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Music and the city (Vol. 36, Teil 2)

Das Hugo Wolf Quartett gastierte im Rahmen von „Musik+“ im Haller Kurhaus. Und lieferte ein Konzert, das gegensätzlicher nicht hätte sein können.

 

Die Bemerkung von einem mitgekommenen Kollegen hätte nicht treffender sein können, wenn er angemerkt hat, wie hochkulturell, groß- und bildungsbürgerlich das Publikum nach wie vor auf Konzerten sei, die „Neue Musik“ thematisierten. Interessanterweise geht es dabei, und auch das sollte der Abend noch zeigen, nicht immer um die Neuheit in der Musik, um die Innoviation oder den Fortschritt, sondern auch um die Rezeption und Perzeption von an sich kanonisierter Musik, die letztlich zwar nicht in ihrem revolutionären Gehalt durch ebendiese Kanonisierung „stillgelegt“ worden ist, aber doch deutlich an Sprengkraft und Provokation eingebüßt hat – was wiederum nichts mehr der Musik selbst zu tun hat, sondern mit der Lese- und Interpretationsweise. Auch die innovativste Musik wird brav, wenn sie das Publikum „falsch“ liest.

 

Die Falle…

Das Hugo Wolf Quartet gab sich redlich Mühe, dieser prekären Situation zu entkommen und tappte dabei letztlich wieder in genau die Falle, die man immer umschiffen sollte und es dabei vielleicht auch gar nicht kann, wenn man es mit einem Umfeld zu tun hat, das sich „Hochkultur“ erwartet, E- und U-Musik klar trennt und auch mal, wenn es sein muss, klar feststellt, dass man hier doch auf keinem Pop-Konzert sei und man doch nicht dauernd Fotos machen muss. Unausgesprochen ist dabei gemeint und dabei nicht nur zwischen den Zeilen sondern explizit eine Aussage getroffen die Exklusion meint und diese performativ vollzieht, wenn man nicht an der richtigen Stelle klatscht. Der Diskurs über die Musik tritt in den Hintergrund, wenn nur das Verhalten das richtig ist. Dementensprechend scheut man sich auch nicht davor, in den Pausen in den Musikgesprächen zu dillettieren. Interesse und Kenntnis vortäuschen sind wichtig, die tatsächliche Substanz sekundär.

 

 

„Neue Musik“ und die Hörgewohnheiten…

Doch das hat alles, zumindest im ersten Teil des mit 2 Stunden etwas lang geratenen Konzertes, nichts mit der Musik zu tun. Das Quarett spielte sich auf eindrucksvolle Weise vor allem durch Ligeti und Xenakis und erntete damit wohlwollenden Applaus. Es gehört zum guten Ton, neben den ganzen wirklichen Klassikern auch ein wenig „Neue Musik“ in seine Hörgewohnheiten zu lassen, damit man nicht als Banause verschrien wird. Die Meinung, dass nach Wagner die Musik endete, ist nicht mehr sonderlich angesagt, so muss man sich halt auch mit Ligeti rumplagen. Doch eigentlich freut man sich mehr, wenn man im zweiten Teil Dvorak hört, bei dem man schon fast mitklatschen und leicht mitsummen könnte, wenn es der gute Ton nicht untersagen würde.

 

An den Grenzen der Zumutbarkeit…

 

Das Hugo Wolf Quartett hat damit, ob gewollt oder nicht, sich selbst am Diskurs der Zumutbarkeit und des Grades an „Neuheit“ beteiligt, die dem Publikum zuzumuten ist. Es ist deutlich, dass eine Stunde „Neue Musik“ eigentlich schon reicht, der Applaus war bei den wesentlich leichter zugänglicheren und überwiegende tonalen Stücken im zweiten Teil um einiges heftiger. Schließlich will sich der/die HörerIn in der Musik wiederfinden und vielleicht auch hin und wieder ein Motiv wiedererkennen. Es ist schon anstrengend genug immer den Konventionen auf „bildungsbürgerlichen“ Konzerten zu entsprechen, da muss nicht auch noch die Musik durchgehend so anstrengend sein. Auch wenn das Hugo Wolf Quartett die beiden Teile ihres Konzertes sicherlich als Tag/Nacht Dichotomie angelegt hatte, die man auch als Dichotomie von Atonalität/Tonalität beschreiben könnte, wird ihre Haltung zum Sinnbild eines Publikums, das ein wenig erstarrt ist und das Revier eher verteidigt, als dass es neue „Nicht-Dazugehörige“ faszinieren und inkludieren will. Dem „Szene-Hopper“, der sich am „Heart Of Noise“ genauso zuhause fühlt wie bei einem „Neue Musik“ Konzert, hat es schwer. Seine „Nicht-Verortung“ wird ihm übel genommen, er kennt die Konventionen nicht, klatscht an den falschen Stellen und verhält sich wie auf einem Pop-Konzert.

 

„Das ist kein Pop-Konzert“…

Man könnte fragen: warum war das kein Pop-Konzert? Die Musik des Hugo Wolf Quartetts war jedenfalls viel aufregender als auf Pop-Konzerten. Schade, dass der Nachwuchs fast durchgehend fehlt, der sie statt Pop solche Musik „antut“. Und auch das hat mit der Musik wenig zu tun, sondern mit dem Anspruch an Verteidigung einer hermetischen, intellektuellen Elite oder die Behauptung, ebenjene zu sein, weil man gutes Geld für ein ebensolches Konzert ausgegeben hat.

 

Fazit:

Man müsste wieder mehr auf die Musik per se hören, die überwiegend grandios war. Und wieder merken, dass Neuheit und Offenheit unabdingbare Bestandteile sowohl der Musik als auch er HörerInnen sein sollten –  und dabei nicht während des Konzertes in Programmheften blättern, um zu wissen, was gerade gespielt wird, damit man dann darüber reden kann. Das Einlassen auf die provokante „Neuheit“ von vor allem Ligeti, könnte manche mehr verstören, als ihnen Recht ist.

 

Fotos: René Nuderscher

 

 


Markus Stegmayr

5 Comments

  1. Ja, mir hat der zweite Teil eigentlich weniger gut gefallen. Wobei die beiden Klavierstücke von Janácek noch eher auf die vorher erklungene Moderne gepasst haben als der  doch etwas zu salonmusikhafte Dvorák, den man sich auch in einem Café oder auf einem öffentlichen Platz irgend einer tschechischen oder slowakischen Stadt gespielt vorstellen könnte.

    Vielleicht hätte man ein frühes Schönberg- oder spätes Beethovenstreichquartett  als Abschluss spielen sollen, das schon mehr auf die kommende Moderne gewiesen hätte. Aber vielleicht wäre es dann zu schwer geworden.  Viellelicht wäre dann doch die zarte Erotik zweier vor mir sitzenden junge Zuhörerinnen zuerst gefroren und dann geschmolzen wie  Schnee in einem jäh hereinbrechenden Winterföhnsturm oder hätte sich in einen sich spontan gebildet habenden  jesuitischen Algorithmus aufgelöst. Dann hätten wir aber schön geschaut.und noch genauer hingehört. 

     

  2. Fast obszön, wenn Musik öffentlich inszeniert und aufgeführt werden muss. Unsere klanglich komplett verschmutze Welt giert nach Muster und Bestätigung. Aufführungen wie die obig beschriebene sind deshalb geistlos und ordinär, wenngleich ergötzlich beschrieben. 

  3. @Helmut: ja , was du schreibst stimmt natürlich schon. Vor allem auch die Tatsache, dass der Bruch zwischen erstem und zweitem Teil so groß doch nicht gewesen ist, zumindest am Anfang.

    Aber um etwas zu belegen muss man halt manchmal ein wenig grobschlächtig vorgehen.

  4. gähn. ein ganz schön langer beitrag darüber, dass man sich auf die musik und nicht auf das gesellschaftliche getue konzentrieren soll. und dann wird kaum was über die musik gesagt. schade. die trennung von U und E kritisieren, aber mühsam lange drüber nachdenken, ob das pop war oder nicht, und wenn nicht warum nicht, und ob da jetzt klein- oder großbürger im publikum waren. wann hattet ihr bei all den gedanken eigentlich zeit, euch auf die musik zu konzentrieren?

  5. @Gast99: Die Gedanken kommen ja nicht während, sondern NACH dem Konzert. Das ist das Problem von allem Schreiben, das sich mit Musik befasst: eigentlich sollte und könnte man schweigen, damit die Musik per se wirkt. Wer schreibt hebt die Musik auf eine diskursive Ebene und läuft Gefahr, letztlich nicht mehr über Musik zu schreiben, sondern über das Umfeld der Musik und deren Verortung in einem Netztwerk von Zeichensystem, Begriffen, Konventionen und anderen kulturellen Erzeugnissen.

    Nachdem man ja nicht oder nur selten die Möglichkeit hat, ein Konzert im nachhinein selbst zu rezipieren, habe ich mich dazu entschieden zu schreiben. Mit all den Problemen, die ich geschildert habe.

     

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