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Datenhysterie und Anonymus

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Meldungen wie: Der gläserne Mensch ist bereits Realität. Ebenso die totale Überwachung durch Geheimdienste, durch Google, durch Facebook, usw. Bis ins Letzte sind wir durchleuchtet und algorithmisiert … Das sind die Meldungen, die ohne Zweifel der Realität entsprechen. Trotzdem wird auch hier sehr viel Hysterie, Angst und Unsicherheit geschürt, wie ein kleines Erlebnis verdeutlichen soll.

Anonymus – die Robin Hoods gegen Datenmissbrauch
Wie ich hier an anderer Stelle schon einmal erwähnt habe, habe ich meine Brötchen in der Tiroler Gesundheitskasse verdient. In dieser Funktion bin ich einmal mit dem Obmann nach Osttirol gefahren. Dort sollten wir im Bezirkskrankenhaus an einer Veranstaltung über die Palliativmedizin teilnehmen. Es war ein herrlicher Frühlingstag und der Obmann meinte, nach der Veranstaltung genehmigen wir uns ein gutes Mittagessen im „Golden Fisch“. Dieses Gasthaus kannte er von früheren Aufenthalten in Lienz.
Kurz vor Kitzbühel erreichte uns ein aufgeregter Anruf des IT-Abteilungsleiters, der völlig außer sich zu sein schien. Ob wir schon die neuesten Nachrichten, die gerade übers Internet und auch übers Radio vermittelt werden, mitbekommen hätten. Wir hatten nichts mitbekommen.

„Die Leute von Anonymus gaben an, im Besitz von geheimen medizinischen TGKK-Daten zu sein. Welche genau, ließen sie offen“, sagte der Abteilungsleiter. „Aufgrund eigener Untersuchungen gebe es zwar keinen Hinweis, dass das System geknackt worden sei. Nichts lasse im Moment darauf schließen, dennoch…“
Anonymus nannte in seinem Schreiben einige Namen bekannter Tiroler, die auf der angeblichen Liste aufscheinen, aber zwei Drittel der Tiroler Bevölkerung sind bei der TGKK versichert, sodass diese Aussage weiter nicht viel Aussagekraft hätte. Anonymus behauptete, dass sie über Tausende brisanter Daten verfügen würde, die sie aber nicht preisgeben wollen. Ihnen gehe es nur um das Aufzeigen eines Datenlecks in der staatlichen Sozialversicherung.

Der Obmann und ich überlegten kurz, ob wir in die Hauptverwaltung zurück, oder doch zur Veranstaltung nach Lienz fahren sollten. Wir entschieden uns für zweiteres. In der Hauptverwaltung war bereits die Staatssicherheit und war dabei, Unterlagen zu beschlagnahmen.
Jedenfalls, kaum hatten wir das Telefonat mit dem Abteilungsleiter beendet, läutete das Handy des Obmanns unentwegt. Kaum hatte er ein Gespräch beendet, gabs das nächste. Alle nur erdenklichen Medien meldeten sich der Reihe nach, sogar ausländische.

„Wie ist es zum Datenklau gekommen? Wie war der Einbruch in das System möglich? Welche Daten sind in die Hände von Anonymus geraten? Welche Maßnahmen wird die Kasse treffen? Was bedeutet der Datenklau für die Versicherten der Kasse?“ etc. Kaum waren wir in Lienz angekommen, stand bereits der ORF parat und wollte ein Interview. Auf meinem Handy hatte ich versucht, nähere Informationen zu bekommen. Von der IT wurde mir mitgeteilt, dass es kein Datenleck gebe, dass das System nicht geknackt wurde, und dass es sich bei den Datensätzen unter Umständen um alte Listen von Vertragspartnern handeln könnte, die diese zur Abrechnung benötigten. Die bekannten Namen, die von Anonymus genannt wurden, seien teilweise von Personen, die seit langem nicht mehr bei der TGKK versichert wären, und wenn die Vermutung unserer Experten stimme, dann handle es sich um alte Datensätze, wo nur Namen von Versicherten mit der Versicherungsnummer aufscheinen würden. Für Außenstehende völlig wertlose Informationen. Mehr könne man aber im Moment dazu nicht sagen.

Kein gemütliches Mittagessen
Aus dem Mittagessen im „Goldenen Fisch“ wurde natürlich nichts, sondern wir fuhren nach der Veranstaltung in aller Eile zurück nach Innsbruck. Als wir dort ankamen, warteten bereits mehrere Fernsehteams, Radiostationen und andere Medienleute auf uns. Eine improvisierte Pressekonferenz fand statt. Auch der Direktor der Gesundheitskasse, der zufällig in Vietnam auf Urlaub war, hatte von den Vorfällen rund um Anonymus gehört und meldete sich. Alle einheimischen Medien berichteten die nächsten beiden Tage ausführlich, auch mehrere im Ausland, wobei von einem Datenleck, dem schlampigen Umgang mit vermutlich hochbrisanten medizinischen Daten gesprochen wurde, die in die Hände von Anonymus geraten seien. Nach zwei Tagen war der große Medienrummel mehr oder weniger vorbei.

Vereinzelt erschienen noch Beiträge in Wochenzeitschriften und natürlich hatten die Leserbriefschreiber Hochsaison, um die unfähigen IT-Leute in der Zwangsversicherungsanstalt zu beschimpfen und einige Mitglieder wollten ihre Mitgliedschaft bei der Gesundheitskasse kündigen. weil sie dort ihre Daten nicht sicher hatten. Innerhalb der Sozialversicherung wurde eine Task-Force eingerichtet, die nach der Herkunft der Daten im Internet suchte, erfolglos. Anonymus meldete sich nicht wieder, aber sie hatten ja ihren erfolgreichen Auftritt und zu guter Letzt erhielt die Tiroler Gesundheitskasse vom Wiener Rabenhof das Ehrenzeichen für die größte Schlamperei des Jahres in der öffentlichen Verwaltung. Was genau passiert war, interessierte niemanden. Die Geschichte war gelaufen. Die Robin Hoods hatten ihren Spaß, die Medien ihren Skandal, das stets gut informierte Volk ihre negative Bestätigung, nur der Obmann und ich mussten auf unser gutes Mittagessen verzichten.

ELIAS SCHNEITTER

Gast

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