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Stille Post

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Ein neuer Versuch, zum Beispiel, wenn man sich verliebt hat, undeutlich werden, am Anfang ganz gering nur, dann immer mehr. Ein immer stärkeres Undeutlichwerden. Bald dann, später, aus der Undeutlichkeit, die am Anfang vielleicht nur noch ein Spiel ist, langsam heraustreten und so Ernst werden lassen.

Um seine Beziehung und spätere Ehe „frisch zu halten“, wie B. sich ausdrückte, tat dieser zum Beispiel folgendes: Wenn er seiner Geliebten und nachmaligen Ehefrau ein Geschenk machte,  so verpackte er dieses sorgfältig oder ließ dieses auch gleich im Geschäft verpacken, schrieb ihre Adresse – die zugleich auch die seine war – drauf, trug es auf die Post und gab es dort auf. Den Absender ließ er weg. Die Geliebte und spätere Ehefrau suchte nach irgendeinem Absender, fand keinen und wunderte sich. Später dann ahnte sie allmählich, von wem es wohl gekommen war, und bedankte sich dann bei nächstbietender Gelegenheit bei B. Da war es dann schon zur Gewohnheit  geworden. B. tat dann zwar so, als wüsste er von nichts, doch auch das war mittlerweile zum festen Bestandteil ihres Beziehungs- und späteren Eherituals geworden. Alles löste sich dann in allgemeiner Heiterkeit auf, und seine Geliebte fiel ihm um den Hals und gab ihm tausend Küsse, was natürlich von B. nie wirklich nachgezählt worden war, sondern nur einem groben Näherungswert entsprach. Aber da B. von Beruf Statistiker war, durfte die Schätzung sicher nicht allzu weit danebengelegen sein. So schön konnte Liebe sein!

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B. litt einfach an der Unfähigkeit, jemandem ein Geschenk überreichen zu können. Das war schon immer so gewesen bei ihm. Er konnte teure Geschenke kaufen, das war überhaupt kein Problem gewesen bei ihm. Und er las seiner Geliebten und späteren Ehefrau auch jeden Wunsch von den Augen ab. Ebenso seinen Freunden, denen er auch Geschenke machte, aber eben nur per Post, ohne Post wäre B. völlig aufgeschmissen gewesen. Ja B. hätte sich vielleicht sogar früher oder später das Leben genommen, obwohl er ein fröhlicher Mensch gewesen war, wenn es die Post nicht gegeben hätte. Ja schließlich ließ B., hocherfreut über eine so wunderbare Einrichtung wie sie die Post für ihn darstellte, jedes Jahr zu Weihnachten der Schalterbeamtin, bei der er immer die Geschenke aufgab und deren Namen er sich vorher unauffällig notiert hatte, durch ein Parcel-Service ein Geschenk überreichen, das er vorher sorgfältig in einem Geschäft ausgesucht hatte.

B. war einfach ein komplizierter Mensch und hätte auch gar nichts dagegen gehabt, von seinen Freunden und Mitmenschen als ein solcher bezeichnet zu werden. Seine Geliebte und spätere Ehefrau liebte er über alles. Seine Freundinnen und Freunde schätzte er, und die, die mit ihm beruflich oder sonst wie zu tun hatten, wussten nichts Schlechtes über ihn zu sagen, hätte sich aber jemand bemüßigt gefühlt, B. jegliche Fähigkeit zu Gefühlsäußerungen abzusprechen, so wäre er damit völlig im Irrtum gelegen.  Denn B. tat nichts lieber als am Abend, wenn er von seiner Arbeit nach Hause kam, sein Gesicht zwischen den Brüsten seiner Frau zu vergraben, sonst nichts, nur dieses. Aber dieses ganz und lange. Und während der ganzen Nacht hielt er, neben ihr im Bett liegend, ihre Hand Das war fast ein artistisches Kunststück und verdiente allen auch nur erdenklichen Respekt, welchen ihm seine Ehefrau auch bereitwillig entgegenbrachte. Ebenso selbstverständlich war es, dass B. während der ganzen Zeit seiner Ehe nicht ein einziges Mal fremdgegangen war.

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Auch gab es zwischen den beiden nie einen Streit. Kam es einmal zu einer Unstimmigkeit oder Uneinigkeit zwischen dem Paar, so wurde diese von diesem nur schriftlich ausgetragen.  Sobald also ein Misston in ihrer beider Kommunikation aufgetreten war, zog sich B. sofort in sein Zimmer zurück und begann seiner Ehefrau einen Brief zu schreiben, in dem er dann alles weitere klar und nüchtern darlegte. Alle Gründe, die für oder gegen einen Sachverhalt sprachen, den seine Ehefrau anders sah als er. Selbstverständlich war diese somit gezwungen gewesen, sich ebenfalls nicht der verbalen Raserei hinzugeben, sondern ihre Argumente gleichfalls in einem Brief ihrem Ehemann mitzuteilen, in dem sie dann ihre Beweggründe für ihr Verhalten bzw. ihre Sicht des Sachverhalts auf das ausführlichste darlegen konnte. Die Briefe wurden dann immer still und heimlich auf dem Nachtkästchen des jeweils anderen platziert, manchmal aber auch – je nach Schwere des Streitfalles – ganz einfach auf dem „üblichen“ Postweg befördert.  So konnte es also durchaus vorkommen, dass sich B. noch spätabends still und heimlich aus dem Hause schlich, um den nächsten Postkasten aufzusuchen, wozu manchmal dann selbst vorher noch ein Briefkartenautomat gesucht werden musste, dann, wenn B. keine Briefmarke mehr zu Hause hatte, was allerdings äußerst selten vorkam. Und das bei jeder Witterung – also egal ob es stürmte und schneite oder inmitten eines heftigen Sommergewitters – um den Brief noch rechtzeitig aufzugeben, so dass ihn seine Ehefrau bereits am kommenden Morgen erhalten konnte. Ebenso hielt es natürlich auch diese. Auch sie musste ihre Argumente  verbrieflichen  und so auf schnellstem Wege über die Post zu ihrem Mann gelangen.

Die Briefe wurden dann am nächsten Tag vom jeweiligen Adressaten sehr sorgfältig gelesen, alle Einwände die gegen  das Vorgebrachte oder gar Vorgefallene oder Vorzuhabende sprachen, auf das ausführlichste und genauestens überlegt. Man setzte sich dann am Abend  des Tages noch einmal zusammen und besprach die Sache erneut, mit Hilfe der in den Briefen vorgebrachten Argumente.  Jetzt schon ein wenig abgeklärter als noch am vorhergegangenen Tag. War der Streit aber schwerwiegender – was jedoch nur äußerst selten der Fall war, denn  wie gesagt, B. liebte seine Ehefrau und diese liebte ihn  – wurde ein weiterer Brief geschrieben, derselbe Vorgang wiederholte sich also noch einmal. Und so ging es dann hin und her, bis eine Lösung für das Problem gefunden worden war. Auf diese Weise wurde nie zwischen den beiden gestritten. Die Nachbarn konnten  sich also nie an eine lautstarke Auseinandersetzung der beiden erinnern. Nur hie und da ein noch zu später Stunde erfolgendes Aufsperren und Wiederschließen der Haustüre und ein eiliges Davontrippeln von B. bzw. seiner Ehefrau. So folgte im Leben der beiden ein Tag auf den anderen, eine Nacht auf die andere, ein Monat auf den anderen, ein Jahr auf das andere. Als schließlich zwei liebe putzige Kinder auf die Welt kamen, wuchsen diese in schönster Harmonie und Liebe heran und lernten schließlich ebenso, ihre Konflikte mittels Briefen auszutragen ohne auch nur einmal zu andren Mitteln zu greifen, wie es bei Kindern ansonsten doch meistens die Regel ist.

So verlebten B. und seine Ehefrau und später dann auch deren beider Kinder dank der wunderbaren Einrichtung der Briefpost den Rest ihres Lebens in Geduld und gegenseitiger Rücksichtnahme, so dass sich die Postdirektion anlässlich des fünfzigsten Hochzeitsjubiläums des Ehepaares B. veranlasst sah, jenem eine üppigen Geschenkkorb, versehen mit den besten Wünschen für Gesundheit und noch vielen weiteren glücklichen gemeinsamen Jahre, zu überreichen, den das Ehepaar B. freudestrahlend entgegennahm.  Und als B. schließlich das Zeitliche gesegnet hatte, gab es einen wunderschönen Kranz für den Verstorbenen ebenfalls von der Postdirektion. Die Kinder der beiden aber pflegten sein Vermächtnis in ehrendem  Angedenken und setzten es fort, zuerst noch mit ihrer Mutter, so lange diese noch lebte, und als schließlich auch diese starb, pflegten sie B.s‘ Vermächtnis mit ihren Familien fort.

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Helmut Schiestl

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