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Der 38-Jährige, der aus dem Fenster stieg und nicht verschwand.

Zuerst einmal ein riesengroßes Danke an die Feuerwehr. Schnell war sie wirklich da. Und viele Feuerwehrleute waren es auch. Und auch Rettung und Polizei. Eine blau erleuchtete Innsbrucker Jahnstraße in sonstiger Dunkelheit, plötzlich viele Gesichter hinter den Fenstern oder in den Fensterrahmen. Das mit dem „aufeinander schauen“ in der Nachbarschaft hatte ich mir zwar anders vorgestellt, aber was soll’s. Und ich schreibe deshalb darüber, weil es gut tut. Hätte auch anders ausgehen können. Ist es zum Glück nicht. Weil wir so ziemlich die beste Rettungskette auf der Welt haben. Da bin ich mir seit vergangener Nacht sicher.

Brand Jahnstraße 19Als es in dem Mehrparteienhaus, in dem ich wohne, spätnachts zwei Mal knallt und ich daraufhin schauen will, was passiert ist, sehe ich erst Mal nichts. Aber ich rieche dieses Nichts. Zwei, drei übel stinkende Rauchschwaden schaffen es in meine Wohnung, bevor ich die Wohnungstüre wieder schließen kann. Handy suchen. Kurz überlegen, ob ich die Wohnungstüre noch einmal für ein oder zwei „Feuer!“-Weckrufe für die Nachbarn öffnen soll, dann aber doch lieber die Feuerwehr anrufen. 122. Da ist man dann wieder dankbar für den alten Kindergartenreim, der einem die Nummer in Erinnerung spült. Dann: warten. Sekunden werden zu Minuten, Minuten werden zu was weiß ich. Es kommt einem wie zwei Ewigkeiten vor. Immerhin haben wir Gas im Haus. Das habe ich glaube ich auch am Telefon gesagt. Vielleicht auch geschrien, das weiß ich nicht mehr.

Vor dem Schlafzimmerfenster, längst offen wie die Abwehr der österreichischen Fußballnationalmannschaft in ihren schlechtesten Zeiten, ist diese Verkehrszeichenstange. Beinahe zum Greifen nah. Ich überlege ein, zwei Mal, mein bisschen Klettererfahrung zu nutzen und mich über die Stange abzuseilen. Habe ich schon erwähnt, dass wir Gas im Haus haben? Schnell Schuhe anziehen, vielleicht mache ich es ja wirklich, diesen Stangentanz für Anfänger. Als ich wieder am Fenster stehe und den Abstand zur Stange schätze, biegt das erste Feuerwehrauto um die Ecke. Rasch füllt sich die Jahnstraße und durch das viele Blaulicht wirkt es plötzlich wie eine schlecht koordinierte Lichtshow auf einem FPÖ-Parteikongress. Ehe ich es mich versehe, wird eine Leiter an mein Fenster gestellt. Ich brauche keine Extraeinladung. Und während ich die Sprossen runtersteige, blitzt in mir der an den Bestseller von Jonas Jonasson angelehnte Satz auf: „Der 38-Jährige, der aus dem Fenster stieg und nicht verschwand.“ Kabarettistenhumor.

Kaum bin ich unten, sage ich wieder dieses 3-Buchstaben-Wort: Gas. Doch der Einsatzleiter der Feuerwehr lächelt nur milde und schickt zwei Feuerwehrleute die Leiter rauf. Die gehen durch mein Fenster im ersten Stock ins Haus. Noch einmal: durch mein Fenster ins Haus. Ein paar andere machen das kurz darauf langweilig normal und gehen durch die Haustür rein. Aber sie wissen schon, was sie tun. So viel kriege sogar ich mit. Eilig rufe ich einige meiner Nachbarn an. Erreichen tue ich niemanden. Aber ein paar von ihnen stehen bald am Gehsteig neben mir. Bald ist klar: niemandem ist etwas passiert, aber der Einsatz zieht sich. Verstärkung der Feuerwehr Reichenau rückt an (ebenso großes Danke!). Jetzt heißt es, den Rauch raus zu bekommen. Das schaffen nicht einmal diese Riesenventilatoren, die sonst wohl nur in der Formel 1 für Windkanaltests verwendet werden. Oder für diese „Haar-im-Wind“-Fotos mit langhaahrigen Models. Ruß und Gestank aus dem Keller kommend. Überall.

Brand Jahnstraße 19 Türe XIrgendwann dürfen wir wieder in die Wohnungen zurück. Durch die Haustür. An meiner Wohnungstüre prangt ein riesengroßes gelbes „X“. Wie auch an der Türe meine Nachbarin, die gar nicht zuhause war. Da haben sie wohl bei ihr geklopft und gehämmert. Und schließlich ein „X“ mit Ölstift drauf gemalt. Wohl für den Bruce Willis unter ihnen, der im schlimmsten Fall zum Tür eintreten kommt. Aber auch auf meiner Türe eben dieses „X“. Dabei war ich doch da. Halt schon über die Leiter nicht entschwunden und vor dem Haus stehend. 10 Minuten habe ich heute schon geschrubbt aber dieses „X“ ist hartnäckig. Vermutlich hat auch das einen tieferen Sinn. Vielleicht lasse ich es gut sein mit dem Schrubben und lasse das „X“ bis 24. April an der Türe. Als Erinnerung, bei der Bundespräsidentschaftswahl mein Kreuzerl zu machen. Oder nie jemandem ein x für ein u vorzumachen, was weiß ich. Spätestens bis zum nächsten Besuch der heiligen drei Könige muss es halt weg sein. Nicht dass die glauben, hier wohnt ein Satanist.

Markus Koschuh

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