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Licht ins Dunkel

Es ist gar nicht so einfach, in Innsbruck ein angenehmes Lesecafé zu finden, in dem man mehrere Stunden bei gutem Licht lesen kann. Die meisten Lokalitäten dimmen ihr Licht meistens so weit herunter, dass sich ein gegenübersitzendes Paar gerade noch sehen und vielleicht auch küssen kann. Und das sollte für das Aufkommen der Gefühlsromantik ja auch schon genügen. Nur was ist mit all denen, die nicht das Glück haben, sich im Café der trauten Zweisamkeit zu widmen oder es auch gar nicht wollen, und es stattdessen vorziehen,  ein Buch oder eine Zeitung zu lesen? Schließlich besteht die Gästeschar eines Cafés ja nicht nur aus verliebten Liebespaaren oder solchen, die es vielleicht noch werden wollen. Und was ist mit den Liebespaaren, die sehenden Auges in ihre Liebe gehen wollen? Die die Schönheit der Gesichtsmuskulatur ihres sprechenden Gegenübers bewegt. Sich in die Augen sehen. In Liebe vergehen, dabei muss es ja nicht taghell sein, aber auch nicht zapfenduster. Und vor allem: Was ist mit all denen, die sich der Schönheit des Lesens hingeben bzw. hingeben wollen? Wie sollen sie vorankommen, Zeile für Zeile, und Buchstaben für Buchstaben sich herantasten an das Gelesene, bei schlechter Beleuchtung. Fragen über Fragen.
 
Soll der Leser / die Leserin scih bei der Kellnerin beschweren, oder gar gleich den Chef / die Chefin des Lokals aufsuchen und fragen was los ist mit dem Licht? Würde man damit nicht sofort seinen Ruf als freundlicher Gast verlieren oder vielleicht doch eher den des Lokals als besonders Leser/innenfreundlich in Frage stellen? Was ja gar nicht so schlecht wäre vielleicht, oder?  So tut man erst mal nichts. Legt das Buch weg, als das Licht noch mehr heruntergedimmt wird, überlegt sich schon den Kauf einer jener Leselampen, mit Batterie betrieben, die aber doch etwas unförmig sind, und, so man sie nicht immer benötigt, gleich mal ihre Leuchtkraft verlieren, weil die Batterien inzwischen leer geworden sind.
So bleibt nur der Blick auf die Schönheit einer gegenübersitzenden Frau, auf das Aufblitzen ihres Schlüsselbeins im fahlen Licht oder im Halbdunkel vielleicht. Dazu die Musik aus der Konserve, Kitschpop, akustische Umweltverschmutzung, jetzt noch weihnachtlich aufgepeppt mit Chinglebells und Wishing for a white Christmas.
 
Aber was ist das alles gegen das leichte Aufzucken eines Mundes oder dem gewandten Heben einer Augenbraue. Und noch ehe man sich’s versieht und man beschließt, sich in das kalte Draußen zu flüchten, mit leichtem Schneegestöber und feinen Eiskristallen, hat einen die hübsche Kellnerin ein Glas köstlichen Punsch hingestellt. Und man ist versöhnt, versöhnt mit ihr, mit sich und all den anderen. Und wartet erst mal ab, was der Abend noch so bringen wird.

 

Helmut Schiestl

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