac Dreck Burger?

    Wer braucht denn Ein Auto por Person, kann man das nicht gemeinschaftlich lösen? Muss das Auto denn über 200 ps haben, und 200 eingebaute Spielereien?

    Wer braucht jedes Jahr ein neues Handy, einen neuen größeren Fernseher, die ganzen sinnentleerten Unterhaltungsfilme, jedes Wochenende Alkohol bis zum Umfallen, Tischdekoration und sonstigen Plunder,

    wer braucht einen Schrank voll giftiger Stofftiere Made in China, einen Airbus, jedes Jahr neue Bauteile für den Rechner, und alle 3 Jahre neues Gehäuse und Motherboard für die nächste Generation, alle 2 Jahre ein neues Windoof?

    Wer braucht Splittergranaten, Bunker Buster Bomben, Überschalltarnkappenbomber, Flugzeugträger, Leopard Panzer, Atomkraftwerke, Mikrowellenwaffen, Schallwaffen und Arsenal London?

    Wer will die ganze Welt sehen (sieh dich erstmal selber!), Fallschirmspringen, sich mit Mini Autos im Prater anbumsen, Pc süchtig sein, ständig vor der Glotze hängen in der Freizeit, sich Stammtischgedöns über die Lippen kommen lassen wie scheisse das und das ist, weil man sich eigentlich selber scheisse findet?

    Wer braucht geplante Obsoleszenz?

     

    Wenn diese viele Millionen Menschen Menschen die eigentlich nur Bockmist schaffen und reden, mal wirklich was für die Gesellschaft tun würden, und die Gesellschaft sich mal drauf besinnen würde, was wirklich wichtig ist, dann könnten wir in 20 Realwochenarbeitsstunden und weniger locker alle unsere Bedürfnisse zufriedenstellend decken, und müssten uns nicht ständig Ersatzbefriedigen, weil wir es sonst einfach nicht mehr packen, damit wir nicht über die ganze Scheisse nachdenken müssen.

     

    Wir sind so viele, und die die uns Ausbeuten so wenige. Warum leben wir in Angst vor der Zukunft und vor unserem Nächsten? Nur weil man es uns einredet dass es so sein muss, und wir keine Zeit haben um drüber nachzudenken.

     

    So und damit bin ich wieder ab und weg 🙂

    Und ein Lächeln gibts auch wieder für euch alle, auch wenn ich manches was viele machen und wollen manchmal eher nur belächeln kann.

     

    p.s.: großen Respekt für Alle, die es in diesem verqueren System schaffen ein Liebevolles Umfeld aufzubauen und zu erhalten, ohne sich dabei kaputtzuackern.

    • Weil wir dann so leeeeeer sind, liebe oder lieber Katanka, das wir implodieren würden. Stell dir das nur mal vor! Es würde ein riesiges schwarzes Loch entstehen, und zwar nicht irgendwo draußen im weiten Weltall, sondern mitten in uns selbst! Dann würden wir alles anziehen, was nicht niet- und nagelfest ist, alle Materie verschlingen, alle guten und vielleicht auch schlechten Gedanken, die Guten und die Bösen, die Schönen und die Hässlichen, einfach alles,alles, alles. Ist dir da noch wohl ums Innenleben? Mir, ehrlich gesagt nicht!

      P.S.: Aber natürlich hast Du Recht!

  2. Dieses Loch gibt es doch und es ist die Sehnsucht in Gemeinschaft zu leben und gleichsam frei zu sein. Der Mensch ist vernunftbegabt und ein einzelner Punkt in der Menschheitsgeschichte. ja, wir können diesen Planeten zum Paradis aller Wesen gemeinsam gestalten. Die Welt entsteht aus unseren Taten und unseren Träumen. Was die Welt sei, ahnen wir durch unsere Ahnen.

     

    Unser Tun zu bedenken, Gemeinsamkeiten zwischen den Seienden zu bekräftigen und versuchen einander zu verstehen. Wir werden uns bewusst, was wir sein können, wenn wir uns gemeinsam befreien.

     

    PS: Artikel super, Buch sicher auch!

  3. Ich glaub dieser "Bruch" der Wünsche von Verbindung mit Aussen und Selbstentwicklung (Freiheit) im Innen ist keine Divergenz, das ist missinterpretiert worden.

    Niemand kann wirklich frei sein, denn wir sind immer von Aussen "abhängig". Fängt beim Atmen an bis hin zur Reproduktion. Niemand kann voll verbunden sein, denn meine Gedanken und Gefühle sind nur für mich verfügbar, und nur leidlich mit Behelfsmitteln "(Körper-/Schrift-)Sprache" vermittelbar.

    Doch irgendwie ähneln wir uns doch alle, und die Grundbedürfnisse sind überall die selben, nur der Ausdruck verschieden, abhängig von der Ahnung 🙂

    Irrtum ist es, wenn man das Heil entweder im Innen oder im Aussen sucht. Das Leben ist die Verbindung von innerer Welt mit Äusser Welt, die Sonanz und Resonanz selbiger.

    Ich entscheide wie ich Singe, und welchen Klang ich auf anderen Gesang resoniere.

    Wollen wir Harmonie der Schwingung, eine Sinfonie, oder will jeder sein Ego Liedchen Trällern, im Lärm der Dissonanz?

     

    Ja, ich träume, und der erste Schritt auf den Pfad zum Bewusstsein ist der Mut ihn auch zu gehen, so schwer es auch manchmal ist Ballast loszulassen.

    Liebe Grüße
    Katanka (männlich 😉

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