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Music and the city (Vol. 33 Teil 2)

Craig Taborn gastierte gestern im Treibhaus. Viel zu wenige Leute waren seinem Ruf gefolgt, obwohl seine musikalische „Stimme“ so differenziert und ausformuliert wie nur möglich im Laufe des Abends erklang.

 

Auf Samtpfoten schlich sich Craig Taborn an, und das lässt sich nicht nur über seinen zurückhaltenden, bescheidenen Gang sagen, als er die Bühne betrat. Fast glaubte man, er habe sich auf der Bühne verirrt, sein Blick wanderte nur kurz zum Publikum, dann suchte er Halt und Rat bei seinem Instrument, dem Klavier. Und das Spiel auf ebendiesem hebt ihn zweifellos in den Rang eines Vijay Iyer oder Matthew Shipp – ohne dass er den Fehler begehen sollte, sich diesen zu sehr anzunähern oder diese gar zu imitieren. Sein Spiel ist eigen, eigenwillig und spannend genug, um ihn von diesen beiden großen Namen auch schon wieder abzuheben. Sein größtes Kapitel ist seine musikalische Vielfältigkeit, die Heterogenität, die aufgrund seines Einfallsreichtums und seiner Sensibilität wie aus einem Guss zu sein scheint. Man erkennt die Brüche in seinem Spiel und in seinem Schaffen kaum, weil er es schafft, diese zu überbrücken, logisch zusammenhängend darzustellen.

 

Leise begann dann das Konzert, zart berührte er die Tasten, es wirkte, als ob er sich gar nicht traute, die Tasten richtig fest anzuschlagen, sie ganz ganz grundsätrzlich mit etwas zu konfrontieren, das das Wort „schlagen“ im Wort haben könnte. Vielmehr streichelte er die Tasten, spielte die ersten Minuten einige einfache Melodien, die von Repetetion gekennzeichnet waren. Nur langsam mischsten sich Dissonanzen und „unpassende“ Töne und Akkorde in sein Spiel, der Wohlklang und die Schönheit wurden mehr und mehr getrübt, jedoch nur schleichend, fast unmerklich, im Vorbeigehen und im Prozess des Spiels und im Verlauf des Abends.

Man könnte nicht sagen, wo er letztlich damit begonnen hatte einen leichten Hang zur Atonalität und zur „Neuen Musik“ reinzuholen, wo er aufgehört hatte, sich mit fast schon pop-ähnlichen Melodien zu beschäftigen, die aber immer klangen, als hätte sie dennoch Morton Feldman geschrieben und interpretiert. Auch diese vermeintlichen Pop-Melodien waren nicht im Dienst der Wirkung, des Effektes, des Einlullens, sondern sie bildeten den Anfang einer Klimax, die sich immer mehr steigern sollte. Craig ist einer derjenigen, die eine Ästhetik des Understatements vertreten. Es geht ihm nicht in jedem Augenblick darum, sein beeindruckendes Können zu demonstrieren, sondern es geht ihm auch um das Zulassen von Einfachheit, von wiedererkennbaren Motiven, von Melodien, die nicht immer vollständig zerschlagen werden müssen, wie man es von Pianisten seiner Prägung und Stilrichtung nur allzu oft kennt. Craig mag Melodie, er mag Rhythmus, er mag Wiedererkennbarkeit, er mag Schlichtheit und Bescheidenheit, auch in der Musik.

 

Free-Jazz?

Und dennoch ist sein Spiel so geschult, dass es bereits im nächsten Moment schon tief in ein musikalisches, harmonisches und strukturelles Abenteuer kippen kann. Monk, der ja bekanntlich dem Free-Jazz nicht gerade wohlgesonnen war, war mehr als nur einmal als Inspiration für das Spiel von Taborn zu vernehmen. Sein Spiel glich dem von Monk dahingehend, dass es ihm mehr um harmonische und melodische Reichhaltigkeit ging, als um das Experiment um des Experimentes Willen. Das Spiel wirkte nie angestrengt, artifiziell, auf „gewaltvolle“ Weise forciert oder überambitoniert. Die Ambitionen waren nicht immer offensichtlich, doch derjenige der hinhörte, wurde reich beschenkt: man fand verschleppte und pervertierte Jazz-Standard-Motive ebenso wieder wie klassische Einflüsse oder auch, und das war vielleicht das erstaunlichste an diesem Abend: Klavierläufe, die sich auch gut in elektronischer Musik machen würden. Plötzlich wurde das Klavier zum Instrument, dem es darum ging, Tanzbarkeit zu vermitteln, ohne jedoch auf die Kosten des spielerischen Innovationsgeistes zu gehen. Taborn beweist fast beiläufig, dass sich „Avant-Jazz“ und „Techno“ vielleicht einiges zu sagen hätten, wenn dieser Dialog nur wieder avancierter und intensiver geführt werden würde.

 

Taborn belegt damit eindrucksvoll die These, dass Virtuosität nicht zwangsläufig zu Selbstdarstellung oder Virtuosentum führen muss, sondern dass diese im Dienst der „Sache“ bleiben kann. Wenn es ein Stück erforderte, rasende schnelle Läufe zu spielen, dann war das für Taborn kein Problem und klang wie das natürlichste überhaupt. Ohne jeden erkennbaren Kraftaufwand zauberte er im nächsten Augenblick Melodien aus dem Ärmel, die man nach dem Konzert schon fast nachpfeifen wollte.  Und ganz grunsätzlich ging man, beglückt von einem abenteuerlichen, avantgardistischen und zugleich auch wunderschönen Konzert, hinaus und fragte sich, warum sowohl Jazz als auch das Piano, vielleicht sogar in dieser Kombination noch mehr, den Ruf haben, altmodisch zu sein, wenn doch deutlich war, dass dieser Abend abenteuerlicher und innovativer war als manches, was sich als allerneuste Musik deklariert. Deutlich ist jedenfalls, dass die Innovation und die Revolution, zumindest im Fall von Taborn, auf der musikimmanenten Ebene erfolgt. Es geht weniger darum, neue Genres zu gründen oder zu verändern, sondern es geht ums Ganze, alles steht auf dem Spiel: die Musik und deren Reichhaltigkeit, Heterogenität und deren Drang zur Neuerung und zur Erneuerung. Vielleicht ist es deshalb so schwierig, über Taborn zu schreiben, seine Musik in und mit Begriffen fassen zu wollen: es geht einfach um zu viel als dass man seine Musik einsperren und beschreiben sollte. Seine Musik wirkte ebenso vertraut wie fremdartig, ebenso schön wie sperrig. Mehr kann man sich musikalisch von einem Abend eigentlich nicht erwarten.

 

 

 

 

 

Markus Stegmayr

One Comment

  1. Treibhaus – Pleiffer – schwarz-gelbe  Plakate – kein wunder dass wenig Leute Lust auf Treibhaus haben … so Hildesheim sind wir auch wieder nicht …

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