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Dann würden wir heute alle noch mit Autos fahren

Eine große Stadtrandsiedlung soll an das Tramnetz angebunden werden. Man würde meinen, dass sich die dort Wohnenden durchwegs darüber freuen würden, direkt aus der Haustür ins hochwertigste und schnellste Verkehrssystem der Stadt fallen zu können, und das ohne auch nur einen Cent dafür mehr zu bezahlen als für die Fahrt mit den Bus.
Für die meisten mag das auch zutreffen, aber ein kleines Grüppchen von Leuten sieht das anders. Für diese ist die Straßenbahn eine große, böse, laute Parkplatzfresserin, die obendrein auch noch Elektrosmog (!) erzeuge.

Nun wäre das ja an sich kein Problem, wir leben ja in einem freien Land, wenn nicht zwei politische Parteien, die den Tram-Ausbau bisher mitgetragen haben, plötzlich aufgrund dieses Häufchens von Protestierenden diesem Tram-Ast ihre politische Zustimmung zu versagen drohten.
Politische Verantwortung bedeutet auch, rechtzeitig Entscheidungen zu treffen. Etliche Beschlüsse, viele Millionen Euro an Investitionen und jahrelange Bauarbeiten waren notwendig, um die Voraussetzungen für diese Tramanbindung zu schaffen. Der Point of no return ist längst überschritten. Dennoch schwenken SPÖ und ÖVP jetzt um. Seriöse Politik schaut definitiv anders aus.

Die Motivation der SPÖ ist klar: als selbsternannte neue AutofahrerInnenpartei wollen bestimmte Kräfte in der Stadt-SPÖ die Stimmen der Hardcore-Autofahrenden bei der nächsten Gemeinderatswahl abgreifen. Das Stimmverhalten und diverse Gemeinderatsanträge der letzten Zeit sprechen eine deutliche Sprache. Die SPÖ hat versucht, Parkplätze zu erhalten, auch wenn die Tram dadurch ausgebremst würde, die SPÖ hat den Tram-Ast Karl-Innerebner-Straße zu Fall gebracht, und nun versucht die SPÖ, auch den Tram-Ast in die Peerhofsiedlung abzusägen, weil es dort ein paar Autofahrende gibt, denen einige Parkplätze wichtiger sind als bestmöglicher öffentlicher Verkehr. Ist eine Bevorzugung des ressourcenfressenden, einen Luxus darstellenden motorisierten Individualverkehrs gegenüber dem kollektiv finanzierten und allen Menschen nützenden öffentlichen Verkehr neuerdings ein sozialdemokratischer Grundwert?

Weil die SPÖ aber genau weiß, dass sie mit einem „Nein“ zum Bau dieser Tramstrecke die Koalition sprengen und anschließend nach einer dadurch erzwungenen Neuwahl spürbar  gesundgeschrumpft würde, wird es im November wieder Stimmenthaltungen geben. Um ein „Zeichen“ gesetzt zu haben. Die SPÖ hat also nicht mal die Eier, ihren Rechts-Schwenk auch in Abstimmungsverhalten umzusetzen. Am Ende geht es diesen Leuten einfach nur darum, an der Macht zu bleiben, indem dem Stammtisch das Wort geredet wird.

Der populistische Theaterdonner der SPÖ wird dieser in vier Jahren vielleicht einige Autofahrerinnen-Stimmen bringen, weil dieser Tram-Ast aber trotzdem gebaut wird und die meisten Leute den Widerstand der SPÖ bis zur nächsten Wahl vergessen haben, keinen Stimmverlust seitens der Mehrheit, die die Schienenanbindung haben will und sie dann nutzen wird.
Intriganter Populismus statt seriöser Sacharbeit zeichnet die Verkehrspolitik der SPÖ Innsbruck aus. Leider durchschauen zu wenige WählerInnen dieses Spiel.

Und die ÖVP? Leider um keinen Deut besser. Im Gegenteil.
Die ÖVP droht nun damit, gegen den Bau der Tram in die Peerhofsiedlung zu stimmen, weil der Syndikatsvertrag zwischen IVB, Stadt, Land und IKB noch nicht rechtsgültig ist – es fehlt noch die Unterschrift des Landes.

An sich ist es ja egal, was die ÖVP bei der Abstimmung macht, denn wenn die SPÖ sich der Stimmen enthält, haben FI und Grüne die Mehrheit. Auch wenn die Optik für das Gesamtprojekt natürlich besser wäre, wenn die ÖVP zustimmen würde.
Auch hier steckt wieder eine Politstrategie dahinter. Die ÖVP hat, seit sie in der Opposition ist, konstruktive Sacharbeit weitgehend über Bord geschmissen und verwendet nun ihre Ressourcen vor allem darauf, mit allen Mitteln Stimmen für die nächste Wahl zu fangen, um wieder in die Stadtregierung zu kommen.

Natürlich weiß die ÖVP, dass der Syndikatsvertrag noch vor dem Budgetbeschluss im Dezember vom Land unterzeichnet werden wird. Aber für die, die das nicht wissen, also das Wahlvolk, sieht es dann so aus, als hätte die ÖVP bezüglich des Vertrages Druck gemacht und ihn damit endlich durchgesetzt.
Die ÖVP missbraucht also das wichtigste und größte Verkehrsprojekt dieser Stadt, um politisches Kleingeld zu machen.
Tja. Aber warum sollte die Stadt-ÖVP auch anders agieren als die Landes- und die Bundes-ÖVP? Die sind halt so. Deshalb sollte man sie ja auch nicht wählen.

Mit den AnrainerInnenprotesten hat das alles kaum was zu tun. Solche gibt es bei derartigen Großprojekten immer. Das ist normal.
Auch vor 122 Jahren wurde protestiert. Damals wurde Dampftramway gebaut, und AnrainerInnen protestierten gegen die Rauchbelästigung und das Rumpeln. FuhrwerksbesitzerInnen protestierten gegen die Schienen im Straßenpflaster, und gegen den Lärm der Dempfloks, der die Pferde zum Scheuen brachte. Ganz arg war es 1912, als am nördlichen Innenstadtring, genauer am Marktgraben und in der Museumstraße ein zweites Gleis zugelegt wurde und dort deshalb kein Platz mehr zum Abstellen von Fuhrwerken zur Verfügung stand. Da gingen die dortigen Geschäftsleute auf die Barrikaden.

So ging das immer weiter, bei jedem Ausbau der Tram, bis die Nazis die „freie Fahrt für freie Bürger“ ausriefen und Teile des Tramnetzes tatsächlich wieder dem damals als fortschrittlich angesehenen Autoverkehr weichen mussten, das ab dieser Zeit kontinuierlich schrumpfte. Erst nach dem größten Einschnitt, der Einstellung der Linie 4 im Jahr 1974, begann ein langsames Umdenken. Eine Tramanbindung des O-Dorfs war Anfang der 1980er-Jahre schon so weit projektiert, dass die IVB extra dafür Straßenbahnen beschafften. Baustart hätte 1985 sein sollen. Die SPÖ brachte dieses Projekt aber damals zu Fall, mit den gleichen Unsinns-Argumenten, mit denen sie es heute wieder bei der Teilstrecke in die Peerhofsidlung versucht und in Zukunft vielleicht auch noch bei anderen Teilstrecken.

Glücklicherweise haben sich aber die Zeiten geändert. Die Zurückdrängung des Autoverkehrs und massive Investitionen in den Schienennahverkehr sind auch in Innsbruck mehrheitsfähig geworden, und die neuen Tramlinien werden deshalb auch weitergebaut. Ginge es ausschließlich nach den rückständigen PopulistInnen, die bei ÖVP und SPÖ in Innsbruck das Sagen haben, müssten wir heute wohl alle noch mit Autos fahren.

Wenn dieses politische Spielchen nun bis 2020 so weitergehen soll, dann von mir aus, ich find’s ja nur lustig. Weil das Wahlvolk auch nicht ganz dumm ist, und schon merkt, wer verlässlich, konstruktiv und kontinuierlich politische Arbeit leistet und wer nicht, schneiden sich die Anti-Tram-IntrigantInnen am Ende ohnehin nur ins eigene Fleisch.

Vernunft und Fortschritt – in diesem Fall eine Zukunft mit Restriktionen für den Autoverkehr und deutlich besserem öffentlichem Verkehr – lassen sich nicht aufhalten. Eine Hinauszögerung schadet uns aber leider allen – das sollten SPÖ und ÖVP (von FPÖ und Konsorten rede ich gar nicht erst) sich bitte dringend hinter die Ohren schreiben.

Manni Schneiderbauer

7 Comments

  1. toller artikel, sehr gut analysiert.
    gerade von der spö hätte ich mir mehr erwartet!

    allerdings habe ich hier irgendwo im artikel was von "bestmöglichem öffentlichen verkehr " gelesen und das stößt mir durchaus sauer auf!
    bestmöglicher öffentlicher verkehr sollte in erster linie leistbar, umweltfreundlich und pünktlich sein.
    die ivb ist nachweißlich teuer und unpünktlich.
    ich bin in ibk generell immer per öffi unterwegs.
    dass teure und nebenbei unpünktliche öffis für überzeugte autofahrer kein anreiz sind diese zu benützen sollte eigentlich jedem klar sein.

    • Dass die Öffis vielleicht nur deshalb unpünktlich sind, weil eben zu viele Autos fahren, was Stau bildet, sollte dabei vielleicht auch nicht ausgeblendet werden.

  2. straßenbahn an sich ist ja sehr zu begrüßen, aber die bahn sollte von völs durch innsbruck nach hall führen. da jetzt aber völs und auch hall, aus welchen gründen auch immer, keinen bock mehr auf die bahn haben, schaut die sache für mich nach einem millionengrab und steuergeldverbrennung aus. auch dass dabei die ganze stadt umgegraben wurde, eine brücke fast vollständig neu gebaut werden musste, um das gewicht der neuen bahn überhaupt tragen zu können und monströse haltestellen gebaut wurden, darf man auch nicht vergessen. eine baustelle zu beginnen, ohne anfang und ende vertraglich fixiert zu haben, finde ich persönlich nicht nur selten dämlich und fahrlässig, sondern auch strafrechtlich prüfenswert. die millionen holt sich die stadt halt über die "parkraumbewirtschaftungsreform" zurück.  

  3. Die SPÖ liegt in Innsbruck bei 15 Prozent und versucht alles um sich zu profilieren, weil es in Zukunft wohl in die einstellige Bedeutungslosigkeit gehen wird: Pechlaner (wann macht der als Stadtrat Platz?), Grünbacher und ihr Fußvolk hätten lieber elnen Platzgummer zum Bürgermeister gemacht … allein das zeigt schon, wie weit rechts die Innsbrucker Sozis stehen: Alternde Politpaschas, die kein anderes Programm vertreten als das Wichtigmachen der eigenen Person!

    Der Ausbau der Straßenbahn ist ein Gebot der Stunde, Innsbruck erstickt ja schon jetzt im Autoverkehr. Schade nur, dass auch hier klein gedacht wird und die Idee einer eigenen Trassenführung schon rasch ad acta gelegt wurde.

  4.  ich finds immer schade, wenn zwei eigentlich voneinander unabhängige und durchaus verständliche anliegen gegeneinander ausgespielt werden.
    andererseits verstehen viele vermutlich nur so, worum es überhaupt geht.

    man nehme die thematik wohnbau, privat wie öffentlich, und stelle dem den bauboom der letzten jahre gegenüber mit soho 1+2, einkaufscentern usw. 
    leerstehende lokale vs mangel an wohnflächen.
    ebenso letztendlich die einkommensschere in tirol mit den österreichweit höchsten kosten für das notwendigste, und den österreichweit niedrigsten gehältern.
    das zu lösen funktioniert nur über jahrelange, auch finanzielle interventionen in beiden bereichen.

    klar, es gibt teils eine parkplatznot auch durch diese massnahmen nun.
    aber eigentlich liegt die lösung auch auf der hand: nunmal eben mehr parkplätze in der nähe anzubieten, wie auch immer leistbar bzw wie strassenrandparkplätze.
    wird schwer gehen, wennschon wird ein privater(?) betreiber einer tiefgarage oder eines parkhauses gesucht usw.
    aber das sollte man aus der wirtschaft lernen, so man diese und so manchen stammtisch unterstützen will: beim dez gibts auch ein parkhaus…
    fazit meinerseits wäre: es sind nicht nur egoisten, sie zeigen probleme auf.
    wenn ich nach dem bau der strassenbahn auf mein auto verzichten kann, so bin ich immer noch eher privilegiert als der normalfall. und weniegr werden die autos nicht durch ein weniger an parkplätzen. oder soll man sein auto verschrotten lassen, weil man keinen parkplatz mehr findet, 

    und auf der anderen seite: tolles projekt, ausbau der strassenbahn mit (auch deswegen) notwendiger brückensanierung, ein neues parkraumkonzept usw…
    hoffentlich erholt sich der luftraum innsbruck dadurch etwas, hoffentlich nutzen viele die neuen angebote.
    jahrelang vorbereitet, endlich umgesetzt – das werma daleidn und vielleicht wirds wos gscheits!


  5. Seit die Straßenbahn in der Höttinger Au eingetroffen ist, fahre ich nur mehr mit dieser – ich kann mir gar nicht vorstellen wie ich das vorher erledigt habe.

  6. die sozi haben deshalb dünnpfiff bekommen, weil sie um ihre letzten stammwähler fürchten.

    die peerhofsiedlung ist in der ära roter wohnungsstadträte besiedelt worden.

    ausserdem ist eine frechheit, dass mieter – und nicht eigentümer – sich gegen eine investition

    wehren, die anderen nach ihrem ableben oder ausziehen zugute kommt. denn wer sagt,

    dass die nachmieter dagegen wären?????????????

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