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Music and the city (Vol. VIII)

Musik für StadtbewohnerInnen muss Musik sein, die wahlweise einer Stadt entspricht, diese transzendiert oder dieser etwas entgegenzusetzen hat. Der Kolumnist hat sich dazu entschlossen, seine geliebte und gehasste Provinnsstadt dieses Mal nicht zu verlassen…
 
„Easy-Listening“…
 
…und sich stattdessen bevorzugt dem „Easy-Listening“ zu widmen und sich zu fragen, wie es sich mit dem wuchernden Werk von John Zorn und der Stadt verhält, in welcher er sich entschieden hat aufzuhalten, vielleicht auch länger zu bleiben.
Das Schaffen von John Zorn, so viel muss vorausgeschickt werden, ist nicht zu überblicken, auch nach Jahren der intensiven Beschäftigung nicht, die beim Kolumnisten darüber hinaus auch noch weitestgehend aussteht. Will man sich mit John Zorn beschäftigen, einen großen Teil seines musikalischen Schaffens besitzen, sei es in MP3-Form, in Form von CDs, LPs usw. hat man sich eine Lebensaufgabe aufgebürdet, die einen finanziell, intellektuell und in seiner ganz grundsätzlichen Gesundheit ruinieren kann. Die Musik von Zorn ist, gelinde gesagt, sperrig, voller Brüche, jedoch niemals postmodern und/oder ironisierend. Auch wenn der Mann in einem seiner früheren Projekte „Naked City“ wüste Jazz/Rock/Noise Ausbrüche auf leichte Reggea und Ska-Rhythmen folgen lässt, dann ist das nicht ironisch gemeint, sondern eben bierernst. John Zorn ist, so könnte man sagen, sicherlich kein Mensch, der immer ein Witzchen auf den Lippen hat und mit dem man unbedingt gerne in der Nacht um die Häuser ziehen möchte.
 
Der junge Mann und die Stadt…
 
Seine Musik ist darüber hinaus Musik für Spaßbremsen, für Daheimbleiber, für bleichgesichtige Intellektuelle oder solche, die es noch werden möchte. Es kommt gut sich gänzlich in schwarz gewandet durch die Straßen Innsbrucks zu bewegen, sich zugleich von der neuesten Errungenschaft von Zorn („Interzone“) beschallen zu lassen. Die Stadt, die Leute, die Straßen, die vermeintliche Schönheit von Innsbruck, all das verliert sich, wird weggeblasen, macht Raum für eine neue Wahrnehmung. Die Leute sind plötzlich pauschal verdächtig geworden, die Straßen erscheinen schäbiger, man sehnt sich nach einer Großstadt, welche die Klänge Zorns spiegelt und liebevoll in den Art nimmt. Zorn auf den Straßen Innsbrucks zu hören ist wie zu Architektur zu Tanzen (wenn man hier schon völlig gezwungen Zappa reinbringen muss und somit seine eigene musikalische Distinktion noch erhöhen will). Die Musik prallt ab, möchte sich an den bunten Wänden der Gründzeitbauten entlanghanteln, nach oben schrauben, doch sie fällt zu Boden, wieder zurück zum Hörer dieser Kakophonien, die doch eigentlich trösten wollen und einem die eigene Provinzialität austreiben möchten. Doch hat man diese erst einmal ausgetrieben, dann gibt es kein Zurück mehr. John Zorn ist eng verzahnt mit New York und jeder Note seines Schaffens, ob selbst gespielt oder für andere komponiert, hört man diese Herkunft an.
 
Musik und die Stadt…
 
Diese Musik braucht hohe Häuser, Neuheit, weniger die alte, schal gewordene Tradition, die nur hin zur Gemütlichkeit und zur „Wir-Sind-Wir-Mentalität“ führen kann. Hört man Zorn und nimmt ihn ernst, dann ist man nach dem ausführlichen Genuss seiner Klangausschweifungen gar nichts mehr: weder ein Ich, noch ein Wir, noch eine Tradition, noch Geschichtlichkeit. Man ist herausgerissen aus der Stadt, aus seinem Umfeld, hingeworfen zu einem einsamen Trauern, das dem ziellosen mäandern eines Wanderers gleicht, der sein Ziel aus den Augen verloren hat. Der Weg wird zum Ziel, doch das Ziel ist außer Reichweite geraten, verschwunden, zerfressen, vollständig zersetzt. Kafka, du hast mich wieder.
 
Vielleicht sollte der Kolumnist doch besser nach draußen gehen, John Zorn aus seiner Playlist verbannen und mit einem Lächeln im Gesicht und einem leisen Pfeifen auf den Lippen die neue Platte von Paul Simon anhören, die ja wieder ganz famos geworden ist. Bis sich John Zorn zum nächsten Mal anschickt, ihn finanziell und geistig vollständig zu ruinieren. Via Dolorosa galore.
 
(Der Link führt zu einem wundervollen Einblick in das Schaffen von John Zorn):
 

Markus Stegmayr

4 Comments

    • Ich hab kein Problem damit, dass Zorn nicht jedem/jeder gefällt. Er ist musikalisch einer meiner absoluter Lieblinge. Ich bin aber auch damit zufrieden, wenn der Text dennoch gelesen und für gut befunden wird.

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