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Hinaus aus der Stadt

 

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Sonntag, ein schöner Frühlingstag, noch nicht im Mai, aber von Temperatur, Farben und Düften her könnte es auch schon der Mai sein, oder zumindest der späte April. Aber nein, es ist der späte März. Die Jacke ist dir bald zu warn, du nimmst sie über die Schulter, packst die Kamera ein und machst dich auf die Socken. Hinaus zur Stadt. Stadttore gibt’s ja keine mehr, schade irgendwie, auch keinen, der einen kontrolliert, wenn du die Stadt verlässt, so wie es früher wahrscheinlich üblich war.

 Das Rumer Tor ist dir bekannt. Es führt direkt durch den südlichen Teil der Hofburg, und erinnert ein klein wenig an das berühmte Michaelertorder Wiener Hofburg. Also stell dir mal vor: du gehst durch ein mit einer Barockkuppel bekröntes Tor einer Burg, hinaus über die Kohlstatt, über Feld und Flur und landest dann nach einigen Kilometern in Rum. Ein winziges Dörfchen damals, jetzt eine typische Umlandmarktgemeinde, mit einem alten Dorfkern, einem kleinen Villenviertel und einem für einen Ort dieser Größe doch eher ungewöhnlichen Hochhausviertel, das dann direkt in das Olympische Dorf übergeht. Eben auch ein Dorf, aber kein typisch tirolerisches.

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Dazwischen aber, und jetzt sprechen wir von jetzt, zieht sich zwischen Inn und den noch ihren alten Dorfcharakter besitzenden ehemaligen Dörfern und jetzigen Stadtteilen Mühlau und Arzl eine Industrie- und Gewerbezone. Eine Gegend, in der sich an Sonntagen natürlich kaum eine Spaziergängerin oder ein Spaziergänger verirrt, in der du ohne Probleme mitten auf der Straße gehen kannst, weil kaum Verkehr, die aber doch zumindest dem fotographischen Auge einiges zu bieten hat.

Kleinindustrie- und Geschäftsbauten der verschiedensten Jahrzehnte des vergangenen Jahrhunderts und natürlich auch des bereits in sein zweites Jahrzehnt getretenen, wechseln sich ab und bieten ein buntes Bild von schnell und ohne viel Planung sozusagen aus dem Grasboden heraus gestampften oder geschälten, beinahe nahtlos übergehend in das Ackerland der angrenzenden landwirtschaftlichen Betriebe. Das heißt also: nach dem Beton frische Erde von Kartoffeläckern, Unkrautsträucher, kleinen Schrebergärtenhäuschen. Schrebergärten hat es hier wahrscheinlich schon in den fünfziger Jahren gegeben. Dazwischen noch ein paar Wohnblöcke, schon ein wenig abgewohnt und einer Renovierung bedürftig.

Dann gehst du hinauf zur Waldgrenze, verschaffst dir einen Überblick über das soeben Gesehene, lasst Dein (Kamera)Auge über die Dörfer und der dir zu Füßen liegenden Stadt schweifen. Dir gegenüber auf jetzt gleicher Höhe die Dörfer des östlichen Mittelgebirges: Ampass, Sistrans, Aldrans, Lans. Dort wo Georg Trakl gedichtet hat und vielleicht auch mal mit einem Mädchen geflirtet, hätte es diesen Ausdruck damals schon gegeben.

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Gehst du zurück in das schon erwähnte Dorf Arzl, eine ursprünglich gotische Kirche, barockisiert wie die meisten Kirchen hierzulande. Hier sei er getauft worden, sagt dir ein älterer Mann, der mit seiner Frau die Kirche betritt. Klar, eine schöne Erinnerung die ihn damit wohl verbindet. Du gehst weiter Richtung Stadt, die ja hier schon begonnen hat, rein verwaltungstechnisch, aber hier eben doch noch Dorf ist.

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Entdeckst eine neue Straße, benannt nach der Innsbrucker Künstlerin Gerhild Diesner, eine die die Malerei der französischen Impressionismus nach Tirol gebracht hat, entimmst du dem noch ganz frischen Straßenschild. Nur schade, dass die Straße eine Sackgasse ist, noch zumindest. So dass du wieder zurückgehen musst, wieder hinauf ins Dorf. Der Kalvarienberg grinst herüber. Sollst du den jetzt auch noch besteigen. „Kalvarienberg des Lebens“ schrieb Samuel Beckett einmal im Zusammenhang mit dem Jahrhundertroman Auf der Suche nach der Verlorenen Zeit von Marcel Proust. Das gefällt dir, weil es eine sehr schöne Metapher für das Leben ist.

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Eine Prüfung der sandige und steinige Weg hinauf, noch mal den Rundblick genießen. Den Frühlingssonnenuntergang betrachten. Schön ist es hier, in dieser Zeit. Jetzt müsste der Kirschbaum blühen …“, schrieb Norbert Conrad Kaser. Er tut es, noch.

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Helmut Schiestl

2 Comments

  1. Helmut ist ein scharferBeobachter, der das Auge auf das Besondere lenkt. Man lernt viel bei seinen Beobachtungen. Für mich war das wie die Neuentdeckung einer bekannten Gegend.

    • ….ich fühl mich jetzt auch – als wär ich dabei gewesen – danke Helmut.

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