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Es ist kalt in Innsbruck

Der Winter hält Einzug und Innsbruck steht vor einer Herausforderung: die Zahl obdachloser Menschen in der Stadt hat deutlich zugenommen. Sozialeinrichtungen schlagen Alarm, dass angesichts sinkender Temperaturen dringend benötigte Plätze in Notunterkünften fehlen.

„Wir sind gespannt, wie es diesen Winter wird“, sagt Franz Wallentin, Streetworker beim Verein für Obdachlose in Innsbruck. Er ist einer der wenigen, die abschätzen können, wie viele Menschen in Innsbruck von Obdachlosigkeit betroffen sind. Sie leben im Verborgenen, in Statistiken werden sie nicht erfasst.

Gemäß einer internen Erhebung des Vereins für Obdachlose waren es im Oktober 2012 rund 190 Menschen, die in Innsbruck ohne Dach über dem Kopf lebten. Wie viele es heute sind, kann Wallentin nur schätzen: „Aber es sind auf jeden Fall deutlich mehr.“ Im Laufe des vergangenen Sommers habe die Zahl seiner Klienten „sehr zugenommen“, erzählt er. Warum das so ist, weiß er nicht. Aber es sind vor allem Obdachlose Menschen aus dem EU-Raum, die in den vergangenen Monaten nach Innsbruck kamen. Bei den überdurchschnittlich warmen Temperaturen diesen Sommer für die Betroffenen nicht problematisch . Doch mit den mit den sinkenden Temperaturen spitzt sich die Situation drastisch zu.

„Alle Notunterkünfte in Innsbruck sind bereits voll, aber es haben längst nicht alle Obdachlosen eine Unterkunft“, sagt dazu Michael Hennermann, Geschäftsführer des Vereins für Obdachlose. Die Stadt Innsbruck bietet in den beiden ISD-Einrichtungen Herberge und Alexihaus insgesamt rund 150. Jedoch gilt hier eine Zugangsbeschränkung: Hinein darf nur, wer Anspruch auf Mindestsicherung hat. Wer diese Kriterien nicht erfüllt, dem bleibt nur die Notschlafstelle des Roten Kreuzes Innsbruck in der Trientlgasse.

Hier arbeiten Stefan Biebl und sein Team bestehend aus 17 ehren- sowie hauptamtlichen Mitarbeitern. Die Notschlafstelle wird von der Stadt Innsbruck und dem Land Tirol finanziert. Insgesamt bietet die Einrichtung täglich 31 Schlafplätze von 18 Uhr abends bis 8 Uhr morgens an – im Notfall ist eine Erweiterung auf bis zu 36 Plätze möglich. Seit der Eröffnung der Notschlafstelle am 15. November war sie fast jede Nacht vollbelegt.

Um halbwegs faire Zugangskriterien zu gewährleisten gilt das Prinzip „first come – first serve“. Sobald alle Feldbetten belegt sind, herrscht jedoch Aufnahmestopp. Für Biebl und sein Team ist es schwer, die Menschen abzuweisen, doch sie haben keine Wahl: „Wir versuchen dann alles, sie anderswo unterzubringen oder geben, wenn vorhanden, Decken und Schlafsäcke mit.“ Im Vorjahr fanden 5.388 Menschen Unterschlupf in der Notschlafstelle, 473-mal mussten Biebl und sein Team Menschen wegen Überfüllung abweisen.

Heuer zeichnet sich schon in den ersten Wochen ein besorgniserregender Trend ab, so Biebl: „Es kommen deutlich mehr Menschen.“ Die vorhandenen Plätze in Notunterkünften in Innsbruck reichen nicht aus. „Wir verzeichnen derzeit täglich rund 110 Besucher in der Teestube, unserer Tageseinrichtung für Obdachlose“, sagt Streetworker Franz Wallentin. Es fehlten in der Stadt Möglichkeiten, der Kälte zu entfliehen. „Die ordnungspolitischen Maßnahmen der letzten Jahre haben dazu geführt, dass Obdachlose sukzessive verdrängt werden“, sagt Hennermann. In Kaufhäusern, am Bahnhof oder anderen großen Gebäuden, die zugänglich und beheizt wären, sorgen Sicherheitsdienste dafür, dass unliebsame Obdachlose ausgesperrt bleiben.

Ein Problem, das auch die Universität Innsbruck kennt. Ein E-Mail aus dem Rektorat an die Studierenden, das die Problematik mit Obdachlosen, die in den Uni-Gebäuden nächtigen, zum Thema hatte, sorgte vor Kurzem für Aufregung. Im Rahmen eines runden Tisches, zu dem Politik und Sozialeinrichtungen geladen waren, versuche man nun andere Lösungen zu finden, als die derzeit passierende Vertreibung durch den Sicherheitsdienst. Doch langfristig könne die Universität nicht Teil einer Lösung sein.

Hier sei die Politik gefragt. „Neben kurzfristigen Tages- und Nachtplätzen braucht es für eine nachhaltige Lösung Möglichkeiten des betreuten Wohnens mit individueller Betreuung“, erklärt Streetworker Franz Wallentin. Gerade Menschen mit psychischen Erkrankungen, die von Obdachlosigkeit betroffen sind, fallen durch die Maschen des lückenhaften Systems.


Foto von Gerhard Berger
 

Steffen Arora

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