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Music and the city (Vol. 34 Teil 2)

Das Projekt „Wrack“ von Kyle Bruckmann ist sogar in der Welt der improvisierte Musik und des Avant-Jazz etwas Besonderes, da es disparate Elemten in einer stimmigen Soundwelt zusammenführt, der man sich nur schwer entziehen kann – und die paradoxerweise dabei gar nicht darauf setzt, einnehmend zu sein oder zu beeindrucken. Es gastierte gestern in der „Alten Gerberei“ in St. Johann.

 

Die Musik von „Wrack“  ist eigenartig und merkwürdig, wenn man zum ersten Mal mit ihr in Kontakt kommt. Auch wenn man seine Ohren bereits an anderen Acts im Avant-Jazz Bereich geschult hat, so kommen den Klangfarben und der Art und Weise des Zusammenspiels der Band „Wrack“ eine absolute Sonderrolle zu. Ihre Musik hält die HörerInnen auf Distanz, will sie nicht ganz an sie heranlassen, die MusikerInnen der Band brechen immer wieder in den Momenten der höchsten musikalischen „Ekstase“ ab und haben damit so gar nichts gemein mit dem Jazz, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, dass sich die Musiker mit dem „Kosmos“ verbinden. Das Motiv der Transzendenz und des Aufgehens des Musikers hinter der Musik und in der Musik zugunsten eines metaphysischen Gedankens der Einheit mit Welt, Umwelt und Universum – das alles sind Ansätze, die man bei „Wrack“ ganz sicherlich nicht finden wird, obwohl sie natürlich an der Tradition des amerikanischen Free-Jazz geschult sind, dem solche Methoden und Ziele sicherlich nicht fremd sind.

 

Freiheit vs. Struktur?

 

Deutlich ist jedenfalls, wenn es zur Wahl stünde, dass sich „Wrack“ zwischen der gänzlich „freien“ Improvisation und der Struktur entscheiden müssten, sie sich wohl für die Struktur entscheiden würden. Das merkt man ihren Tracks ganz deutlich an, zumal diese immer von einer starken Struktur getrieben und getragen werden, von wiederkehrenden Motiven, von erkennbaren und nachvollziehbaren Schlagzeug-Rhythmen. Wollte man somit das Verhältnis von Struktur und Improvisation beschreiben, so käme man zum Vorschlag, dass die Strukturen der Ausgangspunkt für Improvisationen, Sounds und geräuschhaften Ge- und Missbrauch der Instrumente sind. Ohne feste Bezugspunkte, ohne fixe Wurzeln in der Konstruktion eines Tracks gibt es keine Entwurzelung unde auch kein Abheben in die Improvisation und in das eindruckvolle Solo-Spiel der MusikerInnen.

 

Die Welt der Töne…

 

Das Solo spielt aber eigentlich, wenn man es genau nimmt, ohnehin kaum eine Rolle, steht es doch im Dienste der Sache, hat immer den Zweck den Track zu verzieren, zu transformieren und ihm die eine oder andere Wendung zu geben. Zumeist kehren „Wrack“ aber zurück zum Ausgangspunkt, treten als „Sieger“ aus dem Dickicht der enorm komplexen und vielseitgen Klanggebäude heraus, so als ob dieser Weg der nätürlichste der Welt gewesen wäre. Ihre Musik ist das, was man organisch nennen könnte, da sie nie angestrengt oder forciert wirkt. Das Spiel passiert förmlich von selbst und die Strukturen, die komponierten Elemente, tragen dazu bei, dass diese Leichtigkeit erhalten bleibt, da ja die  Bürde von den Musikern genommen ist, diese  Basis im Spiel erst zu komponieren, zu entwerfen, als ein komponieren im Moment, in der Situation. Die Situation wird  vor allem von Kyle Bruckmann dann selbst genutzt, der seinem Instrument, der Oboe erstaunliche Töne entlockt, die man diesem Instrument erst gar nicht zutrauen würde.

 

Das Instrument spricht für sich selbst…

 

So ist deutlich, dass es mehr um die Möglichkeiten der Instrumente ging, als um die Darstellung der spielerischen Fähigkeiten der MusikerInnen, die diese Instrumente bedienten. Es war fast so, als ob das Instrument jeweils „sprach“ und sich kein Blatt mehr vor dem Mund nahm wenn es darum ging, zu klingen wie es bisher nie sonst geklungen hatte. Das Instrument klang frei von Konventionen in Bezug auf Wohlklang, Schönheit und „Richtigkeit“. Es ist ein geräuschhafter Missbrauch im Raum, der aber wohl der eigentliche Gebrauch im Bereich der avancierten Musik ist: das Instrument klingt nicht mehr gespielt, sonder malträtiert, benutzt, ausgequetscht. Man könnte sich hier, ähnlich wie es Anthony Braxton zum Teil tut, auch vorstellen, dass es enorm interessante Anschlüsse an den Bereich Noise und geräuschafte Musik gäbe, wenn „Wrack“ sich ihrer Jazz-Wurzeln entledigen würden, zumindest temporär. Es blieb nämlich immer auch, neben einem Konzert der interessanten Töne, Sounds und schier unendlichen Klangmöglichkeiten, ein Konzert, das tief in der Tradition des (Free)Jazz verwurzelt war und es auch gar nicht so wichtig fand, diese Wurzeln zu kappen, vielmehr  ging es darum, diese Wurzeln zu pflegen und sie, wenn nötig, zu erweitern und voranzutreiben in eine Richtung, wie sie auf diesem Niveau nur wenige Acts im Stande sind zu gehen.

 

Über die Tradition…

 

Diese Richtung war ganz klar die „Neue Musik“, versetzt mit sogar noch „älteren“ Versatzstücken der klassischen Musik. Diese stellten neben den Jazz-Elementen nämlich die grundlegenden Strukturen bereit, ließen die komponierten Teile in einem farbigen Meer an Tönen erstrahlen, in denen man fast schon etwas schwelgen konnte, wenn es die Band nicht  vermocht hätte, diese Teile immer wieder aus dem Ruder laufen zu lassen, sie immer wieder so klingen zu lassen, als lägen sie leicht neben der Spur. Es schien so, als ob diese Teile jederzeit kippen konnten, ausbrechen, abbrechen. Sie waren niemals „selbstsicher“ vorgetragen in einem Sinne, dass diesen Elementen nichts passieren könnte. Sie standen stets in Gefahr von Free-Jazz-Einwürfen verdrängt zu werden. Das interessante dabei ist aber, dass diese „Verdrängung“ niemals als solche erschien, sondern vielmehr als folgerichtig, konsequent, ohne Barriere und Schere im Kopf zu Ende gedacht. Die Musik von Kyle Bruckmann ist von daher nicht in einem strukturellen Sinne völlig frei, aber sie ist frei in einem Sinne, wenn es um die möglichen Berührungen mit sich widersprechenden Teilen, Elementen und Genres geht. Und wenn man sich auf diese Verfasstheit der Musik einlässt, dann wird auch klar, was diese Musik darüber hinaus noch so ungewöhnlich macht: die erstaunliche Energie der Band, die man schon fast als „punkig“ ansehen konnte.

 

Ganz grundsätzlich und gesondert erwähnen muss man den Klang der Geige, der die Musik davor bewahrte in romantische Gewässer abzudriften, vor allem in den sogenannten „klassischen“ Passagen. Ihr reduziertes, punktgenaues Spiel, ihr Kratzen und ihre Melodieführung heben die Band noch einmal auf ein höheres Level.

 

Jazzgeschichte…

 

Ein beeindruckendes, stellenweise atemberaubend gutes Konzert, das sich (wieder einmal) mehr Gäste verdient hätte. So muss Musik klingen, die ein Bein in der Tradition hat und ein Bein in der Zukunft. Bruckmann und seine MusikerInnen haben defintiv den Kopf voll mit Wissen über die Jazz-Geschichte, sind aber nicht gewillt, diese immer nur nachzuerzählen. Sie benutzen vielmehr ihr Wissen, um sich, oftmals auch ein wenig (im besten Sinne) respektlos durch die Geschichte zu bewegen und zu zeigen, wo die Ausgänge und die Anschlüsse an das Heute sind. Und ihre Musik klingt dabei unterwegs so zeitgenössisch, wie es in diesem Bereich nur möglich ist. Ein Kunststück und eine Meisterleistung, wie man sie nicht täglich hört.

 

 

Fotos: René Nuderscher

 

 


Markus Stegmayr

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