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Kopfkino

Kopf unter

„Willst in meinem Kopf spazieren“ – ich war schon fast eingeschlafen, als ich ihre Stimme hörte. Dass sie im Schlaf sprach, hatte ich schon öfter erlebt, aber es waren immer nur unverständliche Wortfetzen gewesen. Es klang nicht fragend, sondern eher wie eine Feststellung, vielleicht sogar eine Einladung.

Wir waren schon fast ein Jahr zusammen, trotzdem tat ich mich schwer, vor ihr einzuschlafen. Meistens lag ich wach und erst ihre regelmäßigen Atemzüge ließen mich selbst schläfrig werden und langsam einnicken. Ihre Stimme hatte etwas in mir in Gang gesetzt und obwohl ich müde war, begann ich über Linda nachzudenken.

Sie war eine besondere Frau: blitzgescheit und selbstironisch, sie liebte Kinder und konnte sie zum Lachen bringen. Dazu ihr ebenmäßiges Gesicht und ihre strahlenden Augen, die immer ein bisschen staunend in die Welt blickten. Manchmal fragte ich mich, was so ein bezauberndes Wesen an meiner Seite suchte – doch habe ich sie nie danach gefragt, weil ich nicht unsicher wirken wollte.

Was sie wohl wirklich an mir fand? Wie sie mich sah und von mir dachte – heute kann ich sie nicht mehr danach fragen. In jener Nacht lag ich noch lange wach, lauschte ihrem Atem und ging in meinem eigenen Kopf spazieren, bis der Schlaf alle Fragen schluckte.

Andreas Wiesinger

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