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Fächerträger, Schlauchboys & Co

Woran merkt eine Zuagraste in Innsbruck, dass sie eine ebensolche ist? Einerseits natürlich an der Unfähigkeit, als Alemannin das innsbruckerische Kehlkopf-„k“ zu produzieren. Abgesehen von diesen lautlichen Schwierigkeiten wird mir aber vor allem dann bewusst, dass ich „nit von do“ bin, wenn mir Kenntnisse über die ganz alltägliche Innsbrucker Infrastruktur fehlen…

 

Alltagsschwierigkeiten einer Zuagrasten
Wo kann man zum Beispiel in Innsbruck ein älteres Staubsaugermodell reparieren lassen? Was tun, wenn man – selten, aber doch manchmal – einen „richtigen“ Schuhmacher braucht, oder jemanden, der einen Regenschirm wieder instand setzt? Wer kann eine Anzughose fachgerecht kürzen oder Ersatz für den fehlenden Mantelknopf liefern? Wo bekomme ich ein Anschlussstück für meinen Gartenschlauch? Einen Steckeradapter für Italien? Oder eines dieser kleinen silbernen Aluminiumstöpsel, die man in die Seitenwand eines Regals steckt (leider kein IKEA-Modell) und dann das Regalbrett drauflegt?
Innsbruck-Wiki der anderen Art
Dort, wo ich aufgewachsen bin, kenne ich entweder die entsprechenden Geschäfte oder aber Leute, die solche Dinge sicher wissen. In einer fremden Stadt ist das alles viel komplizierter, besonders am Anfang und vor allem wenn man, wie so oft als Zuagraste, hauptsächlich andere Zuagraste kennt. Mein Ersatz für Ortskenntnis und einheimischen Bekanntenkreis ist seit zwölf Jahren Ortner&Stanger. Das ist nicht nur eine Innsbrucker Institution, wie mir Einheimische bestätigen, sondern für mich so etwas wie ein menschliches Innsbruck-Wikipedia geworden, eine Anlaufstelle für alle möglichen Fragen praktischer Art.
Plastikdosen-Charme
Interessant ist der Familienbetrieb Ortner&Stanger ja überhaupt in mehrerlei Hinsicht: die wohl bekannteste, allerdings erstaunlicherweise erst seit 1998 dort ansässige Filiale liegt nämlich in Top-Lage am sonst eher eleganten Marktgraben, in unmittelbarer Nachbarschaft zu einem hochpreisigen Schuhgeschäft, und verströmt doch die Shopping-Atmosphäre einer vollgepfropften, wenn auch ordentlich sortierten, Abstellkammer. Die Schaufenster bieten einen Blick auf zwar übersichtlich aber sonst gänzlich Ästhetik- und kreativitätsfrei angeordnete Plastikdosen, Keksausstecher, Teekocher, Einweckgläser, Schraubenzieher und Schnell­kochtöpfe. Im Inneren ist kaum genug Platz um zwei Leute aneinander vorbeizulassen, obwohl der Andrang meist beträchtlich ist und ich das Geschäft noch nie ohne Kundschaft gesehen habe.
Unmodern ist Kult
Und trotz dieser so vollkommen unmodernen Präsentationstechnik, die angesichts des jugendlichen Alters der Filiale umso mehr verwundert und über die jede Marketingexpertin wahrscheinlich die Hände über dem Kopf zusammenschlagen würde, laufen die Geschäfte offensichtlich bestens! Woran das liegt? Wahrscheinlich tatsächlich an der Tatsache, dass der Ortner&Stanger „(fast) alles hat“ (Werbeslogan Ortner&Stanger), dass sie darüber hinaus auch fast alles wissen (etwa, dass es in Innsbruck ein Spezialgeschäft für Staubsaugerreparaturen gibt), dass die Lage extrem zentral (also auch für autofrei lebende Menschen gut erreichbar) ist und daran, dass es dort eine KundInnenbetreuung gibt, die man in den meisten Baumärkten, Möbelhäusern und Gartencentern schmerzlich vermisst.
Trick 17: das Kundengespräch
Deswegen ist es auch nebensächlich, dass die Gänge im Geschäft so schmal sind, die Auslage so altmodisch und die Preise nicht so kompetitiv wie bei OBI&Co. Man geht zum Ortner&Stanger weniger zum „Shoppen“, sondern weil man etwas ganz Bestimmtes braucht; man lässt sich beraten und auf eine altmodische Weise bedienen. Interessanterweise geht es – zumindest in der Filiale am Marktgraben – offensichtlich nicht darum, durch ausgefeilte Präsentationstechniken KundInnen­bedürfnisse zu erzeugen, sondern darum, durch ein ganz banales persönliches Gespräch mit dem Kunden oder der Kundin den Bedarf auf die klassische Art festzustellen. Dann kann man genau das Gewünschte zur Verfügung zu stellen oder empfehlen, wo man sonst nachfragen könnte. Ehrlicherweise muss ich zugeben, dass man natürlich selbst im Ortner&Stanger nicht davor gefeit ist, einen spontanen Zufallskauf zu tätigen, weil’s da halt auch sooo viele praktische Dinge gibt…
Auf den Punkt kommen
A propos persönliches Gespäch: der Ortner&Stanger ist auch linguistisch interessant. Die Gespräche mit KundInnen laufen nämlich strukturell immer nach dem selben Schema ab: die Kundschaft beschreibt ihren Bedarf mit einer langatmigen Formulierung, zum Beispiel: „Ich brauche so ein Ding, mit dem ich das Loch an der Decke, aus dem die Drähte für die Lampe kommen, irgendwie abdecken kann“. Woraufhin der oder die MitarbeiterIn vom Ortner&Stanger kopfnickend mit dem präzisen Begriff zur Beschreibung des gewünschten Objekts antwortet: „Sie brauchen also eine Deckenauslassdose“, oder „einen Schlauchboy“ (das ist übrigens so ein Wägelchen, auf das man einen Gartenschlauch aufrollen kann) oder „ein paar Fächerträger“ (das sind die kleinen silbernen Stifte für die Regalbretter). Man nickt dann als Kundin dankbar und erleichtert, dass die eigene umständliche Erklärung offenbar 1. zum erfolgreichen Erkennen der Sachlage geführt hat, 2. beim Gegenüber überraschenderweise kein verwirrtes „Häh?“ hervorgerufen hat und es 3. anscheinend sogar ein passendes Objekt samt Fachbegriff zur Lösung des Problems gibt. Außerdem ist man über die rascher als erhoffte Problemlösung so erleichtert, dass man sich gerne noch mit einer Reihe weiterer obskurer Fachbegriffe über die detaillierte Verwendungsweise des Objekts belehren lässt.
Fazit
Noch gibt es zum Glück eine Reihe von Geschäften in der Innsbrucker Innenstadt, die weniger Wert auf attraktive Produktpräsentation als auf altmodische persönliche Betreuung und Beratung legen. Nicht nur aus der Perspektive einer Zuagrasten hoffe ich, dass diese Sorte von Läden noch lange nicht aussterben wird…

Carmen Konzett

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