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Ein Land empört sich (nicht)

Ochs am BergDie Aufregung war groß in den letzten Tagen: während die zuletzt gefühlten 100 Wahlkämpfe in Tirol mit Slogans wie „Mieten runter!“, „Wohnen muss billiger werden!“ geführt wurden, wohnt ein Alt-Landtagspräsident zum Nulltarif. In keiner Garconniere, in keiner 2- oder 3-Zimmerwohnung, nein: in einer 188-Quadratmeterwohnung (s)eines ehemaligen ÖVP-Verbindungsvereins. Aber er hat ja zwischen 200.000 und 300.000 Euro in die Wohnung investiert und die Nullmiete sei gerechtfertigt, heißt es. Dass man sich einen derartigen Mietwohnungsumbau wohl nur mit gleich mehreren (monatlichen) (Polit)Pensionen leisten kann, für die eine durchschnittliche Billa-Verkäuferin rund 1,5 Jahre täglich in die Hackn stapfen muss, heißt es nicht. Und vieles Weitere heißt es auch (noch?) nicht.

Doch wie reagiert das offizielle Tirol, etwa die Landtagsparteien, auf die einmal mehr von www.dietiwag.org aufgezeigten Tiroler Zuständ‘?

FPÖ: „Tirol den Tirolern!“ „Stopp der Flüchtlingsflut!“, „Die haben ja alle Smartphones!“,„Ausländer raus aus dem Ausland!“ (erst, als ein Redakteur anruft und sich nicht auskennt, kommt die FP-Pressestelle drauf, dass sie reflexartig auf den Presseaussendungs-Panikknopf auf der Tastatur gedrückt haben. Schon wieder. In einem eilig einberufenen Arbeitsgeschäft (workshop) wird beschlossen, die „Escape“-Taste nicht weiter mit dem Presseaussendungs-mail-Programm zu verbinden und volle Aufklärung zu verlangen.

IMPULS TIROL: Deren großer Vorsitzender Hans Lindenberger will sich laut TT erst äußern, wenn sich Alt-Landtagspräsident Mader selbst zu den Vorwürfen geäußert hat. Aha. Nicht einmal nachschauen, was das Land Tirol die letzten Jahre an den ÖVP-nahen Verein gezahlt hat, will er. Wenn Lindenberger immer das Gleiche tut, was Mader tut: sich äußern, wenn Mader sich äußert, sich räuspern, wenn Mader sich räuspert, knuspern und käusern wenn Mader frühstückt, dann kann man sich fast nur wünschen, dass Mader möglichst lange schweigt.

LISTE FRITZ: Die Liste Fritz erledigt den Job, den vor der letzten Landtagswahl die Grünen erledigt hätten: sie macht öffentlich, wie viel wann an den ÖVP-nahen Verein an Subventions- und sonstigen Geldern geflossen ist, verlangt volle Aufklärung.

SPÖ: Mit leichter Verzögerung (während der man diverse Spuren der jahrzehntelangen Koalition mit der ÖVP zu verwischen versuchte) meldet sich deren Vorsitzender Ingo Mayr zu Wort. Er verlangt volle Aufklärung und sieht einen „ÖVP-Selbstbedienungsladen“ – aus dem heraus sich sein Vorgänger Hannes Gschwentner in die absolut und ganz sicherlich politikferne „Neue Heimat“ verabschiedet hat (nicht ohne sich in harten Verhandlungen einen Gehaltsbonus als ehemaliger Landeshauptmannstellvertreter heraus zu verhandeln).

GRÜNE: nach 3-tägigen Exerzitien im Stift Wilten haben sich die Grünen zu der in der TT kolportierten Aussage „alle Rechnungen auf den Tisch“ hinreißen lassen. Das Recht dazu mussten sie gegen die Kalkkögel-Blockade tauschen. In der Schlick fahren nun doch die ersten Bagger auf.

ÖVP: Der gesamte Landesparteivorstand der ÖVP hat sich sofort nach Bekanntwerden der Vorwürfe gegen einen der ihren zum „Ochs am Berg auf der grünen Wiese!“-Spiel getroffen. Aus unerfindlichen Gründen ist das Spiel schon in Durchgang 1 stecken geblieben. Der „Ochs am Berg auf der grünen Wiese!“-Rufer will sich einfach nicht mehr umdrehen, es herrscht generelle (Schock-)Starre: ÖVP-Klubobmann Wolf hat es 2,5 Meter weit geschafft, sein „freeze“ zeigt ihn auf einem Bein stehend. Erste Krämpfe durchzucken seine Wade. Doch er bleibt eisern starr. TIWAG-Zentralbetriebsratsobmann und Landtagsabgeordneter Anton Pertl versuchte es auf allen Vieren, verharrt nun aber in auf die Seite gekippter Embryonalstellung. Günther Platter und Herwig van Staa stehen am hinteren Ende des Spielfelds. Ebenso starr. Doch so unklug, sich auch nur ein bisschen zu bewegen, waren sie erst gar nicht.
Der „Ochs am Berg auf der grünen Wiese!“-Rufer ist allen ein gänzlich unbekannter Ferialpraktikant in der ÖVP-Landesgeschäftsstelle. Er hatte die Anweisung, sich nur einmal um- sich dann aber nimmer zurückzudrehen. Er tat, was man ihm sagte. Er will es schließlich einmal zu etwas bringen. Vielleicht springt ja ein toller Posten raus. Oder eine supergünstige Wohnung. Jau, das wär’s. Eine Gratis-Wohnung vielleicht? Eine riiiichtig große. Aber nein, man muss bescheiden bleiben. Eine Gratis-Wohnung, nein, haha, also so etwas kann es nicht geben. Oder doch? Schließlich plakatieren doch immer alle: „Wohnen muss billiger werden!“ Und gratis ist doch ziemlich billig, nicht?

Markus Koschuh

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