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Definier mal „Politikverdrossenheit“

Das Phänomen der viel zitierten „Politikverdrossenheit“ ist bekannt. 1992 von der Gesellschaft für deutsche Sprache zum Wort des Jahres gewählt, stellt der inflationär gebrauchte Terminus bereits eine Konstante im politischen Diskurs wie auch der öffentlichen Debatte, dar.

Medienwirksam in Szene gesetzt deckt der diffuse Begriff seit Jahren eine breite Palette sozialer Fehlentwicklungen ab und sorgt vor allem in Wahlkampfzeiten für die Zurschaustellung tiefer Besorgnis aus den Reihen der Parteipolitik. Zeitgleich sorgen Politskandale für sinkende Beliebtheitswerte, klagen Gewerkschaften und Parteien über rückläufige Mitgliederzahlen und der Prozentsatz der Nichtwähler_innen steigt rasant an.

„Politikverdrossenheit“ als universelles Phänomen…

Ein Mehr-Länder-Vergleich, in dem die Bildung sozialen Kapitals in Großbritannien, Schweden, Australien, Japan, Frankreich, Deutschland, Spanien und den USA untersucht wurde, brachte zum Vorschein, dass es sich bei rückläufigem Engagement in Gewerkschaften, Kirchen und politischen Parteien praktisch um ein universelles Phänomen handelt.  Ein Phänomen, das auch die Ergebnisse der österreichischen Wertestudie belegen, in der zum Ausdruck gebracht wird, dass das Vertrauen in gesellschaftlich etablierte Institutionen seit dem Jahr 1990 stark gesunken ist.

Warum das Vertrauen in herkömmliche Institutionen zusehends schwindet, lässt sich davon ableiten, dass sich Parteien und Gewerkschaften allmählich in professionelle Agenturen verwandelt haben, die ihr Engagement an konkrete Auftragstellungen knüpfen, anstatt sich für eine solidarische Gesellschaftsordnung stark zu machen.

„Politikverdrossenheit“ als Ausdruck von Stabilität…

Bei einer Konferenz der österreichischen Landtagspräsidenten, die im Mai 2007 stattfand, kam Anton Pelinka zu dem Schluss, dass die vorherrschende Politikverdrossenheit nicht unbedingt ein Zeichen für Zufriedenheit, aber für Stabilität sei. Pelinka merkte an, dass die Bereitschaft, sich konfliktreich zu engagieren markant zurückgehe, wenn sich die Gesellschaft stabilisiere. Auch die sinkende Wahlbeteiligung stellt für den Politexperten keinen Anlass zur Sorge dar, „denn zur Demokratie gehöre auch die Freiheit, sich nicht um Politik kümmern zu müssen“.

Die Tatsache, dass zum damaligen Zeitpunkt nur mehr 20 Prozent der Österreicher_innen Vertrauen in die heimische Regierung bzw. die politischen Parteien signalisierten, der Akzeptanzwert der heimischen Demokratie jedoch bei 90 Prozent lag, wurde seitens der Medien mit den lapidaren Worten umschrieben, „das System ist gut, die Beteiligten unbeliebt“.
Herbert Dachs erläuterte diesbezüglich jedoch seine Überlegung, dass Bürger_innen das parteipolitische Tagesgeschäft oft nicht nachvollziehen könnten, da die aktuelle politische Praxis seiner Meinung nach einen „Konsens der Eliten“ darstelle, was für die Akzeptanz politischer Willensbildungsprozesse und Entscheidungsfindungen generell nicht förderlich sei.

„Politikverdrossenheit“ als Verschleierungstaktik

Ob es hingegen förderlich ist, die sogenannte „Politikverdrossenheit“ weiterhin als Synonym für ein Sammelsurium an Begrifflichkeiten wie „Parteien-, Politiker-, Demokratie- und Staatsverdrossenheit, sowie Staats-, Legitimations- und Partizipationskrise“, zu verwenden und den schwammigen Begriff auch noch als medial aufbereiteten Stabilitätsfaktor repräsentativer Gegenwartsdemokratien zu titulieren, kann bezweifelt werden.

Für Johannes Heinrichs stellen Termini wie „Politikverdrossenheit“ oder „Staatsverdrossenheit“ Verschleierungen dar, da es sich immer um eine bestimmte Art von Politik und Staat handle, die von weiten Teilen der Gesellschaft abgelehnt werde. Seiner Auffassung nach trifft der Begriff „Parteienverdrossenheit“ die Sache schon bedeutend besser. Den Umstand, dass Volksvertreter_innen nach wie vor gerne gegen „Politik- und Staatsverdrossenheit“ polemisieren, erklärt der Sozialphilosoph damit, dass sie das Wort „Parteienverdrossenheit“ wohl nicht so gerne in den Mund legen, kommt es doch „der bitteren Wahrheit zu gefährlich nahe“.

Heinrichs, der eine Selbstregierung des Volkes unter möglichst allseitiger Teilnahme propagiert, geht vielmehr davon aus, dass den Vertreter_innen der politischen Wissenschaft, die er wie die gewählten Repräsentant_innen zur politischen Klasse zählt, schlichtweg der Mut fehle, endlich offen zuzugeben, wie extrem unzufrieden die Menschen mit der real existierenden Demokratie wirklich seien.

Die Österreicherinnen: Wertewandel 1990 – 2008

Eine ernüchternde Einschätzung über die herrschende demokratische Ordnung sowie das politische System Österreichs erfolgte anhand der bereits erwähnten Wertestudie, die sich auf den Zeitraum 1990 – 2008 bezog. Was die befragten Österreicher_innen über Wertefelder wie Arbeit, Beruf, Beziehung, Familie, Religion sowie gesellschaftlich etablierte Institutionen, die politische Kultur oder den Aufgaben- und Wirkungskreis der Demokratie denken, gibt zu denken:


Aus der Studie:

2008 ist genau die Hälfte der Bevölkerung (50 %) mit der Art und Weise zufrieden, „wie die Demokratie in Österreich funktioniert“, unter ihnen finden sich allerdings nur vier Prozent, die „sehr zufrieden“ sind. Dagegen zeigt sich 2008 etwas mehr als ein Drittel (35 %) „ziemlich“, elf Prozent sogar „sehr“ unzufrieden. Die Dramatik der Zahlen wird erst durch den historischen Datenvergleich augenscheinlich: Gegenüber 1993 (73%) hat sich die Zahl der Zufriedenen um ein Drittel verringert, die Unzufriedenen sind heute doppelt so viele (46 %) wie noch 1999 (22%).

Die alarmierenden Zahlen verdeutlichen, dass das Vertrauen in das politische System schwer angeschlagen ist. Die Kritik an der vorherrschenden Parteipolitik nicht ernst zu nehmen, scheint angesichts der Tatsache, dass 15 Prozent der Österreicher_innen denken, dass in „Demokratien die Wirtschaft schlecht funktioniere“ und 19 Prozent der Befragten glaubten, Demokratien wären „nicht gut, um die Ordnung aufrecht zu erhalten“, fatal.

Dass sich ein Fünftel der Bevölkerung (21%) im Jahr 2008 sehr (5 %) oder ziemlich gut (16 %) „eine/-n starke/-n Führer/-in“ vorstellen konnten, verdeutlicht, wie es um die Demokratie in Österreich wirklich bestellt ist.

Verweigerung als Strategie der Beteiligungskultur…

Doch um der zunehmenden Verweigerungsstrategie selbstbestimmter Bürger_innen nachhaltig entgegen wirken zu können, die dem Erstarken antidemokratischer Kräfte Tür und Tor öffnen können, bräuchte es ein klares Bekenntnis zu demokratischen Werten.
Im politischen Diskurs zeigen sich Volksvertreter_innen zwar über die rückläufige Beteiligungskultur bestürzt, zu einem klaren Aufruf, aktiv an kollektiven Willensbildungsprozessen und politischen Entscheidungsfindungen teilzunehmen, kommt es jedoch nicht.

Obwohl, oder vielleicht auch weil der politischen Klasse hinlänglich bekannt sein sollte, dass Demokratiebegeisterung nach Praxis verlangt. Einer Praxis, die sich in den gegenwärtigen Arbeits-, Bildungs- und Lebenswelten jedoch nur verorten kann, wenn Bürger_innen mit ausgewogenen Artikulations- und Partizipationsmöglichkeiten ausgestattet werden.

Quelle:

Krainer, Isabella: Selbstbestimmung, Mitbestimmung und Solidarität. Ein theoriegeleiteter Exkurs in die Beteiligungskultur der Gegenwart. Diplomarbeit. Innsbruck 2010

 

Isabella Krainer

9 Comments

  1. "Je mehr sich der Staat aus der Fürsorge für das Leben der normalen Menschen zurückzieht und zuläßt, daß diese in politische Apathie versinken, desto leichter können Wirtschaftsverbände ihn – mehr oder minder unbemerkt – zu einem Selbstbedienungsladen machen. In der Unfähigkeit, dies zu erkennen, liegt die fundamentale Naivität des neoliberalen Denkens."

  2. Von vielen Menschen, die Unzufrieden sind hört man den berühmten Satz:

    "Man kann eh nichts tun"

    Genau damit öffnet man den Egomanen von Wirtschaft und Politik Tür und Tor. Wir brauchen öffentliche klare Zeichen von denen, die sich nicht vertreten fühlen. Wir brauchen einen politischen Meinungsbildungsprozess, in Medien, in Schulen, in Familiengesprächen, Freundeskreisen usw. Stammtischgelaber bringt niemand weiter, nach der Meinungsbildung muss die Aktion folgen, sonst ist die redlichste Ansicht irrelevant.

    Die Österreichischen Großparteien haben versagt. Habe vor 2 Tagen versucht einer Innsbrucker ÖVP Funktionärin auf Wahlkampftour ein Lippenbekenntniss abzuringen, dass die Parteienfinanzierung in Österreich illegal wäre, und sie sich dagegen einsetzen wolle. Sie äusserte sich mit Unverständniss und deutete auf den Spitzenkandidaten, solche Angelegenheiten lägen nicht in ihrer Kompetenz. Auf Nachfrage hin, ob die ÖVP also eine Diktatur ist, da das scheinbar nur einer entscheiden kann, lachte sie, mein nachhaken mit einer weiteren Frage, ob sie als höhere Funktionärin da nicht Anträge in der Versammlung stellen könne, drückte sie sich nur herum, und gab keine konkreten Aussagen mehr.

    Also nicht nur die Bundesparteien sind wissentlich und willentlich korrupt, auch die Gemeindeebene hat und wird sich weiterhin korrumpieren lassen.

    Das die Bürger sich nach anderen Zeiten sehnen ist mir klar, leider fallen dabei aber viele auf Extremisten rein.

    Nachdem nun bald auch ein großer Wirtschaftskollaps bevorsteht, schwant mir schlimmes, wenn wir nicht alle für bessere Umstände arbeiten.

  3. Nicht die Verantwortung wird gescheut, sondern die herkömmlichen Institutionen. Denn während sich die parteipolitische Klasse über ein, wie sie meint,  „fehlendes Demokratieverständnis“ mokiert und im selben Atemzug über rückläufige Wahlbeteiligungen und Mitgliederzahlen beklagt, entstehen allerorts neue Formen sozialen Engagements.

    Egal, ob es sich dabei um lautstarke Protestmärsche für oder gegen die Umsetzung bildungs-, sozial-, kultur- und/oder gesellschaftspolitisch relevanter Belange, Occupy, Anti-Acta, Guerilla-Knitting-Aktionen, Beteiligungsprojekte für Kinder und Jugendliche,  engagierte Baumschützer_innen oder couragierte Bewohner_innen eines Dorfes handelt, die gegen die geplante Abschiebung ihrer Nachbarn aufstehen:  Demokratie wird gelebt. Demokratie ist Alltag und der findet – im Unterschied zur Wahlkampf-Emsigkeit – das ganze Jahr statt.

    Dass es sich dabei zumeist um dezidiert außer- bzw. anti-parlamentarische Bewegungen handelt, die mit gezielten Aktionen auf Missstände reagieren, bringt Vertreter_innen tradierter Modelle politischer Verpflichtung natürlich in arge Bedrängnis. Doch anstatt den Dialog zu suchen und die alltagspartizipatorischen Entwicklungen zu unterstützen, die das kritische Bewusstsein aller Beteiligten stärken könnten, schneidet die polemische Omnipotenz der Alltagsdemokratie den Weg ab.  

    Vielleicht bin ich ja naiv, aber so viel kann und wird auf provinnsbruck.at  wohl kaum jemals kritisiert werden, dass sich Volksvertreter_innen, die in Anbetracht des einen oder anderen Kommentars ja wohl fleißig mitlesen, einmal ohne eitles Schmollen auskommen oder sich gar mit der Frage zu Wort melden: Was können wir tun?

     

  4.  sehr interessant, Isa – deine Diplomarbeit ist zurzeit ausgeliehen und auch schon wieder vorgemerkt, wie es sich für ein wissenschaftliches Standardwerk eben gehört 😉 Vielleicht leihst mir ein Exemplar, das muss ich mir mal "im Kontext" geben!

  5. mach ich gerne! und schön zu wissen, dass die arbeit ausgeliehen & vorgemerkt ist 😉

    hiermit möchte ich aber gleich alle menschen ermutigen, die ebenfalls auszüge aus ihren diplomarbeiten, dissertationen, aufsätzen, bierdeckelgekritzeln oder was auch immer auf provinnsbruck.at stellen wollen: nur her damit – wir freuen uns!

  6. hat zwar nix mit diesem artikel konkret zu tun, aber: ich habe an 
    redaktion@provinnsbruck.at zwei mails geschrieben mit meinem – möglicherweise zu angepassten- dilemma zu den wahlen (an denen ich teilnehme) und nicht mal eine antwort erhalten. also entweder eure spamkriterien abschwächen oder nicht ganz so euphorisch um texte werben

  7.  

    Die Qual der Wahl

     

     

    Als Innsbrucker Hauptwohnsitzmensch bin ich in einem Monat zur Wahl geladen. Und ehrlich gesagt – ich tu mich echt schwer: wen wählen?

     

    Ich würde daher gern hier mal fragen: Schon entschieden? Und wie?

     

     

    Ich liste mal meine momentanen Gedanken auf inkl. taktischer Überlegungen zum Stimmensplitting

     

     

    Vorab, was ich sehe: immer vom Machbaren und den demokratischen Verhältnissen ausgehend: finde Innsbruck passabel verwaltet, die Busse fahren, bei mir im Westen jetzt sogar öfter, für eine Stadt dieser Größe ist einiges los, die Atmosphäre ist freundlich/relativ offen/passt.

    Was ich will: ein Innsbruck, das (noch) ein wenig offener/visionärer/alternativer/transparenter/billiger wird, aber dafür sich nicht in neue Schuldabenteuer stürzt, und ein Signal gegen Federspiel und Platzgummer, also die möglichst ned in der Stichwahl.

     

     

    Wahlzettel:

    1. Partei Grün: Trotz diverser Schwächen, machen die Grünen ja doch passable Arbeit; die kann man unterstützen, auch Richtung potenzielle Regierungsverantwortung
    2.  Partei Rot: Eine Mischung aus Mitleid (40%), Respekt (40%), Toleranz gegenüber den Regierungsmühen (15%) und Hoffnung (5%), dass sie ja in Zukunft mehr durchsetzen können
    3. Partei KPÖ: Einfach des Signals wegen; das Ringen mit den Finanzfeudalherren(damen) hat erst begonnen, die brauchen noch zahlreiche Schüsse vor den Bug, bis sie abdrehen; Nachteil: dann ist meine Stimme (wahrscheinlich) wieder mal nicht in einer Vertretung
    4. Partei Piraten: Falls die überhaupt antreten können (hab das auf deren HP heute nicht genau erkennen können): Bei all den Mauscheleien, die derzeit hochkochen, ist Transparenz eine wichtige, spannende Sache, ein Signal auf jeden Fall wert. Andererseits: mich überzeugend stellen sich die KandidatInnen auf der HP nicht dar, eher im Gegenteil
    5. Für Innsbruck: Okay, sie verwalten die Stadt ganz ordentlich; aber auch wenn ich kein Straßenrevoluzzer mehr bin, so gesetzt bin ich nun auch noch nicht; außerdem sind große Regierungsparteien immer in Filz-Gefahr, die muss ich nicht erhöhen; und den doofen Logo-Relaunch will ich auch nicht belohnen     

             

     

    1.      BgmIn: Oppitz-Plörer: Naja, lieber sie als Federspiel oder Platzgummer;
    2.      BgmIn: Pokorny-Reitter: Eine rote Stadtchefin in IBK? Eine Premiere; warum sollte man die nicht mit ermöglichen
    3.     BgmIn: Pitscheider: Naja, die kämpft ja dem medialen Vernehmen nach nicht mal selbst drum; dann lieber Gelb o Rot symbolisch stärken, schwarz u freie symbolisch schwächen

           

     

            Taktisches:

    1. Partei Grün – BgmIn OP: Eine Mischung, mit der ich leben kann
    2. Grün – BgmIn PR: Starke Grüne in der Regierung, eine Stichwahl zwischen zwei Frauen ohne die unsäglichen anderen zwei
    3. Rot – PR: Warum ned, Hauptsache keine der zwei Rambos zu weit oben
    4. Rot – OP: gestärkte (oder ned geschwächte) Rote, OP stärker in der Stichwahl (oder die gar nicht mal nötig
    5.  KPÖ/Piraten – ÖP/PR: siehe oben   

     

             

    Und jetzt: Will mich nicht mehr quälen – wie soll ich wählen???

     

  8.  @ Paul: Danke für deinen Kommentar – allerdings habe ich nur diesen Text von dir in unserer Mailbox gefunden. Sorry, wir sind alle nur ehrenamtlich tätig – über die Kommentarfunktion kannst Du immer posten, über Mail dauerts eventuell ein bissl – bitte schreib uns weiter, wir bemühen uns 😉

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