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Plain Vanilla

In der Maria-Theresien-Straße begegnete ich den Pfurtschellers. Ich hatte mich gerade, so wie immer, über diese Maria-Theresien-Straße geärgert, die vom Anfang bis zum Ende zugepflastert ist, die, eine angebliche Fußgängerzone, zumindest abschnittsweise, durch die Pflasterung und Verpflasterung zu einem Menschenkanal geworden ist, einem Transitorium zum Durchschleusen von Menschenmassen, von Menschenmaterial, welches, ausgehend von Tiefgaragen, Bahnhöfen, Bushaltestellen, den Konsumtempeln zugespült wird, kanalisiert wird, ein Platz, der nicht mehr zu Verweilen einlädt.

 

Ich dachte mir, so wie immer in dieser Straße, dass die Baulobby, die Pflastersteinlobby in diesem Land bald ebenso stark ist wie die Bauernlobby, die an und für sich die Politik beherrscht, dass in dieser Stadt eine schier unfassbare Neigung zum Zupflastern, Einpflastern besteht, ganze Plätze werden betoniert und zugepflastert, schnelle Menschendurchflüsse werden gewährleistet, es gibt in diesen Pflasterwüsten nichts mehr, was zum Verweilen einlädt. So dachte ich, als ich den Pfurtschellerschen begegnete, sie winkte mir zu und nahm mir damit die Möglichkeit, unauffällig beizudrehen und zu verschwinden, vor den Pfurtschellerschen zu flüchten.

 

Man hatte sich seit Jahren nicht mehr gesehen, obwohl man in der gleichen Stadt lebte. In jungen Jahren, damals in den 70ern, waren Pfurtscheller und ich Freunde gewesen, wir waren vier junge Traumtänzer gewesen, Pfurtscheller, Georg, der Musiker und ich. Pfurtscheller war dann in den Landesdienst gegangen, hatte dort eine Landesdienstkarriere gemacht und war als Amtsrat oder Amtsdirektor oder mit irgendeinem anderen Amtstitel vorzeitig in Pension gegangen. Der beste von uns, der Musiker, war früh verstorben, wir waren alle Idealisten gewesen, aber nur der Musiker hat etwas aus seinem Idealismus machen können.

 

Von uns Vieren hatte Pfurtscheller den sicheren Weg gewählt, hatte nichts riskiert und sich in seiner Amtsdirektionalität der Pensionierung entgegen gelangweilt, diese dann auch früh erreicht, während hingegen der Musiker alles riskiert und alles verloren hatte. Wir waren Traumtänzer gewesen, angeödet vom katholischen Mief in dem Land, angeödet von den Überresten des Nazitums, die damals noch an allen Ecken und Enden zu spüren waren, die in Wahrheit bis heute nicht verschwunden sind, das Nazitum als ein Gift, das nie völlig beseitigt wurde, das in den Köpfen noch immer nachwirkt, jetzt, in diesen Tagen sogar noch stärker als in der jüngeren Vergangenheit, mit all diesen Ängsten die all diesen Leuten eingeredet werden, Angst um den Arbeitsplatz, Angst um ein sicheres Auskommen, Angst vor Allem und Jedem.

 

Wir wollten dem Mief entkommen, und die Wege dafür waren die Kunst und Che Guevara, wir träumten den Traum von einer besseren und schöneren Welt, von etwas Absoluten und Besseren und waren doch verfangen in diesem Mief, in diesem Glauben an Absolutes, letztlich in diesem katholischen Irrsinn, der den Glauben an ein Paradies verspricht, jedoch sollte unser Paradies schon hier, in dieser Welt, in unserem Leben möglich sein, wir glaubten an die Revolution und an Rock´n Roll, und der Musiker, der diesen Traum am konsequentsten lebt, ist dann auch bald gestorben, Georg aber lebt noch, Georg wurde zum Künstler, zum Sozialkünstler, er wurde ein Frauenversteher, wo hingegen Pfurtscheller in den Landesdienst ging und ich mich einfach treiben ließ.

 

Pfurtscheller hatte ich seit Jahren nicht mehr gesehen, zu Georg jedoch hatte ich regelmäßig Kontakt, und weil Georg auch den Pfurtscheller immer wieder traf war ich auch über Pfurtschellers Werdegang gut informiert. In diesen Tagen machte ich mir Sorgen um Georg, denn er, der Frauenversteher, war jetzt scheinbar eine dauerhafte Beziehung eingegangen zu einer Volksschullehrerin, er, der in seinem Leben unzählige Frauen charmiert, verführt und wieder verlassen hatte, musste lernen, dass seine Kunst des Charmierens und Verführens an ein Ende gelangt war, dass in dieser Zeit mit dem Charmieren und Verführen nichts mehr zu erreichen war.

 

Er, Georg, musste sich eingestehen, dass seine hohe Kunst in dieser Zeit nicht mehr wirkte, dass sie versagte an diesen selbstbewussten Power-Frauen, dass auch der Zahn der Zeit an seinem Charme und an der Glätte seines Gesichtes genagt hatte, er, der immer ein Verführer gewesen war, musste sich eingestehen, dass seine Kunst nun noch bestenfalls von sozial-historischem Interesse war, eine Kunst aus einer anderen Zeit, ein Exponat in einem noch zu gründenden Museum für Sozialarchäologie, und so hatte er sich unter die Fittiche dieser Volksschullehrerin begeben, einer durch und durch autoritären und machtgeilen Person, er, Georg, der Flaneur, Frauenversteher und –verführer hatte sich unterworfen, hatte seine Freiheit aufgegeben und lebte nun unter der Fuchtel dieser Volksschullehrerin.

 

Die Lehrerin besaß ein Ferienhaus in einem Seitental, eine alte Holzhütte, erbaut vom Vater der Lehrerin, miefig und eng und mit lausigen sanitären Anlagen versehen, dort verbrachte Georg nun die Wochenenden mit seiner Lehrerin. Von Georg hatte ich erfahren, dass auch Pfurtscheller einen Freizeitwohnsitz hatte, eine Ferienwohnung an der Adria, in Jesolo, irgendwo dort, dass also auch die Pfurtschellerschen viel Zeit dort verbrächten, in ihrer Ferienwohnung, und dass mitunter die Volksschullehrerin und Georg die Pfurtschellers sowie die Pfurtschellers Georg und die Volksschullehrerin in das jeweils eigene Feriendomizil einluden, dass hier also ein wechselseitiger Ferienwohnungs- bzw. Landhaus-Besuchsverkehr bestand, dass also die Leute ihre städtische Langeweile manchmal in eine adriatische und manchmal in eine seitentälerische transferierten, dass hier völlig sinnlos und nutzlos hin und her gefahren und gereist wurde und bei der Gelegenheit völlig langweilige und unnütze Adria- und Seitentalgespräche geführt wurden, so war der Absturz von den Träumen unserer Jugend ein tiefer gewesen, denn die Banalität und absolute Dummheit und Stumpfsinnigkeit dieser Adria- und Seitentalgespräche und dieser Adria- und Seitentalaufenthalte musste unüberbietbar sein, wir wollten die Welt verbessern und revolutionieren und sind in miefigen Landhäusern, vielleicht sollte man besser sagen Landhütten, und in schäbigen und billig gebauten Adria-Ferienwohnungen gelandet.

 

Von Georg wusste ich auch, dass die Pfurtschellers, wenn sie schon hier in der Stadt sind, sich am liebsten in Kaufhäusern, Einkaufszentren und so genannten Einkaufsparks aufhalten, dass sie ihre Verpflichtungen als Konsumidioten getreulich wahrnehmen, in ihrer Frühpensionsödnis. Dabei erstaunte es mich immer wieder, dass auch Freund Georg sich dieser Verblödungstour nicht hatte entziehen können, dass er diese sinnlosen Touren mitmachte und sich dann auch noch, wenn er hier in der Stadt war, in ständig wechselnden Stammbeiseln breitmachte, seine Tage halb besoffen verbrachte und so lange in eines dieser so genannten Stammbeisel ging, bis er vom Wirt oder der Wirtin hinausgeworfen wurde, weil er die Neigung hatte, im angetrunkenen Zustand andere Gäste oder auch das Personal anzupöbeln, dies zu wissen schmerzte mich, da ja Georg seinen Anlagen nach ein Künstler war, der Beherrscher einer vergessenen, verlorenen Kunst, ein Charmeur der, wie man sagt, alten Schule, die ja eigentlich schon eine zerstörte, kaputte, außer Dienst genommene Schule ist.

 

Auch Georg hatte es geschafft, früh pensioniert zu werden, wie ja überhaupt in unseren Landen die Menschheit in potentielle und faktische Pensionisten unterteilt werden kann, wie ja zum Einen die Arbeit als wichtig und sinnstiftend angesehen, zum Anderen aber auch verflucht und zum frühest möglichen Zeitpunkt beendet und eingestellt wird, wie ja auch das ganze Volk hier ein Volk von Lottospielern ist, Lottospiele in allen möglichen Ausprägungen, was ja nichts anderes ist als eine Art Fluchtversuch, eine Hintertür, um die geliebte und gehasste Arbeitswelt möglichst rasch wieder verlassen zu können, eine Frühpensionierungs-Option mit eingebautem Betrug, da ja letztlich doch nur der Staat gewinnen kann.

 

Wegen des Freundes Georg war ich in ernster Sorge, der Suff tat ihm nicht gut und die terroristische Volksschullehrerin auch nicht, war er doch letztlich immer noch ein Künstler, Beherrscher einer verlorenen Kunst, der sein Reich verlassen hatte, verlassen musste, und sich jetzt von dieser Volksschullehrerin kommandieren ließ, die ihrerseits noch nicht pensioniert war, was angesichts ihres Alters durchaus im Bereich des Möglichen läge, die aber ganz offensichtlich die Volksschule, und damit die Schüler und die übrige Lehrerschaft, als Spielfeld ihrer terroristischen Tendenzen benötigte, die kommandieren und ihr Machtgelüst ausleben musste und damit ganze Generationen von Schülerinnen und Schülern geschädigt hat und noch schädigen wird und die ein zu kleines Arbeitsfeld hat, wenn sie nur einen Mann wie Georg beherrschen kann.

 

Da ich die Pfurtschellers völlig unerwartet in der Maria-Theresien-Straße traf und dabei an Georg denken musste, erinnerte ich mich auch an unsere frühen Jahre, als wir noch träumten, als Pfurtscheller damals die Mao-Bibel brachte, Pfurtscheller, der sich dann jahrelang, jahrzehntelang im Amt der Tiroler Landesregierung gelangweilt hat, und als der Musiker auf seiner elektrischen Gitarre Punk-Rock-Sounds spielte, damals war Punk gerade entstanden, die Musik elektrisierte uns in ihrer Direktheit und Intensität, wir spürten die Energie die darin steckte, und heute fahren sie vom miefigen Landhaus in die langweilige Adria-Ferienwohnung, während wir doch damals glaubten, es müsse etwas jenseits des Miefs und der Blödheit und der Blödigkeit geben.

 

Während wir also damals in einem Träumeland lebten und glaubten, dem Mief entkommen zu können, so sind wird doch heute, jedenfalls Georg und Pfurtscheller, im Mief und in der Ödnis gelandet und festgefahren, ja eingebacken, und während wir damals noch an ein Absolutes glaubten, an ein Leben voller Intensität und Freiheit, so sind wird heute, und wir sind es alle, ohne Träume und letztlich ohne Hoffnung. Schaue ich zurück, so denke ich, dass wir damals dem römisch-katholischen Irrsinn in die Falle gegangen sind, exakt dem Irrsinn, den wir damals zu verstehen und zu überwinden glaubten, denn wir haben das Absolute, welches der römisch-katholische Irrsinn verspricht, auf unser Reales, auf unser Leben übertragen und geglaubt, dass eine Absolutes in der Freiheit und in der Kunst und in der Politik möglich sei, so träumten wir von einer besseren Welt, jedoch ohne einen Weg dorthin zu kennen.

 

Heute weiß ich, dass es das Absolute nicht gibt, es sein denn in der Kunst oder in der Sillschlucht, denn die Sillschlucht liegt nahe bei der Stadt, etwas südlich von der Stadt, ist aber durch einen Hügel abgeschirmt, du gehst also um diesen Hügel herum und bist mitten in Sillschlucht, plötzlich, binnen Minuten befreit von der Stadt, in einer wilden, naturbelassenen Schlucht mit steil abfallenden Hängen, der Weg in die Schlucht verliert sich rasch, man ist schnell im unwegsamen Gelände, fern der Stadt, fern vom Lärm, die Sillschlucht, gerade wegen ihrer Nähe zur Stadt, ist ein Paradies und ein Fluchtpunkt, auch leben dort einige so genannte Sandler, von denen einige sogar den Winter dort verbringen, so ist die Sillschlucht also auch ein sozialer Fluchtpunkt, eine Möglichkeit, all das Banale und Platte und Blöde, die gesamt Blödheit und Blödsinnigkeit hinter sich zu lassen, und die Rettung, und damit auch die Freiheit, von der wir damals träumten, liegt immer und ausschließlich in der Musik und in der Sillschlucht, von der aus die Stadt verschwindet, unsichtbar wird, diese zugepflasterte Stadt, diese oberirdische Kanalisationssystem, Leitsystem, Fließsystem für Menschen, wo in der so genannten Altstadt die Wege und Gassen bis auf den Quadratzentimeter verkommerzialisiert sind, wo also schon der Umsatz pro Quadratzentimeter berechnet werden kann, in dieser verpflasterten und verkommerzialisierten Stadt.

 

So war es, als ich in der Maria-Theresien-Straße den Pfurtschellers begegnete, kurz grüßte und dabei von einer Welle der Banalität, Blödheit und Blödigkeit zugeschüttet wurde. Ich ging dann über den Burggraben zur Eisdiele und bestellte dort das banalste Eis, das es gibt: eine Kugel Vanilleeis. Plain vanilla.

 

Autor: ALBERT UNGERER
 

One Comment

  1. was würde dein 18-jähriges ich von dir halten? trost und rat oder verraten und vertröstet? .

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