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Ein Lockdown wie damals

K. meint, der Begriff Lockdown sei überhaupt Blödsinn. Wir sind stattdessen in einem Shutdown, wobei dieser höchstens halbherzig umgesetzt wird. Sie fragt sich außerdem, wohin der Babyelefant entlaufen ist und wer ihn suchen soll. S. kreischt, dass sie ihre Tochter keinesfalls impfen lassen will. Die ist zwar schon 16 und könnte darüber selbst entscheiden, ist aber in dieser einen Angelegenheit sowieso derselben Meinung wie ihre Mutter – schließlich weiß sie von Facebook, dass die Impfung alle Minderjährigen mit Nasenpiercing unfruchtbar macht. Und M. fragt sich, warum er für diese Verstrahlten büßen soll und inzwischen das vierte Mal wochenlang zuhause sitzt.

Ich bin geimpft und geboostert, aber glaube kaum, dass uns eine Impfpflicht weiterbringt. Schon die Diskussion zeigt, wie verfahren die Lage inzwischen ist. In einer Pandemie ist Impfen eben keine Privatsache; schließlich geht es nicht nur um den eigenen Körper, sondern um die Verbreitung einer potenziell tödlichen Krankheit. Wie viele heimtückische Krankheiten durch Impfungen ausgerottet wurden, lässt sich leicht recherchieren – auch die Wirkung und weitestgehende Sicherheit der Impfstoffe ist vielfach erwiesen und belegt.

Tatsächlich lässt diese Angelegenheit aber nicht mit Argumenten, wissenschaftlichen Fakten und Vernunft klären. Wir leben längst im postfaktischen Zeitalter und für viele sind Solidarität und Rationalität nur verstaubte Begriffe, mit denen sie nichts anzufangen wissen. Der Neoliberalismus hat Individuen zu selbstbezogenen Ichlingen degradiert und wer das eigene Ego verabsolutiert, wird sich kaum für irgendwelche diffusen Risikogruppen impfen lassen.

Die globale Seuche ist verheerend und wird mit Sicherheit noch viele weitere Menschenleben kosten. Die sozialen Folgen sind noch nicht absehbar und haben unser aller Leben heute schon grundlegend verändert. Vielleicht liegt darin der einzige positive Aspekt der Misere: Auch in unserem vollkaskoversicherten Schlaraffenland ist die Gewissheit angekommen, dass es nicht bleiben kann, wie es schon immer war und noch immer ist. Das Virus führt uns klar vor Augen, welch großen Schaden nationale Alleingänge und profitgeile Eigeninteressen (vgl. Impfstoffpatente) anrichten. Die existenziellen Herausforderungen unserer Zeit können wir nur als Menschheit gemeinsam meistern – oder eben untergehen.

Andreas Wiesinger

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