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Warten auf Karim und Mathilde

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„Die Theatergruppe probt im ersten Stock“ sagt mir die Frau beim Eingang im Haus der Begegnung. Also mache ich mich auf in den ersten Stock, öffne die Türe und habe für einen Moment das Gefühl mich in einem seltsamen Zwischenraum zu befinden. Es ist halbdunkel und ich werde sofort Teil einer ganz eigenen Stimmung. Plötzlich geht das Licht an und ich höre tosenden Applaus. 12 Menschen, die unterschiedlicher nicht sein könnten, stehen vor mir und motivieren sich gegenseitig mit dem Beifall.

Um nicht weiter zu stören, winke ich nur kurz, schleiche mich vorbei und setze mich auf einen Stuhl an den Rand. Die Gruppe rund um Christof Heinz und Roman Wegmann, Theaterpädagogen und Gründer des Kunstkollektivs ARTerie, sammelt sich in der Mitte des Raums zu einem Kreis, um die bisherige Arbeit zu reflektieren und die nächsten Schritte zu planen. Denn Grundsatz des Kunstkollektivs ist es, Menschen MIT IHREN EIGENEN GESCHICHTEN in den Vordergrund zu rücken, ihnen eine künstlerische Ausdrucksform verleihen. Seit Anbeginn bringt das Kunstkollektiv durch seine Arbeit Menschen mit und ohne Fluchthintergrund zusammen, um sich in einem theaterpädagogischen Prozess gemeinsam mit gesellschaftlichen und politischen Themen auseinanderzusetzen.

So hat sich auch dieses Grüppchen, welches nun vor mir im Kreis sitzt und hoch konzentriert thematisch zusammenarbeitet, erst vor ca. zwei Wochen durch Interesse an einem gemeinsamen Vorhaben zusammengewürfelt. Sie werden ein Theaterstück zum  Thema „Auf der Flucht“ erarbeiten, welches bei der Lesung zum gleichnamigen Buch von Karim El-Gawhary und Mathilde Schwabeneder am 25. September, dem Langen Tag der Flucht, im Innsbrucker Treibhaus einführend gezeigt wird.

Die Probe läuft bereits seit mehreren Stunden, aber den teilnehmenden AkteurInnen sind keine Müdigkeitserscheinungen anzumerken. Hochkonzentriert arbeiten sie an ihrem Werk, dabei werden Arbeitsanweisungen und Diskussionsbeiträge selbstverständlich und in aller Ruhe übersetzt, Witze gemacht und gemeinsam gelacht. Spielleiter Christof Heinz schafft es meist nur schwer, an einem Platz sitzen zu bleiben. Seine Arbeitsanweisungen sind ein Theater für sich, getragen von der gesamten Palette der menschlichen Emotionen. Und genau deshalb schafft er es, gemeinsam mit seinem Kollegen Roman Wegmann, wie kein Zweiter, wildfremde Menschen in kürzester Zeit zu einer Familie zu machen. Eine Familie, die als eingeschworene Gruppe zum Sprachrohr für die Geschichten ihrer Mitglieder wird und ihnen so eine Stimme verleiht. Und dabei ist es vollkommen gleichgültig, ob du Flüchtling bist oder nicht. Hier sind alle KünstlerInnen. Denn, wie Augusto Boal sagte: „Jeder kann Theater spielen – sogar die Schauspieler.“

So, jetzt wird es ernst. Die letzten Anweisungen noch und dann ein ganzer Durchlauf. Licht aus. Gänsehaut.

BIRGIT HOHLBRUGGER

Bild: Christof Heinz und Roman Wegmann. Foto von Hazim Karahasanovic

 

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