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Innsbruck im Aufnahmezustand

Aufnahmezustand Medizin1Es ist ein Bild, das ich um diese frühe Zeit rund um das Messegelände nicht gewohnt bin: hunderte Menschen drängen sich um 7:20 Uhr vor den noch verschlossenen Toren der jeweiligen Messehallen A oder D. Zuerst denke ich an einen Kongress der Zeugen Jehovas. Wer auferstehen will, muss schließlich früh aufstehen. Doch die Menschen die ich sehe, sind zu jung. Und auch nicht hellgrau bis dunkelbeige angezogen. Die Jausensäckchen und Energydrinks entwirren meine Verwirrung rasch: Diese verzweifelten Seelen wollen Medizin studieren – und lediglich geschätzt jedeR Fünfte wird das auch tun dürfen. Trotz viel beklagten Ärztemangels. In Österreich. Aber auch in Deutschland – vor allem im ehemaligen „Osten“. Es ist 4. Juli und die Medizin-Unis Wien, Graz und Innsbruck haben zum unheiteren Stelldichein namens Medizin-Aufnahmetest geladen.

A und D. Adé heißt es auch für Viele der Antretenden ...

A und D. Adé heißt es auch für Viele der Antretenden …

Mit der Spannung, die in der Luft liegt, könnte die Bergiselschanze locker für die nächsten drei Jahre beleuchtet werden. Beim Vorübergehen wünsche ich Einigen „Viel Glück!“. Meist kommt ein hannoveranisch-schön klingendes „Dankö!“ zurück. Dabei ist es mir egal, woher die Lämmer kommen, die sich selbst zur Schlachtbank führen: es ist ein genereller bildungspolitischer Irrsinn, der sich seit viel zu langem abspielt. Hier die möglichen ÄrztInnen aus Österreich, die die ohnehin knappen Plätze ergattern wollen (in Innsbruck: 360 für Humanmedizin, 40 für Zahnmedizin, Gesamt-Ö: 1356 für Humanmedizin, 144 für Zahnmedizin), dort die möglichen ÄrztInnen aus etwa Deutschland, die oft der verpasste Numerus Clausus in die Ferne treibt (habe ich den eklatanten Ärztemangel in Deutschland schon erwähnt? Und den in Österreich eh auch?

Das Stadtrad. Zumindest eineR kam damit zum Test angedüst. Immerhin.

Das Stadtrad. Zumindest eineR kam damit zum Test angedüst. Immerhin.

„Wo ist Halle D?! Wo ist Halle D?!“, kreischt eine Mutter. Ihre Tochter blafft zurück: „Weiter!!!“ Nervosität wird gerade neu definiert. Die Regeln sind strikt beim Medizin-Aufnahmetest: In die Testhallen dürfen nur fünf Dinge mit – der Rest ist noch strikter verboten: Getränke, Jause, Analoge (!) Uhr, Geldtasche. Medizinische Geräte nur, wenn sie angemeldet werden. Das war’s. Kein Federpenal. Keine Jacke. Kein eigenes Papier. Derart entmündigt wundert es auch nicht, dass die jungen Leute später einmal als unterbezahlte, überarbeitete Assistensärzte wirken werden.

Ich gehe weiter, bahne mir über den Messevorplatz den Weg durch Massen. Lasse das offensichtliche bildungspolitische Elend hinter mir. Nicht ganz. Auf Höhe „Haus der Begegnung“ (kaum fünf Gehminuten entfernt) treffe ich auf eine etwa 19-jährige Deutsche, einen Stadtplan in der Hand haltend, Verzweiflung ins Gesicht geschrieben, den Tränen nahe. Alles klar. Ich erkläre ihr, einen kurzen Beruhigungsversuch unternehmend, den Weg zum Aufnahmetest (einmal rechts, einmal links), wünsche ihr viel Glück. Mit dem herzlichsten „Danke!“ seit gefühlten Ewigkeiten eilt sie davon.

Einen Tag lang eingesperrt und gut bewacht. Wer zu spät kommt, kommt auch nicht mehr rein.

Einen Tag lang eingesperrt und gut bewacht. Wer zu spät kommt, kommt auch nicht mehr rein.

Dabei ist dieser bildungspolitische GAU nicht bloße Willkür übereifriger RektorInnen sondern gesetzlich verordnet: Grundlage für das Aufnahmeverfahren bildet §124b des Universitätsgesetzes 2002. Doch damit nicht genug: Die sogenannte „Kostenbeteiligung“ beläuft sich auf EUR 110.- pro Person. Wie heißt es auf der Homepage der Med-Uni Innsbruck: „Damit können alle den Medizinischen Universitäten entstehenden Kosten für das Aufnahmeverfahren MedAT abgedeckt werden.“ Das Wort „KostenBETEILIGUNG“ ist hier gerade neu erfunden worden.

Trotzdem machen Jahr für Jahr tausende junge Menschen bei diesem Irrsinn mit. „Weil es eben nicht anders geht“ und durchaus verzweifelt. Wie groß muss die Verzweiflung denn bitte sein, endlich mal dagegen aufzustehen? Ach, und: Habe ich den Ärztemangel in Deutschland schon erwähnt? Und den in Österreich eh auch?

Markus Koschuh

4 Comments

  1. Das ist wirklich ein Irrsinn. Da ich mich mit dieser ganzen Thematik aber noch nicht so genau beschäftigt habe, stellt sich für mich die Frage: Wollen jetzt wirklich so viele Medizin studieren, aus Deutschland kommen ja all die vielen Nummerusclausus-Flüchtlinge, die das dort nicht dürfen und daher zu uns kommen, weil sie hier dürfen – vorausgesetzt, sie schaffen die Prüfung. Woraus resultiert dann der Ärztemangel, von dem immer wieder die Rede ist? Könnte es nicht auch so sein, dass die Kandidat/inn/en aus Deutschland nach erfolgreich abgeschlossenem Studium wieder zurück nach Deutschland gehen, und wir selbst zu wenig ausgebildete Ärzt/innen/e haben, weil zu wenig Studienplatzkapazität oder eben zu strenge Eingangsprüfungen, wie hier beschrieben? Also irgendwo beißt sich da die vielzitierte Katze in den Schwanz.

  2. Man oder Frau ist in erster Linie Opfer. Am Beispiel des Medzin-Aufnahme-Tests ist das leicht ersichtlich. Man opfere 110 Euros – ob man durchkommt oder nicht, ist irrelevant. Man opfere Zeit – ein nicht gerade unendliches Gut. Man opfere des weiteren seine Heimat (in dem man von Deutschland (hoffentlich) in die Alpenprovinz, die von Fussball nix versteht, umzieht). Man opfere obendrauf seine persoenliche Freiheit (auch wenn’s nur um Stunden geht). Man opfere bitte auch seinen Verstand – denn wer bitte, laesst sich von der Obrigkeit zu solchen Opfern treiben, und erwartet dann noch einen hochbezahlten Arbeitsplatz, vielleicht auch noch vor der Haustuere? Nur jemand, der seinen Verstand am 4. Juli in der Mittagssonne geopfert hat…

  3. Und was ist deine Conclusio, Koschuh? Was soll man dagegen machen? Wer soll wie dagegen aufstehen?
    Ein Grund für den Ärztemangel in Tirol ist die Unterbezahlung und Überarbeitung (sprich: zu wenig Personal – Folge von der … genau: Unterbezahlung). Da müsste die TILAK mal was machen, aber unter Tilg: niemals! Schade!

  4. Unterbezahlte Ärzte, aha!?!?!?! Ja so kann man es auch sehen *lol*. Vielleicht bliebe mehr Geld im Börserl wenn man nicht ständig den neuesten Porsche fahren würde?

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