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Westbahntheater: SCHROTTENGEL

Geschichten vom alltäglichen Wahnsinn

Österreichische Erstaufführung

Sind denn hier alle verrückt? Nein. Nur auf der Suche nach Glück. Nach Beziehungen. Aber das alles ist verdammt schwer zu finden. Es gibt so viele Möglichkeiten. So viele Entscheidungen. Und immer wissen alle alles besser. Wo ist der Ausweg? 
Eine kuriose Komödie über die Suche nach dem Glück von Petr Zelenka.

Bis 30. Oktober!

Termine

Gabriele Czerny

2 Comments

    •  Letzte Chance: MORGEN

       

      Kennen Sie den Begriff KUNSTRELIGION?

       

      Begriffe versteht man am besten, wenn man sie ins Bild bringt. Genau das ist mit der Innsbrucker Inszenierung des Stücks SCHROTTENGEL aufs Beste gelungen. Ein bisschen trashig, ein bisschen tragisch, ziemlich heilig - und dabei urkomisch, im besten Sinne des Worts.

       

      Ich saß gestern in der ersten Reihe und war Zuschauer und Beobachter der Zuschauer (und –innen). Selten sieht man, wenn man sich umdreht, so viele lebendige Gesichter.

       

      Und tatsächlich ist man bei dieser Art der Inszenierung, in der es keinen Vorhang gibt, und die Bühne überall ist, Teil des Stücks.

       

      Die Bühne: eine Inselgruppe von Gerümpel, darauf verstreut: der Mensch und seine Utensilien. Alles erscheint ungeordnet, zufällig, chaotisch, aber fast alle Gegenstände erhalten ihre Bedeutung, denn diese Kulisse stimmt.

       

      Rot und Schwarz und Weiß dominieren die Farbwelt der Kulisse, Farben, die ins Spiel zu bringen sind, wenn Liebe, Tod und Erlösung Gestalt annehmen sollen. Wenn wörtlich alles auf dem Spiel steht. Es sind die Farben des Kartenspiels, des russischen Roulette, der Patience (heute als Solitaire bekannt)  - UND: Es sind die Farben der Passion, in jeder Bedeutung des Wortes. Passion als Leiden, Passion als Leidenschaft, Passion als Liebe, Passion als Kreuzweg, den Christus geht, in vierzehn langen Stationen. Man braucht Geduld. Bei diesem Stück ist das mit der Geduld ein geringes Problem, man amüsiert sich zu sehr. Das Stück hat die Lacher auf seiner Seite.

       

      Achten Sie weiter auf die Paletten auf der Bühne. Paletten? Ja, genau - das sind die Dinger, die Gabelstapler aufheben können mit ihrer Gabel. Wichtig nicht nur im weltlichen Transportleben. Der Zuschauer sieht sofort: Hier zieht einer um, hier wird ordentlich geplündert, hier ist was in Bewegung, etwas soll umgegraben werden, hier passiert Verwandlung. Achten Sie auf die stehende Palette im Zentrum mit der DINA4-Proportion. Unter den breiten Holzlatten sehen Sie zwei schmale, sie beschreiben die Form des Kreuzes. Es ist das Kreuz, das der Konstruktion die statische Sicherheit verleiht. Völlig handelsüblich, natürlich.

      Aber sieht man das, versteht man mehr. Spätestens dann, wenn Jan, Freund und Alter Ego unserer Hauptfigur Petr, davor steht, blutüberströmt und nackt bis auf den Lendenschurz, wenn er gestützt wird links und rechts, wenn ihm unter die Armen gegriffen wird, und selbst zum Kreuz wird, zum Gekreuzigten. Die Pieta-Szene, die Auferstehung und die Wandlung folgen auf den Fuß. Und bei all dem durchheitert das Komische das Tragische.

       

      In der geheimen Mitte des Stücks: ein Cello. Und sein Cellist. Thomas Mann, dem Großmeister des Kreuzes und der Kunst, verdanken wir das Wissen: Der Soundtrack der Wiederauferstehung ist das hohe g des Cello. Hier wird man es hören.

       

      Ja, hier wird gezaubert. Großes Theater. Schauspieler, hier und da, aus denen viel werden kann. Die schon vieles sind. Diese Truppe versteht sich, mag sich, auch das ist fühlbar. Und sie selbst, so scheint es, hat die allergrößte Freude an diesem Stück.

      Hier wird gezaubert. Großes Theater: Richard Wagner, Nietzsche, Thomas Mann - alle würden sie applaudieren zu diesem Bühnenweihfestspiel.

      Seid versichert. So sieht vielleicht nicht die Zukunft der Kirche aus, wohl aber die Zukunft von künstlerischem Gottesdienst.

       

      Ja, fast alle verstreuten Gegenstände werden Teil der Handlung, nur einer nicht. Da liegt sie noch, die Leiter, wie weggeworfen. Sie gehörte Wittgenstein und nun dem Publikum. Denn die Leiter, das ist der Text, das sind die Sätze, die man wegwirft, wenn man den Sinn verstanden hat. Ist das Stück zu Ende, geht das Leben weiter. Man eignet sich die Botschaft an. So wird aus Kunstreligion Lebenskunst.

       

      Und da wären wir wieder am Anfang: ein Konzept versteht man am besten, wenn ein genialer Regisseur einen genialen Text ins Bild bringt und das Publikum lachend und beflügelt nach Hause geht.

       

      GEHET HIN, NEHMET UND ESSET DAVON!

       

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