0

Reise in die Finsternis des Ich

Was mich an Joseph Conrads „Heart of Darkness“ als einem Schlüsseltext meiner literarischen Sozialisation fasziniert hat und noch immer, vielleicht mehr denn je, fasziniert, ist die Reise in das Menschsein, der Versuch zu verstehen was Ich, was der Mensch ist und was es mit seinen verschlagenen Abgründen auf sich hat. Die Rede vom Menschen, der, so kultiviert und gebildet er auch sein mag, sein bösartiges Tier nicht überwindet und zum Scheitern verurteilt ist… Der Topos wurde oft kunstgeschichtlich, literarisch und dramatisch aufgegriffen. Werner Herzog setzte den Stoff großartig in „Aguirre, der Zorn Gottes“ um, doch die bekannteste filmische Stoffadaption dürfte sicherlich Francis Ford Coppolas „Apokalypse Now“ sein, die musikalisch und lyrisch von „The End“ der Doors gerahmt ist.

Conrads Thematisierung menschlicher Abgründigkeit findet anhand des Kolonialismus und des Kriegsirrsinns statt. Dieses Setting wird in den Stoffadaptionen jeweils in die politische Gegenwart übertragen – bei Coppola in den Vietnamkrieg. Die neueste Bearbeitung dieses Stoffes stammt von Wolfram Lotz. Er schrieb das Hörstück „Die lächerliche Finsternis“ und bezieht sich explizit sowohl auf „Apokalypse Now“ als auch auf „Heart of Darkness“. Der thematische Transfer ins Heute, den Lotz vornimmt, betrifft die Verteidigungsrede eines somalischen Piraten vor einem Hamburger Gericht sowie einen Militäreinsatz in Afghanistan. Lotz‘ Stück fand schnell Anerkennung, wurde vielfach prämiert und als Theaterstück inszeniert (erstmals 2014 in Wien).

Das hiesige Landestheater präsentierte nun am Samstag in den Kammerspielen die Premiere des vom Salzburger Regisseur Rudolf Frey inszenierten Stücks. Wenngleich der Stoff nicht dem Profil des Spielhauses entspricht, war die Vorstellung doch sehr gut besucht. Der Gesamteindruck, der nach einer Stunde und 45 Minuten engagierten Schauspiels blieb, war jedoch eher ein enttäuschender: zu viel, zu gewollt, zu viel Aktionismus, zu viele wohlgemeinte Referenzen. Dies mag nicht nur an der Inszenierung gelegen haben, sicherlich ist der Hörspieltext in seiner Vielfältigkeit daran nicht unbeteiligt.

Was findet der Mensch in sich? Leere? Vakuum? Zugleich ist er umgeben von überbordend Lebendigem, Organischem, das sein Recht einfordert und seinen Weg geht. Aus der Reise ins Innere wurde ein Spektakel an Äußerlichkeiten. Weniger wäre sicherlich mehr gewesen. Die Innsbrucker Aufführung hat, das ist erstmal nichts Neues, alle Rollen mit Frauen besetzt. Diese trugen lange Monologe und Erzählungen explizit männlicher Protagonisten vor, ohne dass dies irgendwie gebrochen worden wäre. Ok, auch dies kann man als einen der ironischen Akzente, mit denen das Stück aufwartet, betrachten. Das ist die im Zweifelsfall allgültige Lesart dieses maßlos überfrachteten Stückes, in dem Konflikte von Ethnien, Geschlechtern, Macht und Ohnmacht, Kapitalismuskritik, globale Konflikte, Fanatismus, Terrorismus und möglichst alle Schieflagen dieser Welt, immer neue Facetten verschiedener persönlicher Geschichten, Zeiten und Erinnerungen, aber auch Sinneseindrücke, die Wucht der äußeren Welt, Wasserfluten des Flusses und Regens ihre Komplexitäten entfalten, sich auftürmen bis sie sich für das Publikum in Beliebigkeit auflösen. Der Bericht der TT geht hier mit der bezeichnenden Überschrift „Irrfahrt im Anus horribilis“ ins Detail.

Insofern schießt die Inszenierung über’s Ziel hinaus und verschenkt damit leider das zutiefst Verstörende, das diesen Stoff doch so kennzeichnet. Diese Verstörung stellt sich dann wohl eher bei der Beobachtung der Inszenierung von Sportgroßveranstaltungen am gleichen Tag ein. Interessant und aus meiner Sicht naheliegend wäre es etwa gewesen, die derzeit medientechnisch ermöglichte, nie zuvor so intensiv erlebbare Selbstbeschäftigung und -bespiegelung des Einzelnen einzusetzen, stattdessen weniger explizit zu werden und viel mehr in Andeutung den im Raum anwesenden Zuschauenden zu überlassen. Es braucht nicht viel uns an unsere Lächerlichkeit zu erinnern und uns unser Scheitern an existentiellen Fragen, an sozialer und politischer Verantwortung sowie unsere eigene Monstrosität vorzuführen.

Riri

Pressefoto des Tiroler Landestheaters

Gast

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert