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DER NATURSCHÜTZENDE GEDANKENSCHRANK

doku
Ich bin postmodern und trage lästige Gedanken mit mir herum. Ich würde sie gerne loswerden, diese Gedanken abstellen Am liebsten schickte ich alle in ein strengstens geschütztes Naturschutzgebiet, das unwirtlich zu begehen ist, wo ich schwer hinkomme und nie mehr wieder hin will. Einmal hin, Gedanken gut bunkern und fort. Ich würde mich an sie erinnern so wie ich mich an das erinnere, das vor der Zeit jenseitig verlief und wo Erinnerungsarbeit Pflicht ruft, um forthin ein versöhnliches Leben zu führen.

So bewege ich mich nicht auf dem Pfad des Vergessens. Im Gegenteil, ich bräuchte einen Gedankenschrank, von dem ich mir erhoffe, dass darin meine lästigen Gedanken wie ausgediente Hemden gut aufgehoben sind. Wenn man so will, ich halte Ausschau nach einer Zwischenwelt, die unzugänglich im Naturschutzgebiet und verfügbar im Gedankenschrank liegt. So einfach ist das. Diesen Ort suche ich und heute war ich ihm sehr nahe. Dicht dran. Auf den Fersen. Auf Entdeckungsreise in der rechtswissenschaftlichen Bibliothek spürte ich wie mein Kopf klarer und klarer wurde.

Aber dieser Anfall von Klarheit war nur von kurzer Dauer. Von meiner detektivhaften Euphorie befreit, musste ich mit Bedauern feststellen, dass das, was ich in den Händen hielt, nichts anderes war als ein Stück Naturschutz vom Reichstatthalter in Tirol und Vorarlberg, Hofer, der zu Ausnahmen für das Naturschutzgebiet Arnspitze neigt, wenn er sie als „besonders“ befindet (vgl., § 4 Z 2 der Verordnung vom 19. November 1942).

Und da waren sie wieder.

Ich fragte mich, ob ich meine lästigen Gedanken in diesem Naturschutzgebiet deponieren darf, weil dadurch ja keine Pflanzen oder Tiere geschädigt werden. Vielleicht könnte ich sogar meinen Gedankenschrank da aufstellen. Als Mahnmal gewissermaßen. Falls das aber auf Fauna und Flora beeinträchtigend wirkt, müsste ich dann aufgrund des Verordnungstextes beim Reichstatthalter für eine „besondere“ Ausnahmegenehmigung vorstellig werden? Aber wie soll das gehen? Im Tiroler Naturschutzgesetz drinnen steht das nicht. Da steht nur, dass diese Verordnung nach wie vor in Kraft ist. In der Regierungsvorlage zur Änderung des Naturschutzgesetzes ist nicht vorgesehen, diese Hofer-Verordnung zu streichen. Den Begutachtern ist hierzu nichts eingefallen. Also, wer ist für meinen naturschützenden Gedankenschrank im Naturschutzgebiet Arnspitze zuständig?

Ich bitte hier um umfassende Rechtssicherheit! So möge der Tiroler Landtag in seiner 14. Sitzung der 16. Periode vom 10. bis 12. Dezember 2014 meinen lästigen Gedanken Abhilfe verschaffen und auf dem Fundament von Demokratie, Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit und in Freiheit das Naturschutzgebiet Arnspitze in neuem Glanz erstrahlen lassen.

PS: Wenn in den österreichischen Bundesländern, in Vorarlberg, Salzburg, Ober- und Niederösterreich, Kärnten, Burgenland, Steiermark und in Wien keine Landesvorschrift existiert, wo ein Reichsstatthalter ein Wort mitzureden hat, kann das nicht auch bei uns so sein?

2. Reflexion zum Tiroler Naturschutzgesetz von Andreas Schärmer

Gast

4 Comments

  1. Was will uns der Autor damit eigentlich sagen? Soll jetzt der Naturschutz für die Arnspitze aufgehoben werden oder soll sie darunter bleiben dürfen? Warum nicht? Ist Naturschutz schon schlecht, weil ihn die Nazis angewandt haben? Fragen über Fragen.

    • lieber professor griesgram,

      wie bereits erwähnt quälen mich immer wieder sehr lästige gedanken. Dazu zählt auch der, wonach es nichts richtiges im falschen geben kann. das ist zugegebenermaßen ein recht schwerer gedanke und deswegen würde ich ihn auch gerne loswerden. hinsichtlich dessen bin ich aber nun gespalten, wo ich diesen gedanken hinpflanzen soll. eigentlich hätte ich ihn gern ganz weit weg und würde ihn am liebsten nimmer wieder sehn. andrerseits ganz ohne den wirds auch nicht gehn und so hab ich mir eben überlegt, ob ich mir einen gedankenschrank zimmere, und den da einfach abstell. wollte ich aber nun beides machen, eben meinen gedankenschrank in einem naturschutzgebiet auftstellen, als mahnmal gewissermaßen, wer würde mir dann die entsprechende genehmigung erteilen wollen. und mir nach sollte der boden für diese genehmigung der nach 1945 sein. die arnspitze mag naturschutzgebiet bleiben so lange wie sie will, ab sofort wird sie aber immer den schalen geschmack des unsäglichen in sich tragen. so wäre ich sehr dafür, einen gedankenschrank dort aufzustellen, um zu zeigen, dass der umgang mit der äußeren natur viel damit zu tun hat wie wir mit unserer geschichte und uns selbst umgehen. mehr wirds nicht.

      liebe grüße, andreas

  2. „Ein Federzug von dieser Hand, und neu erschaffen wird die Erde!“ Friedrich Schillers „Don Carlos“ zeigt uns den Weg dazu. Also wo liegt das Problem? Aber sollten wir nicht lieber unsere eigenen Gedanken(kühl)schränke entsorgen? Aber die Kühlmittel werden wir nicht so schnell los. Die müssen natürlich gesondert entsorgt werden, damit sie keinen Schaden anrichten. So was nennt mal Sondermüll. Also alles nicht so einfach. Aber trotzdem: Geschichte kann umgeschrieben, neu geschrieben, neu gedeutet werden. Eben: Ein Federzug machts möglich, aber moment mal: Ist das nicht nur ein Drehen an der Uhr der Zeit? War Friedrich Schiller am Ende gar nur Uhrmacher? Ein dichtender Uhrmacher vielleicht??? Fragen über Fragen. Wer weiß die Antwort, kennt die Lösung?

  3. lieber professor griesgram,

    sie schreiben, dass „alles nicht so einfach“ sei. da stimme ich mit ihnen überein. allerdings frage ich mich, worauf sie sich da beziehen? wenn ich sie richtig verstehe, möchten sie auch diesen federzug erleben, wäre es auch für sie an der zeit, jene gedanken(kühl)schränke zu entsorgen, die ich – anders als sie – nicht nur bei mir persönlich verorte sondern als gesellschaftliches problem betrachte. meine perspektive ist eben nicht jene, dass ich mich im kathartischen sondermüll flexibler selbstbestimmungen einreihe, um die geschichte neu zu deuten, neu zu schreiben oder wie auch immer. vielmehr zeigt sich doch an der hofer-verordnung, dass eben die geschichte nicht neu geschrieben wurde, dass sie nach wie vor lebendig ist. so frage ich sie: wie würde es ihnen ergehen, herr professor, wenn wir gemeinsam unrat mit dem umwelt-label blauer engel in der arnspitze ablegen, um uns dann selbst anzuzeigen, um eine verurteilung ausgesprochen zu bekommen, weil wir gegen eine verordnung aus dem jahr 1942 verstoßen haben? sollten wir uns dabei gemeinsam darauf einigen können, dass wir gegen diese verurteilung vorgehen und an höherer stelle um klärung ansuchen und dabei käme dann heraus, dass wir nichts unrechtes gemacht haben, weil diese verordnung so nicht mehr in kraft sein dürfte und somit unsere verurteilung aufgehoben wird, was würden sie meinen, hieße das für den naturschutz in tirol? und wenn die ganze sache anders ausgeht und wir von höherer stelle nochmals verurteilt würden mit der begründung, es sei unser handeln unrechtens und das von 1942 rechtens gewesen, wie würde es ihnen dabei ergehen, wenn wir vom ideologischen kitsch eines menschenverachtenden systems eine lektion erteilt bekämen?
    ich weiß, das sind lästige gedanken und genau deswegen hätte ich gern einen naturschützenden gedankenschrank, der mir diese last abnimmt. bis dahin bin ich aber der meinung, dass das naturschutzgebiet arnspitze neu ausgewiesen gehört, die hofer-verordnung aus dem tiroler naturschutzgesetz rausgestrichen und erinnerungsarbeit geleistet wird. ich schließe mit schiller:
    „Ein Federzug von dieser Hand, und neu erschaffen wird die Erde. Geben Sie Gedankenfreiheit.“

    liebe grüße, andreas

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