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Subjektiv betrachtet: Bürgerlich sein

Bürgerlich sein ist wie Klopapier kaufen. Man will eigentlich nicht dabei beobachtet werden, kann aber nicht anders.

Vorige Woche hat mir eine Freundin von einem Streik erzählt. Wofür oder wogegen sich die Straßen ihrer Erzählung füllten, weiß ich nicht mehr so genau. Könnte daran liegen, dass es hier zu Lande nur noch darum geht, fehlenden Inhalten eine Form zu geben.

Nun fand besagter Streik aber nicht in Österreich, sondern in Deutschland statt. Von der Macht regionaler Gewohnheit abgesehen, fielen Parallelen auf. Und dann ein Satz:

Schon komisch, wenn man sich plötzlich in einem Haufen 60jähriger Gutsituierter wiederfindet, die gerade im Begriff sind „Wir sind die junge Garde des Proletariats…“ anzustimmen, ohne dabei wirklich rot zu werden.

Auf gut österreichisch fällt mir dazu nur ein: „Da hama wieder glacht“. Oder „Freundschaft“, wobei ich zugeben muss, dass mich die gestrige ORF-Ausstrahlung derselben ungebührlich schnell in Tiefschlaf versetzt hat.

Das wiederum könnte aber auch an dem ermüdenden Gedankenkarussell Österreich liegen, in dem tatsächlich immer noch der Frage nachgegangen wird, ob die Grünen jetzt auch schon bürgerlich sind und wenn bzw. weil ja, ob sie es selbst auch schon wissen.

Vielleicht ist es aber auch einfach nur so, dass ich die gute alte Sprechblasendemokratie nicht mehr so gut verkrafte. Ich meine, man wird ja schließlich auch älter. Sieht genauer hin und hört genauer zu.

Links:

http://derstandard.at/1369361983165/Die-Gruenen-und-die-Buergerlichen http://derstandard.at/1369361600942/Gruene-Buergerlich-brav-oder-links-links#forumstart

Isabella Krainer

5 Comments

  1. "Bügerlich" ist politisch sehr bedeutungsoffen: Reicht von 1789, bürgerliche Freiheiten, Bildungs- und Besitzbürgertum bis zur Bio-Bobos und Biomarken-kaufenden und grün wählenden Anwaltsgattin, die nebenbei seelenreinigende Seminare anbietet …

    Die Grünen können mit ÖVP und SPÖ, Van der Bellen sieht auch Möglichkeiten mit Stronach. Wir werden ja sehen, wie es in Salzburg schließlich aussieht. Ich versteh die Aufregung nicht: Die Grünen sind eine politische Partei, historisch gesehen jung und zweifellos bürgerlich (idealistisch, postmateriell). Dass sie jetzt an die Macht streben, ist legitim und nur folgerichtig.

    Liebe Isa: Du warst doch selbst in einer ÖH-Koalition mit der ÖVP-AG, dadurch hatten wir im Vaust unsere beste Zeit (finde ich). Politische "Macht" ist meistens nur fad und oft grausig – politische Aktion macht klug und Spaß.

  2. Lieber Wiese,

    eine Frau, die Seminare anbietet, nennt man Seminarleiterin – nicht XY-Gattin. Und darüber, dass ein Beitrag, der nichts mit Koalitionen zu tun hat, von dir so gelesen wird, zerbreche ich mir nicht den Kopf. 

  3. Dafür wird dir die Seelenreinigungsseminarleiterin dankbar sein und ich habe deinen Beitrag schon als Statement zu den Koalitionen der Grünen gelesen, liebe Isa – auch die beiden standard.at-Links thematisieren das. Wie definierst du "bürgerlich" bzw. worauf bezieht sich dein Artikel sonst?

  4. na genau darauf, dass die bezeichnung "bürgerlich" im parteipolitischen kontext gar nicht viel aussagt und trotzdem alle danach fragen.

    wär eine partei nicht "bürgerlich" bzw. würde sie sich nicht "bürgerlich" präsentieren, hätte sie in österreich genau gar keine chance. warum politische inhalte, die die abgrenzung zu anderen parteien ja erst möglich und parteiprogramme überhaupt noch irgendwie unterscheidbar machen, dabei auf der strecke bleiben und vor lauter annäherung längst stillstand herrscht, danach fragt ja niemand.

    schlimm genug, dass sich die herkömmlichen parteien in erster linie nur mehr der bemühung hingeben, fehlenden inhalten, eine form zu geben, oder? um das krass – oder oh la la, selbst die grünen im "bürgerlichen" eck zu vermuten – brauche ich keine koaltionen. 


  5. Eben. Und deshalb erschöpft sich DEMOKRATIE nicht im Ankreuzen des berüchtigten "geringsten Übels" sondern meint gesellschaftliche Teilhabe am Arbeitsplatz, vor Behörden und als freie, vernunftbegabte Individuen in Gemeinschaft.

    Wir wählen zwischen zwoundvierzig Klopapiermarken und pseudopopulistischen CastingKandidatInnen. Dass einer wie Faymann Bundeskasperl ist, sagt viel über dieses Land. Am anderen Ende des Parteienspektrums Stroh und Strache …  Uns aus dem Elend zu erlösen, können wir nur selber tun!  

    Die bürgerlichen Freiheiten, dass ich hier öffentlich meinen darf, sind erstritten und umstritten. Wichtig sind jetzt soziale Rechte: Grundeinkommen, Freiheit der Menschen und Bildung statt nur von Waren und Geld! Die Linke soll endlich ihr Versprechen wahrmachen: die internationale, demokratische, solidarische Weltrepublik
    – Menschheit ohne Herrschaft. Jede/r/s unentbehrlich und alle gleich an Rechten frei zu sein.

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