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Der warme Herbst und seine Gebärden: Spaziergang im Meer

Stark genug muss man sein, um nicht so zu verenden!

So heißt, wie die bleichen, rothäutigen, Mundwinkel nach unten zeigenden, toten, schier weissäugig wandelnden Wesen, die sich hier und dort, völlig entstellt und vergessen auf den Plätzen herumtreiben. Man kann ihnen nicht mehr ins Gesicht sehen, ihre Blicke sind verfroren, die Themen tagsüber dieselben und ihr Augenlicht scheint nicht mehr nach dem eines klar, nüchternen Menschenbild. Das Tattoo am Unterarm ist durch die vielen Nadeleinstiche schon völlig deformiert. Ihre kleine Gesellschaft scheint den nötigen Schutz dennoch zu geben, ihre paar Hunde wachen, wie einst in den kleinen Dörfern vor Sabra und Schatilla, bei Beirut.

Das daran vorbeilaufende Mädchen ist gerade erst an ihrer Volljährigkeit angelangt – vermutlich – als die Sonne langsam schwindet und der bittere Schaum aus ihrem Munde nicht mehr aufhört zu triefen. Eine Dose Red Bull wurde mit dem Wirkstoff, der einen schneller und vermeintlich wirklicher werden lässt verdünnt. Weiters beigemischt auch eine andere Substanz, ebenso bitter und brausend. Das Getränk wird zu zweit gezehrt und hinzu gemengt noch das übliche Pulver, aus einer anderen Jahreszeit allerdings, anstatt man es dem guten und dekadenten Herbst für gewöhnlich beimessen würde. Ihr ausstoßendes Lachen ist nicht zu verwechseln mit dem krampfhaft verzweifeltem Weinen einer Minderjährigen. Sie mokiert sich in ruhig gelassener Zweisamkeit und spaziert weiter in meine Gegenrichtung. Vermutlich wird sie erst in ein paar Minuten bemerken, dass sie wohl beinahe die ganze Portion abbekommen haben wird. Ihre Augen ähneln langsam den Platzbesuchern nebenan. Ausgenommen sind ihre Pupillen, die sind groß, stark und schwarz währenddessen die Sitzenden keine mehr haben.

Auf wiedersehen, gnädige Dame, einen schönen Aufenthalt… – und kommen´s ma hoit rechtzeitig ah wieda zrugg vón da Insel…

Ein Hauseck oder Theater weiter bricht eine Beleibte in überfälligem Maße, voll gekünstelter Überschwänglichkeit und vertriebenem Schauspiel vor ihrer unscheinbar mageren Tochter beinahe in Tränen aus, als sie sich mit den Worten „ach, mein Gott, nein wirklich, mein Kind, was du da immer von dir gibst, das kann doch nicht sein, wie du auch immer redst…“ – dem Kleinen immer näher kommend beklagt. Das noch in sehr unsicheren Schritten sich dahin schleppende Mädchen nimmt ihre rote Sonnenbrille ab, steckt sie sich behutsam und geübt hinter die Ohren, ihre langen glatten Haare durch den Winde wieder nach vorne verweht und blickt über den breiten Schenkel der Mutter empor, in völliger Unsinnigkeit andenkend was ihrem Zeuger da wieder wohl durchfahren sein musste, um nicht endlich diese Bürde, der Schuld durch Scheidung entstanden, auf sich nehmen zu können. Die Kleine hielt dem windigen Moment inne und blickte dann dem alten in braunem Leder eingewickelten Dackel so lange hinter her, bis dieser sich wieder seinem Weiblein, ebenso förmig wie die sich schon wieder weiter dahin schleppende Mutter, zuwandte.

 

Nicolas Sattler

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