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Wer flüchtet, ist doch selber schuld?

flucht foto

Das Thema Flucht beschäftigt mich schon länger, da ich immer wieder mit den Menschenrechtsverletzungen von dem europäischen Grenzschutzdienst Frontex konfrontiert bin. Ich empfinde Trauer und Wut, wenn ich an die Opfer des Mittelmeeres denke und daran, über welche „Lösungen“ die EU diskutiert.

Oft erschrecke ich aber auch, wenn mir vor Augen geführt wird, wie gut wir diese Realität verdrängen können und wie herzlos manch einer von uns über Flüchtende denkt. Diesen Text habe ich verfasst, damit das gegenwärtige Sterben nicht in Vergessenheit gerät, weil Anteilnahme meiner Meinung nach nicht von einer Staatsbürgerschaft abhängig sein sollte.

Wir zählen: 400, 700, wer wird noch sterben?
Die Dunkelziffer wird noch höher geschätzt.
Diese Zahlen sind unbegreiflich, unvorstellbar.

Menschen ertrinken und sterben und ihr überlegt lediglich, wie ihr euren Ausreden Gewicht verleihen könnt.
Euer Mitgefühl reicht nicht weiter, als bis zu den Grenzen.
Euer Vorstellungsvermögen sperrt ihr in eine kleine Kiste, um nicht berührt zu werden.

Es wird nicht mehr getrauert, nicht mal mehr daran gedacht. Es existiert nur mehr Kälte und ein erschreckend unmenschliches „sind doch selbst schuld, wären sie nur dort geblieben, wo sie vorher waren“.
Auch wenn ich keinem Krieg wünsche, hoffe ich doch, dass alle diejenigen, die jede Menschlichkeit gegenüber Fremden abgeworfen haben, einmal nachvollziehen können, wie es ist, zu flüchten, um dem Tode zu entkommen. Selbst wenn dies nur in einem Alptraum geschieht.

Ich würde mir wünschen, dass sie nur ansatzweise die Angst und den Schmerz verspüren könnten, die Furcht um das Leben und das seiner Liebsten und die Hoffnung auf ein Leben ohne Krieg, auf ein gutes Leben. Und das Gefühl, dass einem diese Hoffnung dazu bringt, weiterzumachen. Denn in Lebensgefahr schwebt man so oder so, nur dort wo Hoffnung ist, dort wächst auch Mut. Und dann wenn deine Liebsten auf diesem Boot sind und ertrinken, würde ich mir wünschen, dass jemand zu dir sagt: „Selbst schuld, wärt ihr doch dort geblieben“.

Und ja, mich hat dieses Unglück selbst sehr berührt und die Trauer ist natürlich berechtigt, aber können wir wirklich nur mehr mitfühlen, wenn 150 Europäer bei einem Flugzeugabsturz sterben? Dann wird nicht nach Ausreden für die eigene Gefühlskälte gesucht, dann wird nicht allen Opfern die Schuld zugeschrieben, dann wird nach Lösungen gesucht und danach, wie man zukünftig Menschenleben retten könnte.
Aber betrifft es unzählige Flüchtlinge, schweigt Europa und es herrscht keine Trauer, nicht mal ein Anzeichen an Berührung??

Das also macht uns Europäer aus, dass wir klassifizieren und uns an oberste Stelle platzieren und der Rest interessiert uns nicht. Der Rest soll vor unseren Grenzen zu Grunde gehen.
Daher sind uns ein Jahr zur Rettung von tausenden Menschenleben „Fremder“ nicht mehr wert, als der nächste Gipfel der Staats- und Regierungschefs in Elmau.

Sind uns die Leben Fremder gar nichts mehr wert?
Ist das aus Europa geworden? Arrogante Beobachter und Kritiker von Elend zwischen Glamour und Wohlstand?

Ich will meine europäischen Wurzeln auskotzen, um nicht länger zu euch zu zählen, denn mittlerweile seid ihr mir so peinlich, als wärt ihr das schwarze Schaf unserer Familienwelt, voller Habgier und Schein, aber ohne eine Seele.

Rafaela Schindlegger

Foto: Christian Niederwolfsgruber

Gast

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