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Der Clown, der Mars und die Liebe

Zu einem Clown sagen, dass er der langweiligste Mensch ist, den man bis jetzt in seinem Leben kennengelernt hätte. Und das, obwohl der Clown professionell ist, also ein Berufsclown. Das macht aber gar nichts. Der Clown wird es mit Gleichmut ertragen. Denn Clowns sind einiges gewohnt. Der Clown aber,  über den Obkircher dieses dachte, war ein einziger Witz. Ein personifizierter Witz. Bei seinen Vorstellungen lachte niemand, und am Ende stand  der Clown vor seinem Publikum als eine traurige Figur, der seinen Kopf nach dem mäßig gegebenen Applaus neigte  wie ein müdes Tier.

Der beinahe sechzigjährige Schweiger aber,  der noch immer keine Frau gefunden hatte, glaubte jetzt mit einem Mal, an einem Männerseminar teilnehmen zu müssen um dabei etwas Wichtiges über die Frauen zu erfahren. Dabei hatte er wahrscheinlich die ihm zu simpel erscheinende Ansicht, dass es im Leben einfach Gewinner und Verlierer gibt, bis jetzt  verdrängt.  Außerdem arbeitete Schweiger einfach zu viel. Seine Arbeitswoche bestand aus mehr als sechzig Stunden. Und meistens war er in den Mittagspausen schon so fertig, dass er kaum mehr einem Gespräch folgen konnte. Er aß langsam und bedächtig, so als wäre es seine Henkersmahlzeit gewesen, egal was auf dem Teller war. Und sagte jemand irgendetwas Wichtiges zum Zeitgeschehen, dann hob er kurz den Kopf und sagte „Ach so“ oder „Nein, nein …“ und widmete sich wieder seinem Essen, wohl aus Angst, dass es sonst zu lange dauerte, und er so seine ohnehin nur sehr kurze Mittagspause überzog.

Sein Kollege Felix Obkircher etwa vermutete, dass Schweiger so wohl nie eine Frau finden konnte, weil er am Abend dann, wenn er nach Hause kam, weder für ein Gespräch noch sonst irgend eine einen anderen Menschen einbeziehende gefühlvolle Handlung vollziehen konnte. Und Felix Obkircher wusste über so etwas bescheid, ja bestens Bescheid sogar. Hatte doch auch er kaum Zeit für so komplexe Dinge wie eben Liebe und Gefühle. Aber er arbeitete viel weniger. Und er riet seinem Freund daher,  wenn er sich das nächste Mal verlieben würde, sollte er seiner Angebeteten doch ein seidenes Halstuch kaufen, auf dem der ganze Text von Roland Barthes‘ Fragmente einer Sprache der Liebe aufgedruckt war. So etwas wäre  um  800 € zu  erstehen und doch ein wahrlich tolles Geschenk gewesen. Und die 800 Euro hätten sich wohl zu 100% ausgezahlt  und wären obendrein auch noch eine originelles Geschenk gewesen, die für ihn mit seinem doch nicht gerade unerheblichen Monatseinkommen leicht zu bewältigen gewesen wäre.

Schweiger aber meinte, dass er nur Frauen mit emotionaler Intelligenz mögen würde, weil am Ende alles andere doch nur austauschbar wäre. So austauschbar wie eine Glühlampe etwa, also am Ende unbefriedigend. Aber das läge ja eigentlich in der Natur der Liebe, sagte darauf Felix Obkircher, mehr zu sich selbst als zu Schweiger.  Weil er schon wieder an etwas ganz anderes gedacht hatte, nämlich daran, ob und wie es denn möglich war, dass ein Mann, wenn er sich in eine Frau verliebte, die eine Zwillingsschwester hatte, nicht auch in jene verlieben würde. Also wenn schon die eine, warum dann nicht auch die andere? Und als Felix Obkircher neulich das in der Bar zum letzten Cent einer solchen sagte, hatte diese ihm darauf keine Antwort gegeben. So wie wenn er ihr ein unmoralisches Angebot gemacht hätte. Und dabei war die Zwillingsschwester neben ihr gesessen und hatte alles mitangehört. Und dabei vielleicht an Felix Obkirchers Verstand zu zweifeln begonnen. Aber vielleicht war es ja sogar so, dass der Liebhaber der einen Zwillingsschwester sich auch in die andere verliebt hatte, nur dieses sich nicht eingestand. So wie eben auch der Clown sein Wissen über sein Unvermögen, ein guter Clown zu sein oder ein solcher zu werden, sich nicht eingestand, und eben auch Schweiger, der beinahe Sechzigjährige seine Erkenntnis,  dass er bei den Frauen verloren hatte.

Dann war da noch Felix Obkirchers Arbeitskollegin Silvia gewesen, die sich freiwillig für eine Marsmission gemeldet hatte, einfach weil sie schon alle Kontinente bereist hatte und einmal etwas anderes sehen wollte. Dabei dauerte der Hinflug zwei ganze Jahre, und der Rückflug zwei weitere Jahre, und dazwischen gab es dann ein Jahr Aufenthalt auf dem Mars. Was also gesamt gesehen fünf ganze Jahre Urlaub bedeutete.  Ihren Arbeitsplatz hätte Silvia  dann natürlich kündigen müssen, aber da die Marsmission ja ohnehin erst in frühestens zehn Jahren beginnen mochte,  war das jetzt für sie noch kein wirkliches Problem gewesen.  Und natürlich hätte sie dann nach dieser langen Reise auch kein Rückkehrrecht mehr an ihren Arbeitsplatz gehabt. Aber auch das wäre ihr egal gewesen. Die geplante Reise zum Mars überwog alle negativen Gefühle in ihr.  Mit „Marserfahrung“ würde sie ja wohl bei  jedem Stellennagebot mit Handkuss genommen werden, schwadronierte Silvia immer wieder. Denn wer hatte diese schon! Ein Jahr Marserfahrung, damit hätte Silvia doch niemand toppen können. Also hatte sie da allen war voraus gehabt an Qualifikation. Ja am Ende hätte so eine Reise  dann vielleicht sogar etwas Mystisches oder Übersinnliches gehabt. Sie konnte – wieder auf die Erde zurückgekehrt – die Alltagsprobleme mit ganz anderen Augen sehen, ja am Ende vielleicht sogar Wunder wirken, Kranke heilen, den Leuten bei ihren Problemen helfen, indem sie ihnen viel länger zuhören konnte wie das sonst deren Freunde vermochten, einfach aus der einfachen Tatsache heraus, dass die Zeit auf dem Mars viel länger war – ein Marstag dauert ja bekanntlich 39 Minuten länger als ein irdischer Tag und ein Jahr ist dort wegen der größeren Rotationsbahn fast doppelt so lange als ein Jahr auf der Erde.

Und vielleicht hätte Silvia durch ihre Marsreise über zusätzliche kosmische Kräfte verfügt. Ja ihre Lippen hätten dann nicht mehr bloß das  banale Alltagslächeln gezeigt sondern eben das Lächeln der Marsianerin.   Die Konsistenz ihres  Blutes hätte sich vielleicht auf dieser langen Reise völlig verändert, hätte sich auf dem langen Flug durch die Schwerelosigkeit verdünnt gehabt oder wäre zu einem Pudding geworden. Ihr Herz schlug aufgrund des Sauerstoffmangels nicht mehr und wurde kurzerhand durch eine elektrische Batterie ersetzt wie bei einer  Küchenuhr. Ihr Nahrungsbedarf wäre ein gänzlich anderer geworden als der der Erdenbewohner. Ja, vielleicht würde Silvia sich fortan nur mehr von kleinen Glühwürmchen oder sonstigen Insekten ernährt haben, oder gar von Styropor, dazu schwarzes Bier trinken und dazwischen kleine Nüsschen knabbern.  Natürlich würde sie einen kaum abzuschätzenden Fotovorrat von ihrer Marsreise mitbringen, hatte sie doch schon nach nur acht bis vierzehn Tagen dauernden Urlaubsreisen meistens tausende von Fotos geschossen und damit ihre Freundinnen und Freunde begeistert.

Felix Obkircher stellte sich vor, wie es die Wissenschaft eines schönen Tages schaffte, die Frauen durchsichtig zu machen. Also nicht mehr nur, dass sie sehr transparente Kleidung trugen,  die sehr viele ihrer Reize den männlichen Blicken –  aber nicht nur diesen! – freigaben, sondern das man direkt in das Innere ihres Körpers blicken konnte. Das hatte dann etwa den Vorteil, dass Missverständnisse, die sich oft gerade im partnerschaftlichen Bereich ergaben, von vornherein  ausgeschaltet werden konnten. Etwa indem der paarungsbereite und an einer Beziehung interessierte Liebhaber oder Freund mit einem Blick feststellen konnte,  wenn die Frau ihren Eisprung hatte. Farbe und Form  der Gebärmutter und deren  Bewegung hätten ihn  über den aktuellen Zustand ihres monatlichen Zyklus sowie auch ihrer momentanen Paarungsbereitschaft genauestens informiert, und natürlich auch über eine schon eventuell vorhandene Schwangerschaft.

Und anhand  ihrer Darmbewegung und der Peristaltik ihres Magens hätte er sich Kenntnis über ihren aktuellen Gesundheitszustand verschaffen können, etwa ob  ihre Verdauung in Ordnung war oder ob sie etwa an Verstopfung litt – was sich  – wie man ja schonlänger hinlänglich weiß – auf die Stimmungslage auswirken kann. Kurz und gut: alles lag offen, was über die potentielle Partnerin zu wissen wichtig war, wenn ein Date gelingen sollte. Der Grad ihrer emotionellen Befindlichkeit ließ sich zudem noch mühelos über die elektrischen Signale ihrer Gehirnwellen ablesen, die in einem kleinen Monitor, den die Frau wie eine moderne Kopfbedeckung trug,  sichtbar waren, wohin sie direkt von ihrem Gehirn übertragen  wurden. Wie dann etwa ein Satz wie “Ich mag dich gern“ oder „Ich habe mich in dich verliebt“ dort angekommen und verarbeitet worden wäre,  welche Gehirnregionen, über deren momentane Aktivität der kleine Bildschirm ebenfalls bereitwilligst Auskunft gab, da gerade arbeiteten.   

Wäre das der Tod der Liebe gewesen? Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht. Felix Obkircher war sich da nicht sicher. Man hätte es einfach drauf ankommen lassen sollen. So dachte er. Den Versuch wäre es doch allemal wert gewesen. Und wenn es die Liebe nicht mehr gab, weil alle ihre Hintergründe und Mechanismen offen lagen, um wie vieles einfacher wäre das Leben dann vielleicht mit einem Mal geworden! Und eine Frau zu küssen oder ihr die Liebe zu erklären, ohne sich vorher über den Zustand ihres Körpers informiert zu haben, wäre dann so gewesen wie mit einem Porsche oder einem Ferrari  mit 300 km/h über die Autobahn zu brettern.

Die Zwillingsschwestern aber blieben von all dem unbeeindruckt. Sie glaubten an die ewige Liebe oder meinten zumindest an diese zu glauben, ohne zu wissen, was diese überhaupt war.  Und Felix Obkircher sagte bei der Aufnahme in die Klinik, in die er sich wegen eines Routineeingriffs begeben musste,  auf die Frage der Aufnahme-Sekretärin, wen man denn verständigen soll, wenn „was passieren“ würde: „Ich habe über dreihundert Facebook-Freunde,  suchen Sie sich einen davon aus!“  und reichte ihr dazu seinen auf einen Zettel geschriebenen  Facebook-Account.

© Helmut Schiestl 2015

Hier noch ein Hinweis auf einen Artikel im STANDARD von letzter Woche, der die Thematik von elektronischer Vernetzung und Gedankenlesen zum Thema hat, sozusagen als Vorausschau, was eines schönen oder schlechten Tages vielleicht mal möglich sein wird. http://derstandard.at/2000064312669/Wenn-Maschinen-Gedanken-lesen

 

Helmut Schiestl

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