1

Music and the city (Vol. 2)

Der Umgang von Lissie Rettenwander mit Ton, Musik und Stille ist einzigartig – ein Versuch über Pausen, Brüche und den richtigen Umgang mit Klängen.
 
Es ist erstaunlich, wie sich Lissie Rettenwander an die Töne ihrer Lieder anschleicht, sich heranpirscht. Es ist beinahe so, als würde sie es nicht wagen, diese zu stören, sie in ihrem So-Sein nicht unterbrechen wollen. Die Töne sind scheue Rehe, die man nicht verscheuchen darf, darum hört man sie auch in ihren Konzerten manchmal flüstern, leise vor sich hin singen.
 
 
„All is full of … sounds“

Alles ist voll von Tönen, Klängen und Geräuschen, sie sind alle schon da, im Raum, anwesend, präsent, bereit gefunden zu werden. Lissie will sie möglichst auffangen, ihnen einen Platz anbieten und sehen, ob sie sich in eines ihrer Instrumente einnisten wollen. Sollte sie das schaffen, und wer ihre Live-Konzerte kennt weiß, dass das sehr oft der Fall ist, dann singt sie ihnen manchmal eine Form von Schlafliedern vor, um sie zu besänftigen und sie nicht zu verängstigen. Aus Respekt vor ihnen beginnt sie immer wieder zu singen, ihre Stimme erhebt sich, doch wird nie zu laut, sie bleibt stets zurückhaltend, merkwürdig still, verschüchtert, in sich gekehrt. Auch ihre Stimme selbst möchte sie nämlich nicht verjagen, sie nimmt sie als Geschenk und als Gabe, die sie selbst nicht beherrschen kann. Ihre Stimme und ihr Gesang überkommen sie, ihre Texte haben nicht immer einen Sinn, wie man es von einem konventionellen Songtext erwarten würde. Ihre Texte sind oftmals nur Laute, die nach einer Sprache klingen, die Englisch sein könnte.
 
… hin zur brüchigen Semantik

Doch eigentlich zählen ohnehin nur die Laute, das wunderbare Geräusch, das ihre Stimme ist. Die Sanftheit, mit der Lissie mit ihren Liedern, mit ihrer Stimme und mit den Tönen umgeht, möchte sie dabei auch auf ihre ZuhörerInnen übertragen. Diese mögen sich ihre Lieder im besten Fall selbst konstruieren und erbauen, die Leerstellen und die Pausen füllen oder auch einfach leer lassen. Diese Pausen sind mehr als Zwischenraum und viel mehr als nur ein Moment vor dem nächsten angeschlagenen oder gesungenen Ton. Es sind Orte, Räume, in denen man sich bei ihren Konzerten aufhalten möchte und soll. Sie sind Aufforderungen auch die Stimme zu erheben, auch nach der eigenen Stimme zu suchen – denn Lissie ist kein Star, niemand, der ein großes, erhabenes Musikerleben vorleben und vormachen möchte, sondern ihre Kunst muss als Aufforderung gehört und verstanden werden: geht in den Wald und singt einfach, hört auf die Laute, die eure Stimme hervorbringt. Dass diese Aufforderung kein Zwang ist, sondern genau aus Zurückhaltung und Stille entsteht, ist das Einzigartige an ihrer Musik. Die brüchige Semantik ihrer Lieder ist ein Angebot für eine bessere und musikalischere Welt.
 

Ganz wunderbare Musik von Lissie gibt es hier:
 
Lissie Rettenwander ist diesen Samstag übrigens live zu sehen:
 

Markus Stegmayr

One Comment

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert