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Music and the city (Vol. 27)

Auf dem "Highway To Hell" befindet sich derzeit der Pianist Jens Thomas, der mit "Speed Of Grace" ein Album vorlegt, das sich nicht so leicht verdauen lässt

 

 

Der in Berlin lebende Jens Thomas galt und gilt als Hoffnung in Sachen Musik, die man im entferntesten Sinne wohl doch noch als Jazz bezeichen und beschreiben würde. Er ist zweifellos ein Klaviervirtuose, der sich sein Instrument und die Beherrschung ebendieses schwer erarbeitet und dieses Instrument natürlich auch studiert hat. Wie kommt der Mann also ausgerechnet darauf, AC/DC zu "verjazzen", die Songs, die er anerkennend als "schamanisch" bezeichnet, in eine andere musikalische Welt zu transferieren? Das Ergebnis wird dabei wahlweise als "verkitschter Kammerjazz" bezeichnet oder es wird auch die "Fistelstimme" von Thomas bemängelt, der sich hier wohl nach Sting-Interpretationen aus jüngerer Vergangenheit endgültig viel zu weit aus dem Fenster gelehnt hat. Rückmeldungen von AC/DC Fans stehen bis dato leider aus, somit kann nicht gesagt werden, wie die Urteile aus dieser Perspektive ausfallen würden. Was jedoch deutlich ist, dass all diese Kritiken letztlich am eigentlichen Punkt vorbei zielen, und dieser Punkt ist ganz einfach zu benennen: Jens Thomas SINGT, und das genau ist das revolutionäre an dieser Produktion.

 

 

Es ist weitestgehend verpönt, als Pianist zu singen, es sei denn, man verwendet das Piano nur als Hintergrundinstrument, gleichsam zur Begleitung der eigenen Songs. Will man jedoch avancierte Musik machen, etwa in Richtung Keith Jarrett, so hat sich das Piano selbt zu genügen, seine Möglichkeiten sind schließlich noch nicht wirklich ausgeschöpft, endlose Akkordvariationen warten darauf auch noch in eine neue Abfolge gebracht zu werden. Deutlich wird das vor allem bei zwei Leuten, die zwar eigentlich "singen", sich aber nicht trauen, das dann auch wirklich deutlich hörbar zu tun: Glenn Gould und Keith Jarrett, zweifellos zwei der wichtigsten Pianisten der letzten Jahrzehnte. Sie beide summen mit, unterstützen ihre Tracks mit Gesumme, mit Gemurmel usw. Nur: keiner traut sich WIRKLICH die Stimme zu erheben und seine eigene Gesangsstimme zu Gehör zu bringen. Stattdessen wirken beide gehemmt, gebückt, ganz in ihrem Instrument aufgegangen.

 

 

Dort setzt Jens Thomas an: "Speed Of Grace" ist sein Versuch damit zu brechen, neue Möglichkeiten aufzutun: endlich zu  singen, seiner Stimme zu trauen, sich zu befreien, von alten Dogmen. Er wählt dazu kraftvolle Tracks von AC/DC, natürlich ist das auch eine weitere Provokation an all die Klavier-Puristen. Harmonisch bleibt, bis auf einzelne Licks der Originale, dabei kaum ein Stein auf dem anderen. Und das gute ist: die Platte ist zwar ein Befreiungsschlag für Thomas, was den verstärkten Einsatz seiner Stimme betrifft, doch auch viel mehr: nämlich ein Konzept, das verschroben ist und dennoch prächtig funktioniert. Niemals hat diese Platte etwas gimmickhaftes an sich, dazu meint er es zu ernst: er hat Jahre mit diesen Liedern verbracht, sie neu arrangiert, bis zum Skelett entkleidet, in ihrer Harmonik und in ihrer Struktur analysiert, nur um sie dann zum Teil völlig anders zu interpretieren und neu zusammenzusetzen. Er macht sich über die Originale dennoch niemals lustig, er nimmt sie ernst in dem, was sie sind: mächtige, lärmende Hardrock-Tracks, die eine befreiende Wirkung haben können und zu weit mehr taugen, als nur Stadien zu beschallen. So werden sie für ihn Vehikel zur Befreiungen eines zu eng gefassten Begriffs von Klaviermusik. Und ganz nebenbei wird auch die Unterscheidung zwischen E- und U hinfällig, da sich Jens Thomas ebenso als Musiker wohl fühlt, der für die Bühne schreibt, wie auch als Musiker, der Sting und AC/DC vertont.

 

 Hörbeispiele, auch Rückmeldungen von AC/DC-Fans gewünscht:

http://www.youtube.com/watch?v=vQg7DK4X3bg

http://www.actmusic.com/product_info.php?products_id=346&osCsid=b3c7ac61052c78530286475573b05b9d (Labelseite mit zwei Hörbeispielen)

 

 

 

 


Markus Stegmayr

2 Comments

  1. als echten ac/dc-fan würde ich mich nicht bezeichnen, aber es ist ganz interessant, wie diese songs so "kommen". sicher keine ganz leichte kost, aber interessant umgesetzt.

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