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Held(INN)en

Wie eine Innsbruckerin 12.000 Kinder aus Konzentrationslagern rettete und niemand es bemerkte. Über  Diana Budisavljević  geb. Obexer.

Helden waren für mich Batman, Michael Jordan. Später dann Rosa Luxemburg, Public Enemy und natürlich immer noch Batman. Ich wusste selbstverständlich, dass ich sie nie kennenlernen würde. Manche waren ja nicht einmal echt, manche nur mehr vergilbte Fotos in einem neuen Rahmen im Schlafzimmer oder Discs in der DVD-Sammlung. Nichts destotrotz wusste ich alles von ihnen. Ihre Geschichte, ihre Statistiken, ihre Erfolge.

 

An jene Heldenszenen, die ich bewusst erlebte, erinnere ich mich in meinem Kopfkino sogar in Dolby Surround:
1998 liegen die Chicago Bulls in den Basketball-Finalserien der NBA zurück; 16 Sekunden vor Spielende kann Michael Jordan den Ball von Karl Malone stehlen, während neun Männer ins Chaos der letzten Sekunden nach vorne stürmen, dribbelt einzig Jordan den Ball seelenruhig, gehend und Kaugummi schmatzend in die gegnerische Hälfte. Plötzlich zieht er nach rechts, der tragische Verteidiger Jordans, Byron Russel, rutscht fast auf dem Parkett aus, weil er die letzten Reserven von Kraft seines Gegners nicht erwartete, springt hoch und wirft.

 

Als der Ball seine rechte Hand verließ, lässt Jordan sie in der Luft hängen, als ob er den Ball noch versucht außerhalb seiner Reichweite in den Ring zu pressen. Der Ball geht rein. Nur das Zischen des Netzes. Fünf Sekunden stehen auf der Uhr. Der Gegner ist gebrochen, sie können nicht mehr. Jordan läuft alleine in seine Hälfte zurück und wartet bis die Uhr nicht mehr tickt. Ich war zehn Jahre alt, als ich das sah und meine Lippen zittern immer noch ungläubig, wenn ich daran denke.

Helden sind größer als das Leben. Weil sie leuchten, erlauben wir uns auch manchmal zu leuchten und so zu sein, wie wir eigentlich immer wären, wenn wir keine Angst hätten. Doch was, wenn ein Held sich nicht zeigt? Wenn er es als unehrlich empfindet und es nicht für notwendig hält, seiner Geschichte den Glanz zu nehmen, indem er es immer wieder erzählt. Denkunmöglich ist ein Treffen mit so einem Helden. Wie sollte man ihn denn auch erkennen?

 

Vor ein paar Jahren jedoch wurde mir in Belgrad die Geschichte einer Frau erzählt.
Als Nazideutschland 1941 den Zweiten Weltkrieg nach Südosteuropa brachte, fanden sie im damaligen Königreich Jugoslawien nicht nur Feinde und „slawische Untermenschen“ vor. Eine außerparlamentarische faschistische Gruppierung, die Ustaša (auf Deutsch: Aufständische), konnte mit Hilfe der Achsenmächte und Hitlers Gnaden, auf dem heutigen Gebiet Kroatiens und Bosniens den Unabhängige Staat Kroatien gründen und einen der ersten funktionierenden Vasallenstaaten des Dritten Reichs errichten.

 

Das nationalsozialistische Kroatien wurde gemäß dem Führerprinzip aufgebaut, nur das im Gegensatz zu Italien oder Deutschland der Einfluss der Katholischen Kirche politisch, ideologisch, und personell exorbitant war. Ministerposten, hohe Bürokratie, selbst die Lagerleitung der bald errichteten 20 Konzentrationslager waren bspw. mit Franziskanerpatern besetzt. Auf der schwarzen Liste des Regimes standen ethnische SerbInnen, Juden und Jüdinnen, Roma, Sinti, Lawara und antifaschistische KroatInnen.

 

Traurige Berühmtheit erlangte hierbei das KZ Jasenovac, das größte KZ, das nicht in der Hand von Nazis war. Es gab keine Gaskammern, es fand keine maschinelle Vernichtung statt. Alles wurde per Hand erledigt. Zunächst mit Schusswaffen, später vor allem mit Messern, aber auch Hacken, Beilen, Äxten und Hämmern. (1) Eine eigene Schlachtwaffe wurde erfunden, der „Srbosjek“ (deutsch etwa Serbenschneider), eigentlich ein landwirtschaftlich genütztes Messer in Form eines Handschuhs. (2)

Selbst der deutsche Gesandte Benzler richtete 1941 ein Telegramm nach Berlin, die von „Untaten, wie man sie nur von vertierten Bolschewisten erwarten sollte“ berichtete. (1) Es gibt sogar Berichte von deutschen Soldaten, die auf ihre Verbündeten schossen und sich Scharmützel lieferten, da sie sich angeekelt fühlten von den Blutigen Orgien der Ustaša. Am Ende starben nach neuesten Schätzungen ungefähr 100.000 Menschen alleine in Jasenovac.

 

In diesem Schlachthaus entschloss sich eine 50jährige Innsbrucker Krankenschwester im Jahr 1941 nicht mehr zuzusehen oder es nicht mehr zu können. Diana Obexer war 1891 in Innsbruck geboren worden, auf ihrem Geburtshaus in der Maria-Theresie Strasse, wo heute die Buchhandlung TYROLIA beheimatet ist, steht noch immer der Name ihrer altehrwürdigen Familie in goldenen Lettern. Sie lernte nach ihrer Ausbildung zur Sanitäterin am Landeskrankenhaus den serbischen Arzt Dr. Julije Budisavljević kennen und heiratete ihn 1917.

 

Diana Budisavljević zog 1919 gemeinsam mit ihrem Mann nach Zagreb, wo ihr Mann tätig wurde. Als der Krieg über das Lang hinwegfegte, erfuhr sie von den errichteten Lagern und dem Schicksal von unzähligen Kindern im Lager Lobor-Grad. Anfangs sammelte und schickte sie im guten Glauben Geld, Nahrungsmittel und Kleidung an das Lager selbst, welches mit Hilfe der jüdischen Gemeinde mehr oder minder an die Gefangenen verteilt wurde.

 

Die eigentliche „Aktion Diana Budisavljević“ begann ein Jahr später, als sie, mit Hilfe des Roten Kreuzes, einiger anderer Mithelfer und dem deutschen Offizier Albert von Kotzian (3) die schriftliche Erlaubnis bekam Kinder aus dem KZ Stara Gradiška „mitzunehmen“, um sie dann still und heimlich an Familien in anderen Städten zu verteilen. Weitere „Allokationsaktionen“ folgten; elf Mitglieder ihrer Gruppe wurden bis zum Kriegsende ermordet. Ihre akribischen Aufzeichnungen über die Namen, Geburtsdaten, Eltern, Herkunft usw. der Kinder, halfen nach dem Krieg etwaigen Überlebenden ihre Familien wieder zusammenzuführen.

Budisavljević rettete von 1941 bis 1945 die bestätigte Zahl von über 12.000 (!) Kindern. (4)
Danach wurde es still. Die nunmehr kommunistische Regierung Jugoslawiens ließ wenig Informationsfluss in Sachen „Aktion Diana Budisavljević“ zu. Kein Film namens „Dianas Liste“, kein Buch, keine Auszeichnungen. Auch Diana wollte es so. 1972 zog mit ihrem Mann wieder nach Innsbruck, wo sie in der Anichstraße 24 lebte und 1978 am Westfriedhof beigesetzt wurde.
Jahrzehnte später, im Jahr 2003, veröffentlichte Dianas Enkelin, Silvia Szabo das "Tagebuch von Diana Budisavljevic 1941-1945" in dem in über 300 Notizen ihre Geschichte nachverfolgt werden kann. Seitdem wächst das Interesse an der Unbekannten. Die Universität Innsbruck erarbeitete eine Enquete. Der serbische Staat verlieh ihr 2012 seinen höchsten Orden. Die Orthodoxe Kirche den ihrigen.

Der Gemeinderat der Stadt Innsbruck wird am 21.02.2013 den Park vor der Johanneskirche am Innrain (gegenüber dem Finanzamt), nach Diana Budisavljević benennen. (Der Dank gebührt hierbei im Übrigen dem Serbisch-Orthodoxen Jugendverein Innsbruck SPOJI, den Sozialdemokratischen FreiheitskämpferInnen, den Gemeinderätinnen Angela Eberl und Sophia Reisecker, dem Kulturausschuss und dem Gemeinderat der Stadt Innsbruck)
Wenn ich über Helden und Heldinnen nachdenke, fällt mir oft Superman als Ausnahmeerscheinung ein.

 

Er erkennt, wie alle anderen Superheroes die Notwendigkeit einer Geheimidentität. Allerdings ergibt sich aus seiner Abstammung als Kryptonier ein Paradoxon; streng genommen ist Superman als Einziger von ihnen kein Mensch, sondern ein Außerirdischer. Deswegen muss er sich nicht als Mensch verstellen, um Held zu sein, sondern umgekehrt: er muss einen Menschen darstellen und ihn kopieren. Sein Mimikry spiegelt sich in Clark Kent. So wie es Superman wohl sieht, ist der Mensch für ihn bieder, feige und berechnend. Und so ist es auch sein menschliches Alter Ego, der besagte Clark Kent.

Zum Glück aber hat unsere Stadt auch andere Menschen hervorgebracht. Beispielsweise Diana Budisavljević, die 1941 eine andere Entscheidung getroffen hat, als die meisten Menschen ihrer Zeit. Und ihre Werk war für sie so selbstverständlich, dass sie es nicht für wert erachtete ihren Taten Worte folgen zu lassen. Deswegen gebührt ihr ab nächster Woche ein Platz im Zentrum Innsbrucks. Und deswegen gebühren ihr auch, obwohl nicht ihre Art, die letzten Worte:
——
„10. Juli 1942, Stara Gradiska: Ein paar Kinder waren schon für den Transport nach Gornja Rijeka vorgesehen, doch mussten sie wegen Krankheit hier bleiben. Sie starben teilweise dort, teilweise starben die von uns Übernommenen später, so wie so viele andere dieser kleinen gequälten, unbekannten, namenlosen Kinder. Und jedes hatte eine Mutter, welche bitterlich weinte, sein Zuhause, seine Kleidung; und nun füllt es nackt ein Massengrab. Neun Monate ausgetragen, unter Schmerzen geboren, mit Begeisterung willkommen geheißen, mit Liebe aufgezogen und dann – Hitler braucht Arbeiter, holt die Frauen, nehmt ihnen die Kinder, lasst sie verfallen; was für eine maßlose Trauer, was für ein Schmerz (…) Am Vormittag kam auch noch Luburic. Er war wütend, weil er uns die Kinder geben musste. Er meinte, dass es genug katholische Kinder in Zagreb in Armut wuchsen. Wir sollten uns doch um diese kümmern. Dann drohte er uns wieder, dass es nur von seinem guten Willen abhinge, ob er uns wieder aus dem Lager lies.“ (4)
Aus dem Tagebuch

 

(1)
http://www.dradio.de/dlf/sendungen/dasfeature/987667/
Deutschlandfunk vom 28. August 2009: Zweierlei Erinnerung : Jasenovac – Das kroatische Auschwitz von Eberhard Rondholz

(2)
David M. Kennedy, Margaret E. Wagner, Linda Barrett Osborne, Susan Reyburn: The Library of Congress World War II Companion. Simon and Schuster, 2007. S. 640, 646-47, 683:
“At Jasenovac, a series of camps in Croatia, the ultranationalist, right-wing Ustasha murdered Serbs, Jews, Gypsies, Muslims, and political opponents not by gassing, but with hand tools or the infamous graviso or srbosjek (literally, "Serb cutter") – a long, curved knife attached to a partial glove and designed for rapid, easy killing.”

(3)
Prof. dr. sc. Mirjana Ajdukovic, The Activity of Diana Budisavljević with the child victims of World War II. Annual of Social work, Vol.13 No.1 October 2006.
(4)
Dnevnik Diane Budisavljevic 1941-1945, p. 285

 

Text von Marko Miloradovic

Fotos von spoji.org/de/
 


4 Comments

  1. Interessante Geschichte. Habe bis jetzt auch noch nie davon gehört. Gut gefällt mir auch die Einleitung, weil sie eine Frage aufwirft, die bei all diesen Geschichten viel zu wenig bedacht wird: Will ich meine (HeldINNen)Geschichte überhaupt erzählen? Und wie ist es, wenn ich sie erzähle.? Nehme ich ihr dann was von ihrer …Würde? Mach ich sie kleiner, als sie vielleicht war, indem ich sie (vielleicht) für die anderen größer mache?

  2. Deine Skepsis gegenüber HeldInnen kann ich gut nachvollziehen, geschätzer Helmut: eigentlich sollte man doch glücklich sein, wenn es sie gar nicht braucht… außer eben in finsteren Zeiten. Zumindest die Sehnsucht nach ihnen ist aber uralt, schon seit Homer.

  3. Feiner Artikel. Wo gibts die Tagebücher zu lesen? Auf Amazon gibts hierzu keine Einträge und auch nicht auf google…vielen dank für einen hinweis.

    lg ernst

  4. die Tagebücher werden gerade an zwei Orten unabhängig voneinander übersetzt auf Deutsch. Berlin und Zagreb. Wenn ich über deren fortschritte höre meld ich mich! LG Marko

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