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Ende vom Fest

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Und schon stehen die Abbaukräne bereit wie hungrige Tiere zum Abbau der Weihnachtsdekoration. Gleich nach Dreikönig wird das geschehen. Und dann ist alles wieder für ein Jahr vorbei. Und die Gewinn- und Verlustrechnungen können angestellt werden. Was hat uns Weihnachten gebracht? Was war der (Emotions)gewinn, was der (Emotions)verlust? Oder konnten wir  ausgeglichen bilanzieren? Wo blieben die Hoffnungen, wo die unerfüllten Wünsche?

Heute kamen noch die Sternsinger zu mir, brachten mir Weihrauch, Myrre und … nein kein Gold. Aber nett waren sie doch und fragten gar nicht nach Geld. Sangen nur ein Lied. Das Lied von Bethlehem und von Gott. Und alle Fragen blieben dabei offen.

Am Heiligen Abend genoss ich die Stille in den Straßen, trank einen Glühwein in der Altstadt und ließ mir die Weihnachtslieder um die Ohren blasen.

Am Silvesterabend floh ich vor dem Lärm ins Kino. Hinein in Stephen Hawkings Zeituniversum. Schön darin die Szene, wo alles rückwärts läuft, Stephen Hawking wird wieder jung, seine Krankheit verliert ihren Schreck, er kann wieder gehen, nur geht er rückwärts. Verschwindet immer mehr ins Bild hinein. Bis er nur mehr ein kleiner  Punkt ist. Wie wäre das, würde das Universum wirklich eines Tages implodieren, also wieder auf den einzigen kleinen Punkt zusammenschnellen wie eine Feder? Wir also vom Tod zurück ins Leben laufen, immer jünger werden dabei, wie Benjamin Button in Scott Fitzgeralds gleichnamiger Erzählung. Schließlich in unsere Kindheit und letztlich in unserer Geburt enden, nein, nicht enden, eingehen in den Mutterleib, der dann Grab und Jenseits wird, oder doch nur Ort der Auflösung nach erfolgter Vereinigung von Ei- und Samenzelle, ehe wir dann ins verdiente Nirwana eingehen.

Die Indische Philosophie hat das schon vor Jahrtausenden so gesehen: Die Welt oder eben das Universum, bläht sich auf, wie eine Blase, zerplatzt aber nicht sondern implodiert eines schönen Äons. Und alles beginnt wieder von vorne.

Aber keine Angst: Nichts wiederholt sich so wie es war Selbst wenn wir wiederkommen, kommen wir nicht als die wieder, als die wir gegangen sind. Dazu ist das Leben zu komplex. Selbst wenn eine andere Samenzelle die Eizelle unserer Mutter gepiekst hätte, wären wir schon jemand anderer, hätten nicht dieselbe Persönlichkeit. So sagte es mir zumindest eine Biologin. Aber dass wir wieder mal kommen könnten, in irgendeiner Form, weil das Leben doch so schön ist, die Erde viel zu wunderbar, ja auch sie würde wiederkommen, wenn vielleicht auch in einer anderen Gestalt. Die Berge wo anders, die Ebenen und Flüsse nicht da, wo sie jetzt sind. Und das Leben vielleicht auf Siliziumbasis.

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In den Warenhäusern die Musik zusammengerührt wie ein Brei. So eine Endlosschleife bildend. So wie auch das Weihnachtsfest schon länger eine Art Endlosschleife geworden ist. Alle Jahre wieder … Geschenke, einpacken, auspacken. Umtauschen. Freundlich lächeln. Danke sagen. Weihnachtslieder singen.

Auf das Grab meiner Eltern lege ich aus abgebrannten Zündhölzchen ein Streichholzbriefchen. Und auf das noch nicht in Betrieb genommene große Eingangsschild der Psychiatrie schreibe ich groß „Gegen Depression hilft weder  Alkohol noch Weihnachten!“

Der Schweizer Schriftsteller Robert Walser wurde am Weihnachtsfeiertag des Jahres 1956 tot im Garten der psychiatrischen Anstalt Herisau aufgefunden. Tot im Schnee liegend. Sein Hut lag neben ihm, er war ihm durch den Sturz vom Kopf gefallen. Ob auch er wiederkommen würde, dann, wenn das Weltall wieder zurückkehrte zu seinem Urknallnullpunkt, zu seiner Singularität? Und er würde wieder aufstehen in dieser weißen Winterlandschaft, den Hut wieder auf den Kopf setzen und sich umsehen, vom Schnee vielleicht geblendet. Und wir würden ihm trotzdem nicht begegnen.

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Helmut Schiestl

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