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Music and the city (Vol. 48): Aki Takase und Yui Kawaguchi (04.04.)

Die Komponistin und Pianistin Aki Takase und Yui Kawaguchi eröffneten am 04.04. das Osterfestival Tirol – und ernteten für ihre „Stadt im Klavier“ Begeisterung, aber zum Teil auch Skepsis und Zurückhaltung. Was waren mögliche Gründe dafür? Wie kann man sich dieser „utopischen Stadt“ überhaupt annähern?

Die „Stadt im Klavier“, die Aki Takase und Yui Kawaguchi gestern bei der Eröffnung des Osterfestivals Tirol erschaffen wollten, war erstaunlich zugänglich, wenig verworren und von Leichtfüßigkeit gekennzeichnet. Nur selten mischten sich Dissonanzen in das Spiel von Aki Takase. Noch seltener kam es zu improvisatorischen Ausflügen ins Ungewisse. Keine Frage: diese Stadt, die gestern skizziert wurde, hat klare Anhaltspunkte und Wegweiser. Man verläuft sich nicht ihr.

Vieles kommt einem bekannt vor, obwohl das Bekannte das eigentlich Erschreckende sein kann. Bemerkenswert, dass Aki Takase, die freien, komplexen und freitonalen Passagen vor allem in Bezug zur Unsicherheit der Protagonistin in dieser Stadt, Yui Kawaguchi, setzt. Befreiung sieht vorerst anders aus. Freiheit verängstigt, macht unsicher, während vertraute musikalische Melodien einen leichtfüßig durch diese konzipierte und erdachte Stadt tanzen lassen.

"Cadenza" (Foto: Arturo Fuentes)

„Cadenza“ (Foto: Arturo Fuentes)

Gehen und Sein in der Stadt

Als Zuhörerin und Zuhörer fragt man sich bald, wie sich ein Leben in dieser Stadt anfühlen würde. Und ob diese Stimmng mit der eigenen Gefühlswelt in eine Relation gesetzt werden kann. Ist die Bewegung durch diese Stadt ein tänzeln, ein gehen, ein schlendern? Was ist überhaupt das Ziel meiner Bewegungen? Habe ich noch ein Ziel? „Orientiert man sich ausschließlich am Ziel, so ist das räumliche Intervall bis zum Zielpunkt nur noch ein Hindernis, das möglichst schnell zu überwinden ist. Die reine Zielorientierung nimmt dem Zwischenraum jegliche Bedeutung“. Das schreibt der Philosoph und Medientheoretiker Byung-Chul Han in seinem Essay „Duft der Zeit“. Michel de Certeau setzt in „Kunst des Handelns“ das Gehen der Fußgänger in einen Gegensatz zu denjenigen, die das „Textgewebe“ Stadt überblicken, analysieren und interpretieren können.

Eine Stadt ist niemals ganz sichtbar, und wenn dann, zumindest als Idee, nur zum Beispiel von einem erhöhten Aussichtspunkt aus. Wer geht, der überblickt nicht. Der ist mittendrin. Der weiß nicht, wie genau sich die Stadt im gesamten anfühlt, wie sie beschaffen ist, was sie mit einem anstellt. Der kennt nur Fragmente der Möglichkeit einer potentiellen Stadt, die sich im gehen, tanzen, bewegen stets verändert und vor einem flieht und sich entzieht. Das Ziel meiner Bewegung in der Stadt mag existieren. Ich bewege mich vermutlich bewusst, vor allem in meinem beruflichen Alltag, von A nach B. Wenn ich die Stadt jedoch bewusst wahrnehmen will, so bleibt mir nur der Zwischenraum und die Fokussierung auf diesen. Ist die Zielorientierung erst einmal suspendiert, so nehme ich die Stadt als eine Ansammlung von Augenblicken, Übergängen und Transformationen wahr. Sie ist nicht, sie wird ständig neu.

Die Tänzerin Yui Kawaguchi und Aki Takase bei ihrem künstlerischen Dialog. Beim Ersinnen ihrer "utopischen Stadt". (Foto: Aturo Fuentes)

Die Tänzerin Yui Kawaguchi und Aki Takase bei ihrem künstlerischen Dialog. Beim Ersinnen ihrer „utopischen Stadt“. (Foto: Aturo Fuentes)

Die Frage ist also klar: Wie klingt dieser Zwischenraum, dieses „Unterwegs-Sein“ bei Aki Takase und wie wird dieser Raum benutzt? Wie bewegt sich Yui Kawaguchi durch diese erdachte Stadt und wie klingt diese Stadt? Gestern klang sich oft nach Monk. Manchmal nach freier Tonalität und Momenten des Ausbruches und des „Freispiels“. Überraschend oft kommt mir der Begriff „Gassenhauer“ in den Sinn. Häufig die Musik von Hiromi ohne deren Willen zur spielerischen Virtuosität. Vielleicht gar das unpassende Wort „poppig“, zumindest aber streng melodiös und der Melodie verpflichtet. Die gute alte Melodie als Anker in einem strukturell möglicherweise komplexen Gesamtgeflecht. Daran kann ich mich festhalten, orientieren, damit ich nicht den Überblick verliere, den es doch in der (Groß)stadt gar nicht gibt?

Wie klingt die Stadt von Aki Takase und Yui Kawaguchi?

Aki Takase, die ja als musikalisch Unbeschreibbare und Ungreifbare beschrieben werden muss, war am gestrigen Abend musikalisch überaus greifbar. Intention? Eine bewusste Entscheidung? Die konzipierte Stadt war an diesem Abend genauso wenig abenteuerlich wie deren musikalische Umsetzung der tänzerischen Entsprechung. Alles blieb beschreibbar, vertraut, bekannt. Vor allem das Spiel von Takase bliebt in den bekannten Möglichkeiten, überschritt diese aber kaum.

Ein gelungener Abend? Schwer zu sagen. Ein guter Abend viel eher. Ein musikalisch zum Teil brillanter Abend, der aber immer wieder hin zur musikalischen und ästhetischen Konventionalität strebte. Letztlich ist aber Kritik fast unmöglich. Die Frage ist vielmehr: Wie war die konzipierte „Stadt im Klavier“ beschaffen und strukturiert? Die Antwort würde lauten: über weite Strecken relativ konventionell. Aber auch einladend. Eine Einladung zum Tanz vielleicht? Zum Glücklich-Sein? Die besten Passagen des Abends schienen frei improvisiert zu sein. Weg vom Notenblatt. Orientierungslos und zugleich von einer immensen Freiheit gekennzeichnet. Und zugleich kann man Takase und Kawaguchi nicht vorwerfen, dass diese Freiheit in ihrer erdachten Stadt nur ein kleiner Aspekt war.

Markus Stegmayr

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