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Kunst und Kultur in Tirol (8): Martin Plattner – Ein Tiroler Dramatiker auf der heimischen Bühne

Mit Martin Plattner treffe ich mich nachmittags im Moustache. Wir haben uns im letzten Herbst in Wien kennengelernt und uns viel zu erzählen. Das Interview rückt vorerst in den Hintergrund. Dann reden wir über sein neues Stück, über die Theaterszene und seine Beziehung zur Tiroler Heimat.

PlattnerMartin Plattner erlebt diese Woche eine Tirol-Premiere, was seine Theaterprojekte angeht. um : hausen. Ein Dorf sucht sein Phantom ist eine Koproduktion der featurettes, VORBRENNER 14 und dem siebten Tiroler Dramatikerfestival. Es geht um den „höchst makabren >Streich< einer in Umlauf gebrachten Todesliste“, die 2004 die Menschen im Ötztal schockierte. Eine wahre Begebenheit: An einem einzigen Tag sollten damals mehr als zwanzig BewohnerInnen des Dorfes ermordet werden.

Am 24. Juni wird dieses theatrale Raum- und Sprachgeflecht“ im Freien Theater Premiere feiern. Die Idee zum Stück trägt Plattner schon lange mit sich herum: „2004 war der Höhepunkt der Drohbriefserie. Mich hat das damals sehr bewegt, ich war fassungslos: eine Phantomgeschichte im Ötztal!“

Zwischen 2004 und 2006 hat Plattner alle Zeitschriftenauszüge gesammelt – mit dem unbestimmten Gefühl im Hinterkopf, irgendwann etwas Theatrales daraus zu machen:

„Konkret geworden ist das Projekt schließlich durch eine Einladung von VORBRENNER. Mit dem Dramatikerfestival wurde dann eine gemeinsame Produktion am Freien Theater Innsbruck beschlossen. Ich habe die Möglichkeit bekommen, eine Idee, die mich sehr lange verfolgt hat, durch einen Anstoß von außen weiterzuentwickeln und in einen spiel- und lesbaren Text zu verwandeln.“

Die ZuschauerInnen erwartet kein herkömmliches Theaterstück: „Martin Zistler, der Regisseur, inszeniert um : hausen als Performance mit Sprechteilen und ich erachte es als stimmig, diese nebulöse Geschichte nicht klassisch zu erzählen, sondern in einer anderen Form zu präsentieren – einer Form, die einem düsteren Traum gleicht.“ Der Text ist nur angelehnt an die Geschehnisse von 2004. Es geht Plattner in keiner Weise darum, die Frau, die sich als Phantom entpuppte und die sich schließlich selbst mit einer Häkelnadel verletzte, in irgendeiner Form vorzuführen. Vielmehr hat er „eine eigene Story dazu entwickelt, die an manchen Stellen an die realen Geschehnisse angelehnt ist.“

Martin Plattner schreibt fast ausschließlich Theatertexte, nur dann und wann einen kurzen Prosatext:

„Mein größtes Interesse liegt eindeutig im Schreiben von Texten, die von PerformerInnen umgesetzt werden, für die es Kostüme braucht, wo Licht notwendig wird. Es müssen keine klassischen Theaterstücke sein, aber ich schreibe Texte, die gesprochen und aufgeführt werden. Ich mag das gesprochene Wort. Für mich ist es am stimmigsten, mit Wörtern zu arbeiten, die dann ausgesprochen werden.“

Er schreibt in erster Linie Texte für Sprecherinnen und Darstellerinnen, Männer kommen in seinen Arbeiten kaum vor. Er ist der Meinung, es gebe bereits sehr viele interessante, auch ausdifferenzierte Männerfiguren. Frauenfiguren hingegen seien fast ausschließlich auf junge Liebhaberinnen, alte Omas und schräge Tanten begrenzt. Plattner will Rollen für Frauen zwischen 30 und 60 gestalten, die sich solchen Begrenzungen entziehen und noch immer wenig Platz auf den Theaterbühnen finden: „Ich will sichtbar machen, dass sie da sind und wir nicht genug hinschauen, zu oft weghorchen.“

Für Plattner eignen sich besonders die Stoffe für das Theater, in denen „unterschiedliche Dinge miteinander verschränkt werden, Dinge, die auf den ersten Blick unvereinbar wirken“. So wird sein Theatertext über die Tiroler Landesfürstin Margarete Maultasch zu einem Text über häusliche Pflege. Dies begründet er folgendermaßen:

„Ich war davon überzeugt, dass ich diese historische Figur mit einer gegenwärtigen  Problemstellung konfrontieren kann und muss, in diesem Fall mit der häuslichen Pflege, die zu 99 Prozent von Frauen bewältigt wird. Der Pflegeberuf ist ein schwerer und auf den ersten Blick nicht sehr attraktiver Job, der wie selbstverständlich von Frauen erledigt werden soll. Und hier sehe ich die Verbindung zu Margarete Maultasch: die begrenzten Handlungsspielräume, die patriarchale Bevormundung, denen auch sie ausgeliefert war.“

Der Maultasch-Text wird gerade für eine Produktion geprüft. Für das Projekt hat Plattner das Tiroler Dramatikerstipendium 2013 erhalten:

„Ich bin sehr froh, dass ich Maultasch umsetzen konnte. Diese Textproduktion war mir sehr wichtig. Ich habe eine schöne, intensive Textarbeit erlebt. Durch das Stipendium war es mir möglich, mir die Zeit zu nehmen, die man für die Ausgestaltung eines derartigen Projektes braucht. Ein ganzes Jahr konnte ich mich auf diesen Text konzentrieren.“

Plattner findet, man merke es Texten an, ob sie unter enormem Zeitdruck entstehen. Schlussendlich seien auch Pausen für Texte gut, so würden Dinge auffallen, die unter Zeitdruck nicht erkannt werden könnten.

Damit Texte wie die seinen entstehen können, ist Konsequenz von großer Bedeutung. Plattner schreibt jeden Tag acht bis neun Stunden lang. Er startet mit einem guten Frühstück in den Tag, geht mit seinem Hund Rudi spazieren und legt dann mit einem  „Free Writing“ los. Da schreibt er „zuerst nichts Fokussiertes, einfach irgendetwas, das mir gerade durch den Kopf geht. Die Arbeitsroutine ist mir wichtig, das Ritual.“ In diese Free Writing-Passagen fügt er auch Zeichnungen ein, er malt, kritzelt, skizziert, schreibt zuerst immer handschriftlich: „Meine Rohentwürfe in den Textbüchern schauen auch dementsprechend aus, ich zeichne Ideen, Atmosphärisches, sammle interessante Wörter, Zeitungsausschnitte, Stoffmuster.“

Es kann vorkommen, dass er aus dem Freien Schreiben die Idee für ein Theaterstück nimmt:

„Viele Ideen trage ich Jahre mit mir herum. Öfters habe ich dabei das Gefühl, dass ich darauf zurückkommen werde. Manches endet beinhart bei der Idee. Und bei weitem nicht alles, was mich interessiert, wird zum Theaterstück. Wenn ich aber lange genug von einer Idee besessen bin, entsteht daraus etwas Umfangreicheres. Für mich sind dabei Bilder genauso wichtig wie die Wörter. Und das Laut-Lesen zeigt schließlich, dass einiges nur auf dem Papier funktioniert. Theatertexte sollen klingen. Sie sind viel sperriger zu lesen und hören sich erst richtig an, wenn sie vorgetragen werden.

Wenn AutorInnen Theaterstücke schreiben, müssen sie davon ausgehen, dass die eigenen Vorstellungen selten mit der realen Umsetzung einhergehen. Plattner war öfters sehr glücklich über die Umsetzung, manchmal aber auch irrsinnig frustriert“. Er betont aber, dass er jede Arbeit und jeden Versuch respektiert: „Ich bin sehr dankbar, wenn jemand mit meinen Texten etwas machen will. Außerdem zählen nicht meine eigenen Präferenzen, es kann nicht darum gehen, mich als Texter zufrieden zu stellen. Es geht um das Publikum und um die AkteurInnen.“

Klassische Theaterstücke finden sich bei Plattner kaum. Ihm ist das Befremdliche an den Texten sehr wichtig, er will auch mal unangenehm werden. Er empfindet es als positiv, ein Publikum zu entlassen, dem etwas fremd bleibt:

„Ich erkenne immer wieder, dass im Theater nichts selbstverständlich ist. Es braucht für alle Beteiligten, auch für das Publikum, den Moment, in dem man sich selbst hinterfragt. Theater befremdet mich jeden Tag. Immer wieder bin ich überrascht. Ich arbeite gerne mit Zwischenräumen. Ich mag es, wenn es gebirgig wird und auf allen Ebenen etwas passiert, wenn etwas lustig und zeitgleich auch tragisch ist. Mir gefällt die Verwirrung im Publikum, wenn auf harte Textpassagen heitere Stellen folgen. Ich finde es einfach schön, wenn Menschen lachen, überrascht sind.“

Martin Plattner arbeitet in der freien Theaterszene. Er ist der Meinung, dass die freien Theaterschaffenden in Wien, Innsbruck und Graz nicht viel unterscheidet. Die Theaterlandschaft in Tirol gefällt ihm: „Ich kenne die Szene hier leider zu wenig, aber mir fällt auf, dass sich in den letzten zehn Jahren viel getan hat. Ich sehe nicht, dass es in Wien so viel anders wäre. Der einzige Unterschied, den ich nennen könnte, ist, dass es in Tirol keine Kunsthochschule gibt, denn das freie Theater in Wien arbeitet immer enger mit den StudentInnen der Kunsthochschulen zusammen“.

In Plattners Arbeit schleicht sich nicht so schnell die Vorhersehbarkeit ein: „Ich bleibe neugierig. Bei jedem Projekt habe ich ein Gefühl von Aufregung und Nervosität, weil es keine Kochrezepte gibt. Man muss sich jedes Mal aufs Neue ausprobieren. Halleluja, ich darf, möchte, soll ein Theaterstück schreiben! Natürlich haben die Texte über die Jahre einen gewissen eigenen Klang bekommen, aber die Themen und die Herangehensweise sind immer wieder andere. Es wird nie langweilig. Das gibt dann auch die Kraft, zu produzieren, wenn es schwierig wird.“

Martin Plattner, der Pitztaler, erzählt, was Innsbruck, seine „erste große Liebe“, für ihn bedeutet:

„Innsbruck und ich, wir hatten uns auseinandergelebt. Seit einigen Jahren aber weiß ich, warum ich mich mit 15 in die Stadt verliebt habe. Elf Jahre lang habe ich hier gelebt. Ich fühle mich Innsbruck sehr stark verbunden. Ich mag es, dass die Menschen einen Aufruhr in sich tragen. Ich finde es zum Beispiel großartig, dass sich die InnsbruckerInnen organisieren und ein Protestpicknick gegen ein absurdes Alkoholverbot veranstalten. Diesen Aufruhr, den Innsbruck immer wieder mit sich bringt, den liebe ich. Und ich liebe die Nordkette.“

Auch für provinnsbruck.at findet Martin Plattner schöne Worte:

„Wenn ich in Wien bin, ist ProvInnsbruck eine Möglichkeit für mich, etwas von der Stadt mitzukriegen. Durch den Blog bekomme ich das Gefühl, dass ich, auch wenn ich nicht in Innsbruck bin, doch ein bisschen da sein kann.“

 

Flyer: (c) Iris Hable

Porträt: Steffi Dittrich

 

um : hausen

ein dorf sucht sein phantom

eine koproduktion der featurettes, vorbrenner 14 und dem siebten tiroler dramatikerfestival

text: martin plattner

inszenierung: martin zistler

performance/stimmen: sebastian brunner, katarina csanyiova und martin plattner

raum: johannes payr, alexander roshe

strick- und häkelarbeiten: gerlinde hirt, katrin totschnig, maria dantinger †

video, sounds: andreas holleschek

 

24., 26., 27. und 28. juni 2014, 20:30, eintritt frei.

 

freies theater innsbruck

wilhelm-greil-straße 23, 6020 innsbruck

reservierungen: freiestheater.at

 

 

Barbara Zelger

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