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Music and the city (Vol. 35, Teil 2)

Myra Melford gastierte mit ihrem „Trio M“ in der Schwazer Eremitage – und hinterließ Begeisterung, muss sich aber auch Einspruch und Kritik von Seiten des Kolumnisten gefallen lassen.

 

Myra Melford ist wohl das, was man gemeinhin als Symphathieträgerin bezeichnen würde. Ungemein bescheiden bewegt sie sich wie selbstverständlich im Ambiente der Ermemitage, ist für Gespräche zu haben und ihr Lächeln ist das, was authentisch genannt werden kann. Ihre Musik ist zum Glück aber nicht „nur“ freundlich, auch wenn ihre diese „Freundlichkeit“ in der Musik manchmal fast zum Verhängnis wird.

 

Die Jazzgeschichte…

 

Doch zuerst zum Faszinosum, das ihre Musik letztlich doch immer noch und immer wieder darstellt: sie spielt sich in einem Augenblick durch die halbe Jazzgeschichte, nur um dann bei fast schon brasilianisch anmutenden Harmonien anzukommen. Auf dem Weg, und das ist das eigentlich lohnende, wenn man der Musik von Melford folgt, ist allerhand zu holen, zu bewundern und zu bestaunen: es gibt dort den wüsten, schwer atonalen und dennoch immer auch im Gesamtkontext der hervorragenden Band eingebetteten Free-Jazz, der eigentlich kein Free-Jazz mehr ist, ist er doch mit allen Wassern des Modern-Jazz, des Post-Pop und sämtlichen Schubladen gewaschen, die vielelicht auch nicht mehr als ebendas sind. Deutlich ist aber, dass Myra Melford über ein fast schon enzyklopädisches Wissen verfügen muss, was schon da gewesen ist und was etwas sein könnte, das in die Zukunft weist. Wobei diese vermeintliche Zukunft nicht als wieder belebtes Programm der Moderne gelesen werden sollte, sondern als ein Prozess ohne klar definiertes Ziel.

 

Unterwegs ohne Ziel…

 

Diese Musik ist nie am Ziel, sondern stets „nur“ unterwegs, doch unterwegs kehrt sie immer wieder gerne bei alten Bekannten ein, verweilt dort ein wenig und macht es sich an manchen Stellen fast schon ein wenig gemütlich. Man hat das Gefühl, einiges schon so oder so ähnlich gehört zu haben, nur um dann zu merken, dass Melford doch schon wieder an anderer Stelle ist, die mehr Innovation verspricht. Der Punkt ist jedoch ein anderer und damit kommt man zum ersten Mal zurück zur beschworenen „Freundlichkeit“ von Melford: sie stößt den/die HörerIn nicht ab, sondern nimmt sie mit, holt sie ab, durchwandert immer wieder Traditionen und Motive, die einem vertraut erscheinen nur um dann zu zeigen, wie diese transzendiert werden könnten. In Radikalität und Sperrigkeit rutschst sie aber dann doch nur selten ab. Auch ihre atonalen Läufe sind stets im Dienste der Sache, feueren den Groove an, sind Teil eines größeren Ganzen. Myra erlaubt sich keine gröberen Ausreißer in die Avantgarde, sondern deutet diese Möglichkeiten eigentlich stets nur an.

 

Freundlichkeit…

 

Und da kommt die positive Freundlichkeit auch schon ihre Grenzen, denn sie scheint es nicht für notwendig zu empfinden, ihre Band in ein enges, vielleicht auch zu enges Koresett einzusperren, da es der Ästhetik des Dialogs widerspräche. Und man hat stellenweise das Gefühl, dass der Dialog zu sehr wie ein Gespräch zwischen guten Freunden klingt, die sich eigentlich blind verstehen und sehr gerne mögen, ohne sich aber künstlerisch nach wie vor stellenweise zu reiben. Man traut es sich kaum auzusprechen aber: an manchen Stellen klingt das „Trio M“ so, als ob es sich ein wenig zu gut verstünden, zu sehr vertraute, so manche Holzwege lächelnd gemeinsam geht, ohne den harten Rückweg auf die Spur zu thematisieren oder auch musikalisch umzusetzen. Myra lässt ihrer Band viel Freiraum, subjektiv empfunden zu viel Freiraum, wenn es um ihre Soli geht. Die zweifellos sehr guten Bass-Soli nehmen zu viel Raum und Platz ein, zu viel Zeit weg  für die gemeinsame Erarbeitung und Formulierung von druckvollen und eindrucksvollen Gesamtstatements der ohne Zweifel grandios eingespielten Band. Man wünscht sich manchmal, Myra hätte ein wenig weniger wohlwollend reagiert, hätte auf die Ausschweifungen ihrer Bandmitglieder ein wenig rigorser mit ihrem Spiel reagiert, das sich gegen die Tendenzen zur Ausuferung gestellt hätte. Doch das ist wohl nicht Myras Art. Sie lächelt wissend und zurückhaltend, freut sich über die Soli, steigst manchmal erst sehr spät in diese mit ihrem eigenen Spiel ein.

 

Der Möglichkeitsraum…

 

Besonders deutlich wird es beim letzten Track, was alles möglich gewesen wäre, wenn die Band immer an einem Strang gezogen hätte und an einem gemeinsamen Sound gesponnen hätte, anstatt hin und wieder abzudriften. Nämlich ein überaus kompaktes und eindrucksvolles Stück Musik, das in seiner Dringlichkeit seinesgleichen sucht. Diese Dringlichkeit fehlte dem Konzert zwischendurch leider, was aber immer noch bedeutet, dass man gestern eine Myra Melford in Höchstform erleben konnte. Und die Kritik ist letztlich ein Jammern auf höchstem Niveau. Man müsste aber nicht jammern, hätte sie nicht selbst angedeutet, was alles noch hätte sein können. Vielleicht wird man auch angesichts der hohen Qualität der Konzerte in der Eremitage langsam überkritisch und wünscht sich, dass jedes Konzert die musikalische Welt auf den Kopf stellt. Myra hat dies im Gegensatz zu z.B. Peter Evans nicht geschafft, was aber auch nicht ihre Intention gewesen sein düfte. Stattdessen wertet sie ihre Freundlichkeit zu Gelassenheit um, zu Weisheit, zu Erfahrung, die auch mal formulieren kann, dass man die musikalische Welt nicht ständig revolutionieren muss, sondern dass es manchmal auch genügt, „nur“ aus den Vollen zu schöpfen und sich durch eine Tradition von Musik zu spielen, die dem Stereotyp keinen Platz lässt.

 

Fazit:

 

So kann man gesamt gesehen den Abend als überaus gelungen, phasenweise sogar als grandios bezeichnen. Vielleicht darf man Myra aber doch den Tipp zur Fokusierung geben. Eventuell würde sie diesen Hinweis aber mit einem Lächeln vom Tisch wischen und ihrer eigenen Vision von Musik folgen, die solche Kategorien längst hinter sich gelassen hat. Sie hätte aber sicherlich interessiert zugehört.

 

 

 Foto: Markus Stegmayr

 

Markus Stegmayr

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