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Music and the city (Vol. XVI)

The Shape of Jazz to Come – oder: warum Innsbruck nicht New York ist und in absehbarer Zeit auch nicht sein wird

 

Im Moment brodelt es ja mal wieder in der Stadt, die niemals schläft, während Innsbruck die Trends gerade mal wieder verschläft. Was nicht heißen soll, dass das jemals anders gewesen wäre. Man denke nur an die Tatsache des Drone Festivals "Heart Of Noise", das es tatsächlich geschafft hat, viele Monate später oder vielleicht auch zu spät etwas in Innsbruck ankommen zu lassen, was anderswo schon wieder vorbei ist. Ein schönes Aufzeigen eines status quo, der schon wieder vergangen ist und von dem Innsbruck glaubt, es wäre der neue "heiße Scheiß". Er ist es natürlich nicht, sondern nur der Abglanz von einem Trend, der anderswo entstanden ist, wie beinahe alles "anderswo" entsteht, dort, im Sehnsuchtsland, das immer wieder und trotz allem Amerika heißt, und dort vor allem New York, und dort, noch präziser, auch nur ein paar Clubs.

 

The Stone…

 

Hervorzuheben ist dort der Club, dem John Zorn vorsteht und in dem allerhand Musik entsteht, die es sich tatsächlich auf die Fahne schreiben kann, etwas anzubieten, einen Grad an Neuheit zu enthalten, der doch tatsächlich spannend ist, der es schafft dieser dort stattfindenden Musik gewinnbringend lauschen zu können. Kein Genre, das sich bereits gesetzt hat, keine Konventionen, nach denen musikziert wird, schlicht das Experiment, jedoch nicht um seiner selbst willen. Dort findet, so munkelt man, eine Musik statt, die man als "nackt" bezeichnen könnte: befreit von Vorgaben, von richtig oder falsch, von der Vorstellung, wie ein Track auszusehen hat, wie mal zu spielen hat, wie Improvisation glückt und wie nicht: hier glückt einiges, manches scheitert, und einige der Speerspitzen der improvisierten Musik geben sich dort die Klinke in die Hand.

 

Jazz in Innsbruck…

 

Doch halt: gibt es nicht auch in Innsbruck ein Festival für Jazz? Ein Blick in das Programm dieses Festivals macht deutlich, dass hier der Titel des Albums von Ornette Coleman ad absurdum geführt wird: hier wird nicht der Jazz gespielt, der noch kommen wird, den heute nur eine kleine Minderheit hört, sondern der Jazz, der einmal war, Jazz verstanden als pure Nostalgie, als Regression. Man wundert sich angesichts eines solchen Programmes nicht mehr, welchen Ruf der Jazz hat und dass dieser ein wenig seltsam riecht, bereits seit langer Zeit zu verwesen beginnt. Auch der Blick in die Plattenläden Innsbrucks, bis auf eine Ausnahme, macht deutlich, wie Jazz verstanden wird: als Musik aus den vergangenen Tagen, als eine nette Erinnerung, als eine strikt kanonisierte Musikrichtung, bei der es Klassiker ebenso gibt wie ein richtig und falsch, ein gut und schlecht.

 

The Shape of Jazz to Come…

 

Zum Glück kann man seinen Blick nach New York richten, um als Jazz-HörerIn nicht vollständig zu verzweifeln, sondern etwas wiederzubeleben, was fast vergessen scheint: Jazz weniger als Musikrichtung, sondern als Haltung zu den Klängen, zur Musik, zur Innovation. Die "Jazzer" in New York, welche auf die Namen Tim Berne, Jim Black, Mary Halvorson, Peter Evans, Steve Lehman  usw. hören sind Musiker, die durch den Rock gegangen sind, die auch Popmusik kennen und mögen. Standesdünkel ist ihnen fremd, ebenso wie sinnfreie Solo-Eskapaden. Hier steht der Track im Mittelpunkt, auch wenn diese Tracks oft nur schwer zu beschreiben sind, auch wenn diesen oftmals nur schwer mit konventionellen Hörgewohnheiten beizukommen ist. Was hier zählt ist weniger das spielerische Vermögen, obwohl jedeR der Genannten dieses zweifellos besitzt, sondern die Liebe zum Klang, zu den Tönen, zur Überschreitung und zur Innovation. Die Technik dient der Erreichung des Ziels ebenso wie der Zerschlagung von ebendiesem. Diese Musik kommt nicht an, verliert sich aber auch nicht in der Detailarbeit, sondern sie ensteht letztlich in der Live-Situation, was auch die immense Live-Präsenz dieser Künstler unterstreicht. Wenn Alben enstehen, dann sind es keine "Meisterwerke", denn es ist Schluss mit Meisterwerken. Es sind grandiose Momentaufnahme eines Prozesses, der nicht zum Stillstand kommt, es sind vorübergehend eingefrorene Aufnahmen, die in der Live-Situation wieder einen anderen Anstrich bekommen werden.

 

In Innsbruck hingegen: die Verwaltung des Immergleichen, die Wiederkunft des Ähnlichen, des Vergangenen, Schal-Gewordenen, Musik die für jedeN konsumierbar ist. Diese Musik stört nicht, wenn man mit einem Bier am Marktplatz steht und schön artig auch das nächste Solo applaudierend zur Kenntnis nimmt. Innsbruck ist eben nicht New York, sondern ein netter, beschaulicher Ort mit freundlichen Menschen. Auch das muss ja wohl etwas wert sein. Aber ein kleines Stück vom Glück, das hätte man dann, musikalisch gesehen, doch gerne. Einstweilen bleibt aber zumindest der Blick auf die Nordkette und die Gewissheit, dass wir Glück hatten, in einem solch schönen, heiligen Land wie Tirol aufwachsen zu dürfen.

 

http://www.thestonenyc.com/

http://www.youtube.com/watch?v=rxcHhP3zhWU

http://www.youtube.com/watch?v=3JJL5kGwenM

 http://www.youtube.com/watch?v=__cUJLRjRwA

http://www.youtube.com/watch?v=XWl-Cp4emJo

http://www.youtube.com/watch?v=4fn7ECmhZWg


Markus Stegmayr

2 Comments

  1. Tolle Aufnahmen. Vor allem von Peter Evens. Aber Innsbruck galt ja doch wohl noch nie als Jazzhochburg, im Gegensatz zu Graz etwa oder Wien oder Saalfelden. Und das New-Orleans-Festival ist ja nett aber doch auch mehr ein touristischer Marketinggag. Hat aber auch seine Berechtigung, wie so vieles halt. Immer noch besser als Schuhplatteln und Musikantenstadel.  Und die Promenadenkonzerte bieten ja auch einige Highlights.

    • Lieber Helmut – fein, wenn dir meine Musikbeispiele gefallen.

      Ich hab die Linkliste jetzt noch ein wenig erweitert.

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