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Ein Schnitt gegen die Menschenrechte

Auf dem alltäglichen Weg zur Arbeit trete ich stets radelnd am Stift Wilten vorbei. Vor einigen Tagen fiel mir erstmals die dort befindliche Statue auf: drei nackte Männer, erhängt auf einem Galgen baumelnd. Weil ich den ganzen Tag über die Bedeutung der Skulptur grübelte, durchforstete ich noch am selben Abend einige Websites und stieß so auf den Südtiroler Künstler Lois Anvidalfarei und seine Figurengruppe „Ecce homo“.

 
Die Aussage? Sie symbolisiere die „Verletzungen der Menschenrechte, das Zufügen physischer und psychischer Gewalt ‚von Menschen an Menschen’. (…) Die drei hilflosen Menschen in ihrer entwürdigten Realität sollen uns letztendlich dafür sensibilisieren, miteinander in Liebe und Würde zu leben”, lautet des Künstlers Statement (www.stift-wilten.at). Dies fand ich interessant. Tags darauf dachte ich beim Vorbeifahren am Stift unwillkürlich an jene Sätze und empfand – und tue dies nach wie vor – das Kunstwerk und dessen Bedeutung als gelungen. Macht nachdenklich. Regt zum Denken an. 
 
Zurück zum Anfang: Auch am heutigen Freitagvormittag radelte ich am Stift vorbei. Wiederum blieb mein Blick an der dominanten Skulptur am Vorplatz hängen, doch diesmal war etwas anders: Die drei Männer lagen am Boden, die dicken Taue durchgeschnitten. Ich ahnte, dass dies nicht die künstlerische Absicht war, was sich durch meine Nachfrage bestätigte. 
 
Im Hinterkopf hatte ich jene Meldungen, welche die Empörung der Wiltener Bevölkerung angesichts der nackten und detailliert gemeiselten Statuen thematisierten. Der Tenor: Vorwurf der Darstellung von unmittelbarer Gewalt und Nacktheit (http://bit.ly/y1AViQ). Irgendjemand setzte der Diskussion durch das Kappen der Taue ein Ende. Es empört mich, denn damit wird genau dies nicht getan, wozu das Kunstwerk anregt: die Augen vor der Realität nicht zu verschließen, sondern aktiv – beginnend im persönlichen Umfeld – Verbesserungen umzusetzen. Für Menschenrechte und die Würde an Menschen (www.stift-wilten.at). Aber es ist doch so simpel: Wenige Schnitte, das Kunstwerk zerstört und man muss nicht mehr darüber nachdenken. Aus den Augen, aus dem Sinn – so einfach geht’s.
 
Geht es um den Einsatz für die Rechte des Menschen, äußert sich das immer in gesellschaftlicher Betulichkeit: Natürlich setze man sich dafür ein, selbstverständlich! Wird diese Botschaft allerdings einmal in künstlerischer Provokation transportiert, kommt sofort der Aufschrei: Hohn! Noch dazu vor der Kirche! Die armen Kinder!
 
Anzumerken bleibt: Werbung, ob auf Plakaten oder im Fernsehen, strotzt nur so vor Nacktheit, Erotik, Gewalt. Ganz zu schweigen von zahlreichen Websites, auf die auch Kinder ohne Umschweife klicken können, Computerspielen o. Ä. Aber das ist alles harmlos. Jedoch bei so einer Skulptur wie jener beim Stift, da ist der Aufschrei groß. Denn das, nein, das darf einfach nicht sein!

 

 


Bettina Furtlehner

7 Comments

  1.  bin ja kein theologe: aber adam und eva wurden von gott ja nackt geschaffen und erst durch ihren "sündenfall" (apfel vom baum der erkenntnis) wurden sie ihrer nackheit bewusst und schamhaft. kann es sein, dass die ganzen verklemmten spießer und bigotten fanatiker eigentlich viel "sündiger" sind als freigeister und blumenkinder?

     

    jedenfalls zeigt dieser vorfall sehr gut, dass auch in der KaKi genug Fundis sind, die wie die Taliban alles, was ihrer beschränkten Weltsicht nicht entspricht, am liebsten zerstören möchten …

  2. auch wenn es jetzt so klingt, als wäre dieses lob sozusagen auf gegenseitigkeit, aber ich finde ihren artikel auch ausgezeichnt geschrieben und sehr differenziert. seit ich diese seite kenne, gefällt mir die breite themenvielfalt und die interessanten ansichten und kommentare. herzliche gratulation auch dazu!

  3. nein wie kreativ… soviel zum nachdenken…..super dieser künstler, einfach weltklasse…..und wenn irgendwo ein handtuch mit einem roten flecken hängt, ist das auch schon die grosse kunst für euch.braucht nur noch ein sogenannter künstler rufen " he das ist mein werk, schauts euch an, ich provoziere" dann steht ihr vor dem schmutzigen Handtuch und ruft…nein wie kreativ….soviel zum nachdenken…

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