0

Soziale Proteste in Innsbrucks Partnerstadt Sarajewo

SarajewoWährend sich in Innsbruck viele über das Ausbleiben des Winters und den zweifellos ziemlich mühsamen Föhn beklagen hat in Innsbrucks Partnerstadt Sarajewo, der Hauptstadt von Bosnien Herzegowina, bei angenehmen 17 Grad ein „bosnischer Frühling“ begonnen, ein „Frühling der Menschenrechte“, wie mir ein Freund aus Sarajewo schreibt.

Sarajewo und Innsbruck verbindet unter anderem die Tatsache, dass beide Städte Austragungsorte von olympischen Winterspielen waren. Man erinnert sich in Bosnien gerne an die guten alten Tage, an bessere Zeiten, und so ist es kein Wunder, dass man gerade jetzt, genau 30 Jahre nach der Austragung der Spiele in Sarajewo 1984, zumindest medial den nostalgischen Erinnerungen an eine Stadt in vollem Glanz frönt. Sarajewo als Mittelpunkt der Weltöffentlichkeit im positiven Sinne, das sollte es nach 1984 für eine lange, lange Zeit nicht mehr geben. „Wenn du Sarajewo jetzt schon so liebst, dann hättest du es vor dem Krieg sehen müssen“ habe ich oft gehört und meist schweigend beobachtet, wie in den Augen meiner Gegenüber ein geheimnisvoller Glanz aufblitzte, verbunden mit einem Anflug eines Lächelns, das meist schnell auch wieder vorüber war. Die olympischen Stätten in Sarajewo sind kriegsbedingt völlig zerstört, geblieben ist das freche Grinsen des damaligen Maskottchens „Vu?ko“ auf den T-Shirts in den Souvenirläden der Altstadt.

Und überhaupt kommt die mediale Nostalgieoffensive bei den Menschen in Sarajewo dieses Mal nicht so richtig an, weil diese nämlich auf die Straße gegangen sind, um den Unmut über ihre schlechte Situation hier und heute kund zu tun. Begonnen hat es in Tuzla mit Protesten wegen geplanter Privatisierungen von einigen Firmen und dem damit einhergehenden Verlust von tausenden Arbeitsplätzen. Dies war der Auslöser, schnell weiteten sich die Proteste auf viele andere Städte in Bosnien Herzegowina, darunter auch die Hauptstadt Sarajewo, aus. Die Zündschnur ist kurz, die Frustration hat sich seit dem Krieg bereits 20 Jahre lang aufgestaut. Anstatt sich vorwärts zu bewegen schien es in den letzten Jahren fast so, als würde sich der Staat zurück entwickeln, Stagnation wäre eine unzulässige Beschönigung. Die höchste Arbeitslosenrate am Balkan, ein ineffizienter und viel zu komplexer Regierungsapparat, eine politische Elite, die sich vor allem selbst bereichert, Kriegsveteranen und PensionistInnen, die bettelnd auf der Straße stehen, ein Durchschnittslohn von 400 Euro wenn überhaupt, Korruption und und und…

Die Wut über all diese prekären Zustände auf der einen und der sich selbst bereichernden und sich dabei ins Fäustchen lachenden politischen Elite entlud sich vielerorts in gewaltsamen Auseinandersetzungen mit der Polizei, Regierungsgebäude wurden von einigen DemonstrantInnen gestürmt und in Brand gesteckt. Unter Anderem, so heißt es, sei dabei das Nationalarchiv in Sarajewo völlig ausgebrannt, nachdem es zuvor drei Kriege überstanden hatte. Einige vermuten dahinter aber auch eine gezielt platzierte Medienlüge, die dazu dienen soll, die Masse der DemonstrantInnen zu spalten. Liest man die Diskussionen in einigen Foren, hat das auch funktioniert, die Übeltäter werden als „dumme Hooligans“ beschimpft, es wird ausdrücklich dazu aufgerufen, solche Vandalen zu unterlassen, schließlich „haben in den 90er Jahren viele ihr Leben gelassen, um zu beschützen, was nun zerstört wurde“. Die Rolle der Medien ist umstritten, immer wieder berichten sie von sinnlosen Plünderungen durch einige DemonstrantInnen, veröffentlichen Fotos, in welchen manche stolz ihre Beute zeigen.

Dass man in Bosnien Herzegowina auch zu friedlichen Protesten im Stande ist, wurde bereits letztes Jahr bewiesen. Während die Welt gebannt auf den Taksimplatz in Istanbul schaute, versammelten sich in Sarajewo Tausende im Zuge der sogenannten „Babylution“ und forderten von der Regierung eine Neuregelung der Vergabe der JMBG- Nummern (Identifikationsnummern). Nachdem Neugeborene keine Nummern mehr erhalten hatten und die Eltern somit auch keine Reisedokumente beantragen konnten, konnten sie auch nicht zur medizinischen Versorgung ins Ausland gebracht werden, was den Tod eines dreimonatigen Mädchens zur Folge hatte. Die Botschaft der DemonstrantInnen lautete schon damals „Es ist 5 vor 12“ und so versammelte man sich über einige Wochen jeden Tag um 11.55 Uhr vor dem Parlament in Sarajewo zu friedlichen Protesten.
Nach den Ausschreitungen der ersten Tage hat sich die Lage nun beruhigt, die Proteste dauern aber in vielen Städten an. „Wir wollen Veränderung“ rufen die DemonstrantInnen, die politische Elite wird als „Diebe, Diebe“ beschimpft. Man versucht nun auch die Polizei dazu zu bewegen, sich mit ihnen zu solidarisieren. „Schämt ihr euch nicht?“ fragen sie die Polizisten, die in voller Montur den DemonstrantInnen gegenüberstehen mantra-artig immer wieder.

Einige Regierungschefs sind bereits zurückgetreten. Nun wird man sehen, wie sich die Situation weiter entwickeln wird, und wie weit die Menschen mit ihrer Forderung nach einer politischen Revolution in Bosnien Herzegowina kommen werden. In der Zwischenzeit grinst „Vu?ko“ von einem T-Shirt in einem Souvenirladen irgendwo in Sarajewo und erinnert sich an bessere Zeiten.

BIRGIT HOHLBRUGGER

Gast

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert