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Herr Ludwig kauft sich einen familiären Untergang

Herr Ludwig. kaufte sich den Untergang einer Familie. Er ging in ein Haus, das sich gegenüber einer Wohnung befand, in der, wie ihm schon vor längerem zu Ohren gekommen war, eine Familie wohnte, in der es – wie es so schön hieß – drunter und drüber ging. Er sagte zum Inhaber der Wohnung, er würde gerne das Fenster zur vis à vis gelegenen Wohnung für längere Zeit benützen, und würde den Inhaber der Wohnung dafür natürlich auch entsprechend bezahlen.

 

Da Herr Ludwig dem Inhaber einen vertrauenerweckenden Eindruck machte, war dieser gerne bereit, Herrn Ludwig den Fensterplatz zu überlassen, schließlich war er sowieso wegen seiner Berufstätigkeit den ganzen Tag über nicht in der Wohnung anwesend, und so willigte er ein. So bezahlte Herr Ludwig also und setzte sich vors Fenster. Er beobachtete die drei Kinder, die oft stundenlang vor dem Haus auf der Straße herumtrödelten, weil sie keine Schlüssel zur Wohnung hatten. Ehe sie eines Tages von einer Dame von der Fürsorge mit einem Auto abgeholt worden waren. Während Mutter und Vater den ganzen Tag über arbeiteten. Ein Sohn war bereits ins Heim gekommen, weil er in der Schule nichts mehr gelernt und die ganze Klasse gegen sich aufgebracht hatte. Um das alles zu sehen, bezahlte sich Herr Ludwig einen Fensterplatz im gegenüberliegenden Haus, vor dem aus er alles ganz genau beobachten konnte. So war er voll dabei. Auch als eines Tages die Tierrettung vorbeifuhr, sich mit hausmeisterlicher Hilfe Zutritt in das Haus und in die Wohnung verschafft hatte, und die ganzen Tiere, die die Familie S. in der Wohnung hatte, mitnahm, weil alles verwahrlost war, verschmutzt und in einem unbeschreiblichen Zustand. Zuerst trugen die Tierretter das Aquarium die lange schmale Stiege herunter und gaben es in den Tierrettungswagen, dann holten sie die Vögel, deren Gefieder vollkommen verfilzt und verlaust war, und die es schon lange aufgegeben hatten, noch zu singen noch sonst irgend einen Laut von sich zu geben, was doch eher ungewöhnlich war und nur für die Schwere der Tragödie sprach, für die Herr Ludwig bezahlt hatte.

 

Dann holten die Männer noch den ebenfalls total verlausten Kater und die beiden ebenso verlausten Katzen, welche aber immerhin noch miauten, was Herrn Ludwig gut gefiel und ihn ein wenig lächeln ließ. Am Ende kann dann noch der Papagei, der kein müdes Wort mehr sprach, und auf seiner völlig verkoteten Stange saß als wäre er bereits ausgestopft gewesen. Auch den taten die Tierretter in den Tierrettungswagen, was ein wenig schwierig war, aber dann doch zu bewerkstelligen. Am Ende versprühten die Tierretter dann noch jede Menge Schädlingsbekämpfungsmittel in die so erst mal von den Tieren leer geräumten Wohnung, ehe sie in das schöne weiße Tierrettungsauto stiegen und mit Blaulicht davonfuhren. Das hatte schon was hergemacht. Herr Ludwig war zufrieden. Lächelte in sich hinein und zündete sich eine Zigarre an. Die Fenster der leer geräumten Wohnung standen weit offen und entließen ihren bestialischen Geruch auf die Straße hinaus, was Herrn Ludwig aber nicht störte. Dieser hörte nur von der Straße herauf die Bekundungen der Nachbarn So kann es nicht mehr weitergehen … und gut, dass hier einmal etwas geschehen ist. Die armen Viecherln, die armen Viecherln usw. Und Herr Ludwig hörte den Chor der ihnen Zustimmenden und Beipflichtenden und hätte am liebsten von seinem Fenster aus in ihn eingestimmt, womit er sich allerdings hätte outen müssen

 

Und dann sah Herr Ludwig am Abend Herrn S. betrunken nach Hause kommen, wahrscheinlich hatte er seinen Job verloren und war wahrscheinlich im Gasthaus gewesen. Wie er das Haus betrat, und in die Wohnung hinauf ging und am Ende ein großes Geschrei anhob, wegen der ihm gestohlenen Tiere. Zum Fenster lief und hinunterschrie, sie könnten ihn alle am Arsch lecken. Was aber niemanden besonders beeindruckte. Schließlich schloss Herr Ludwig. das Fenster, bezahlte dem Besitzer der Wohnung die vereinbarte Miete für den Fensterplatz und ging in ein nahegelegenes Gasthaus. Dort bestellte er sich erst einmal ein großes Bier und ein Steak. Das hatte er sich jetzt verdient.

 

 

 

 

 

 

 

Helmut Schiestl

One Comment

  1. ein dichter, ja ein geschlossener text, der beunruhigt, stellenweise sogar abstößt. es gibt solche, die sich am elend anderer weiden und es genießen, strauchelnde zu beobachten. und es gibt mich: ich sehe zu, ohne teilzunehmen, ich denke mir meinen teil. bevor ich schreie, schreibe ich lieber. erscheint mir einfacher, einfach sicherer. es sind ja nur buchstaben: schreiben, schreien, schreiten, streiten

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