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Music and the city (Vol. 31)

„Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben“ (Joh 14,6); Gedanken zum Osterfestival Tirol und dem „Ensemble Recherche“

 

Das Ankommen beim Osterfestival ist immer wieder wie eine Heimkehr an den richtigen Ort, an einen Ort, der schöner, vielfältiger, gewagter und zugleich meditativer ist als der Rest, als der Alltag. Man hat oftmals das Gefühl, einer kollektiven Meditation beizuwohnen, vorbereitet zu werden, verbunden zu sein mit Leuten in einer freudigen Erwartung, österlicher Freude. Das einzigartige beim Osterfestival ist aber weniger die religiöse Implikation, sondern die Offenheit mit der sowohl Weg als auch Erwartung definiert und zum Teil auch erweitert werden. Es spielt dabei kaum eine Rolle, ob man nunmehr auf die Auferstehung wartet, oder ob das, worauf man wartet, ein Warten auf Godot ist. Das Osterfestival ist ein religiöses Festival, das auch für Atheisten zugänglich und genießbar ist, da die Musik und die Performances die  geboten werden von solch erlesener Qualität sind, dass auch der Ungläubigste „religöse“ Empfindungen nachvollziehen kann oder zumindest die spirituelle Dimension der Darbietungen erfassen wird.

 

Es ist jedoch nicht zwingend der Glaube, der hier im Mittelpunkt steht, sondern vielmehr die Metapher des Weges. Bei dieser anzusetzen lohnt sich beim Osterfestival ganz besonders. In einem Punkt weicht das Festival nämlich von der eingangs zitierten Passage aus der Bibel ab: es gibt bei den Konzerten und den musikalischen und sinnlichen Erlebnissen nicht nur den einen, wahren Weg, sondern ganz viele Wege, diese Kunst zu rezipieren. Auch die Musik an sich ist vielschichtig und polyphon. Mit frömmelnder, eindimensionaler Musik hat das nämlich zu keinem Zeitpunkt etwas zu tun.  Die Wege sind durchaus auch chaotisch, verwinkelt, äußerst komplex und verwirrend. Der Weg hin zu Ostern führt durch zeitgenössische Musik, durch Atonalität, durch Irritationen und durch Abweichungen von der „Wahrheit“, durch die Infragstellung ebendieser. Das Ziel gerät dabei schon mal aus den Augen, kann in den Hintergrund treten, wenn der Augenblick, die sinnliche Präsenz des Moments in den Vordergrund tritt. Dann verliert man aus den Augen, worauf man letztlich wartet, hofft, wofür man betet, was man erwartet.

 

Auch die Musik vom Ensemble Recherche, deren Aufführung der Kolumnist gestern beiwohnen durfte, spricht genau diese Sprache und löst diesen Widerspruch nicht auf. Der Weg hin zur Wahrheit führt über Komplexität, Leichtfüßigkeit, Ernsthaftigkeit und Spielfreude. Einfache Antworten oder gar Musik zur religiösen Erbauung kann man sich hier nicht erwarten. Das Ensemble versteht sich wohl auch nicht als ein Ensemble, das religiöses Repertoire zum besten gibt. Es ist auch der feinfühligen, fachkundigen Leitung von Hannah Crepaz zu verdanken, dass solche Musik beim Osterfestival immer auch Platz findet, mit steigenden Besucherzahlen. Man will es sich zum Glück auch leisten, neben großen Werken von Bach auch „Neue Musik“ stattfinden zu lassen und zu zeigen, dass auch diese Musik von enormen spirituellem Wert ist, auch wenn sie zum Teil gar nicht darauf angelegt ist.

 

Das Ensemble Recherche spielt sich durch die Werke von zeitgenössischen Komponisten, die (noch) nicht den Rang von Klassikern haben, sondern deren Rezeption und deren Einschätzung noch nicht ganz so einfach, noch unangeschlossen ist. Genau das macht die enorme Vitalität dieses Ensembles aus: Es scheint deren Intention zu sein, die Rezeption und die Kanonisierung dieser zum Teil außergewöhnliche Werke voranzutreiben, mit aller Kenner- und Könnerschaft, die dafür notwendig ist. Wie variantenreich sie sich durch die Werke spielen, wie wunderbar sie mit Geräuschen, mit Atem, mit Stille und Pausen arbeiten ist stellenweise schlicht atemberaubend.

 

Das Osterfestival ist, wie eingangs angedeutet, Heimat geworden, ein Ort, an dem man sich wohl fühlt, der allerdings niemals heimelig ist oder es einem zu einfach macht. Es ist ein Ort, der herausfordert, Neues ins Programm setzt, Irritation genauso schätzt wie die Tradition. Das Osterfestival gehört mit zum Besten, was man sich in Tirol derzeit ansehen und anhören kann. Das Festival läuft noch und zu einem Besuch wird dringend geraten.

 

http://www.osterfestival.at/

 

 

 

 

 

 

Markus Stegmayr

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