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So um Lichtmess herum

IMG_2987Neulichedel war in den Safariclub gegangen und hatte dort der Kellnerin freundlich zugelächelt, als sie ihm ein Bier gebracht hatte. Er schaute auf ihre Fußknöchel, ihre Fesseln, weil ihm die gut gefielen und hätte liebend gerne ihre zierlichen Füße geküsst. Auch wenn diese vielleicht nach Schweiß rochen. Aber die Kellnerin war jung, und bei jungen Frauen war es ihm egal, weil er den Schweiß junger Frauen gerne roch. Weil er alles gerne an ihnen roch. Eben auch den Schweiß.

Im Safariclub war wenig los und so konnte sich Neulichedel seinen Gedanken hingeben. Und darüber sinnieren wie es gewesen war, als zu Mittag das Essen bei den Breitfeldners aufgetragen wurde, bei denen er heute Mittag zu Gast gewesen war. Wie er Frau Breitfeldners Lasagne aß, die vorzüglich schmeckte und danach noch zum Nachtisch die Paradiescreme. Und als dann später Hechenberger kam, der Freund ihrer Tochter Julia, der so jugendlich aussah und so klein war wie ein kleiner Junge, so dass alle meinten es sei wohl Julias kleiner Bruder. Und wie Julia das Meerschweinchen streichelte und ihm etwas aus seinem Maul entfernte, das es nicht fressen sollte, so dass es dann gleich über ihre Hände gekotzt hatte. Kotze über Julias zarte Hände, welche diese sich gleich darauf wieder wusch und das Gekotzte von Tisch und Stuhl wegwischte.

Wie Julias älterer Bruder dem geistig leicht behinderten noch älteren Bruder seinen Plastikbecher mit der Himbeerlimonade nachfüllte. Wie Neulichedel in das verhärtete Gesicht Hermine Breitfeldners geschaut hatte, das ihn irgendwie an das seiner Mutter erinnert hatte. Wie darauf ihr Mann, Oskar Breitfeldner, mit ein paar klugen Sätzen die Lage der Welt zu erklären versuchte. Wie darauf das Handy Julias in die Lasagne geflogen war, und wie sie es daraus mit ihren zierlichen Fingern – so zierlich als die Fußknöchel der Kellnerin im Safariclub – wieder herausfischte und dazu ein lustiges Lachen von sich gab, das Neulichedel ein klein wenig an seine Freundin Jennifer erinnerte. Wie Frau Breitfeldner schließlich sagte, dass ihr Stuttgart überhaupt nicht gefallen hätte, wo sie neulich gewesen war, und darauf Neulichedel sagte, dass Stuttgart eine schöne Stadt sein würde, obwohl er noch nie dort war, aber vorhatte, in nächster Zeit mal hinzufahren.

Wie Hermine Breitfeldner aber dessen ungeachtet bei ihrer Meinung geblieben war. Wie Neulichedel darauf nur meinte, dass es eben Städte gebe, die sich auf Anhieb dem Besucher erschließen würden, ja die  einen geradezu mit ihren Sehenswürdigkeiten erschlagen würden, während andere dieses eben nicht täten und man sich deren Sehenswürdigkeiten eben erst langsam erschließen müsste. Wie das aber überhaupt nichts machen würde. Erst da hatte Neulichedel die noch immer nicht abgeräumte Weihnachtsdekoration am Küchenfenster entdeckt, obwohl es schon Februar war, wozu er aber nichts sagte, um Hermine Breitfeldner nicht unnötig zu ärgern oder es für sie peinlich werden zu lassen. So peinlich wie es immer ist, wenn ein Besucher oder eine Besucherin etwas für den Wohnungsinhaber völlig Unpassendes in dessen Wohnung entdeckt, Staublurch zum Beispiel, oder Schmutz. Wie schließlich der geistig behinderte Sohn der Breitfeldners ganz offen und ohne Scheu vom Scheißen sprach,  mühsam aufstand und sich aufs Klo schleppte. Von wo ihn Frau Breitfeldner dann wieder abholen musste, und wahrscheinlich auch den Arsch wischen, wie Neulichedel schätzte.

Wie schließlich Julia, das engelgleiche Mädchen, nicht wusste, was sie jetzt, nach abgelegter Matura machen sollte. Ob sie studieren sollte oder einen Beruf erlernen oder weiter als Brotverkäuferin in einer Filiale einer landesweit bekannten Großbäckerei arbeiten, was sie jetzt gerade tat. Und ihr Freund Hechenberger es ihr auch nicht sagen konnte. Und Neulichedel schon nahe dran war, ihr zu sagen, dass es doch das Beste wäre, wenn sie einen reichen Mann heiraten würde oder sich zumindest von ihm aushalten ließe, schön wie sie sei, wäre das für sie doch die beste Form des Gelderwerbs. Und es dann im sozusagen letzten Moment doch nicht sagte, so wie er eben auch nichts von der Weihnachtsdekoration gesagt hatte, die noch immer am Fenster hing, obwohl es bereits Februar war. Um nicht unnötiges Ärgernis zu erregen. Wie Neulichedel stattdessen einfach sagte, dass es dann wohl das Beste wäre, wenn sie einfach noch ein bisschen Geld verdienen würde und sich dann in Ruhe überlegen könne, was und ob sie überhaupt studieren soll. Etwas, dem auch ihre Mutter und ihr Vater zustimmten. Wie Neulichedel schließlich noch einen Kaffee trank, den ihm Oskar Breitfeldner aus der Maschine gedrückt hatte. Wie darauf alles weitere in eine kleine Unbestimmtheit versank ohne wirklich peinlich zu werden.

Wie Neulichedel das schön fand. So wie er jetzt die Kellnerin hinter dem Tresen beobachtete, ihre nackten Arme, deren Muskeln unmerklich zitterten wenn sie das Bier herunterließ. Und sie ihm noch eine brachte. Und er einen kurzen Blick in ihr Dekolletee warf, aus dem sich die Spitze eines kleinen tätowierten Schmetterlings zeigte. Und sich Neulichedel fragte, wie es denn wohl wäre, wenn er die Kellnerin jetzt gefragt hätte, ob sie mit ihm nach der Sperrstunde … Und wie er das gleich im nächsten Moment vollkommen lächerlich fand, wie in einem schlechten Volksstück. Und weil die Kellnerin ja wahrscheinlich keine war, die man nach der Sperrstunde hätte verführen können oder mit ihr aufs Zimmer gehen, sondern eine Studentin wahrscheinlich, die aushilfsweise an den Wochenenden hier arbeitete. So zierlich und feinnervig wie sie aussah und nicht muskulös und total abgebrüht. Und was, wenn Neulichedel Professor gewesen wäre, und sie eine Prüfung bei ihm gehabt hätte? Aber dann wäre er wahrscheinlich nicht hierhergekommen, weil Professoren für gewöhnlich nicht in den Safariclub gingen.

Wie er jetzt in seinen Gedanken immer mehr hin und herpendelte zwischen der Kellnerin und den Breitfeldners, bei denen er heute zu Mittag gegessen hatte. Und wie diese immer mehr zu verblassen begannen. Und jetzt immer mehr der Safariclub und die Leute, die da waren, bedeutend waren für ihn, obwohl er sie überhaupt nicht kannte und sie auch gar nicht kennen wollte. Aber so war das eben halt. Und die an der Bar sitzenden Krocha mit ihren schrägt aufgesetzten Baseballmützen ein irgendwie frivoles Bild abgaben. Und wie er am Nachmittag ins wintergrüne Gehölz ging und über seine Freundin Jennifer nachgedacht hatte. Und über alles, was er die kommende Woche noch vorhatte.

Und wie die Breitfeldners ihre Welt einfach so in Kauf nahmen, und dann eines schönen Tages vielleicht einfach auseinanderbrachen, wie ein Floß eines Tages einfach auseinander bricht und seine Benützer ins Wasser fallen lässt. Und sie alle davonschwimmen, jeder und jede zu neuen Ufern. So wie es auch er vor annähernd zwanzig Jahren mit seinen Eltern gemacht hatte. Und wie so die Kälte über alles kam. Die Krocha vorne an der Theke machten jetzt einen Heidenlärm, sangen und grölten, machten Witze. Neulichedel fühlte sich ein wenig unwohl, trotzdem glaubte er, dass, wenn er jetzt fortging, sich einfach aus dem Staube machte, er noch etwas von seinem Leben versäumen würde. Aber so war es doch immer im Leben. Wenn man starb, konnte man sicher sein, dass schon in einigen Jahren etwas geschah, das man vielleicht noch nie erlebt hatte, was einem mit dem bisherigen Leben versöhnt hätte und vieles darin relativiert. So blieb er noch, bestellte sich ein Bier, sah der Kellnerin zu, wie sie ihre Gäste bediente. Lächelte in ihr schön geschnittenes Gesicht. Sie lächelte zurück. Zart und irgendwie noch unsicher.

© Helmut Schiestl

Helmut Schiestl

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