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Nachlese zur Geschichte vom abgerissenen Finger

Diese Geschichte ist natürlich nicht nur mit der Hungerburg verknüpft. Eine ganze Reihe von Varianten dieses Typs konnte bereits in der internationalen Erzählforschung ausfindig gemacht werden. Eine ganz ähnliche Geschichte wurde beispielsweise in dem schon etwas älteren und sehr bekannten Band "Die Spinne in der Yucca-Palme" von Rolf Wilhelm Brednich vorgestellt und spielt im Raum Göttingen:

 

"Ein Mann fährt allein in der Dunkelheit auf einer einsamen Landstraße […] Gegenstand auf der Fahrbahn. Er denkt sofort an einen Unfall, hält an und steigt aus. Als er näherkommt, bemerkt er, daß es sich offensichtlich um eine Falle handelt, denn auf der Straße liegt nur ein Mantel. […] steigt hastig ein und spürt plötzlich eine Hand auf seiner Schulter. In panischer Angst reißt er die Autotür zu und rast los. […] als er aussteigt, fallen vier Fingerkuppen aus der Autotür." (Brednich, S. 32)

 

Unterschiedliche Protagonisten, unterschiedliche Gegenstände auf der Straße (Mantel, Schaufenster- oder Babypuppen etc.), unterschiedlich viele Finger oder Fingerkuppen…im Ablauf aber recht ähnlich.

 

In der Verwendung des Autos, ein alltäglicher Gegenstand, als Erzählsujet verbirgt sich in diesen sagenhaften Erzählungen immer wieder die Drohung der Todesgefahr und schauerlicher Erlebnisse. "Wenn wir, allein im Auto, Grenzen überschreiten, die Geborgenheit hinter uns lassen, bildet das Auto den letzten geschlossenen Raum, der uns mitten durch das Unbekannte hindurch trägt" schreibt Volker Knierim. Und solange die Wagentür verschlossen bleibt und das Auto in Bewegung ist, droht nichts Böses. Sobald aber angehalten, das schützende Auto geöffnet wird, man aussteigt oder gar jemanden in das Auto einsteigen lässt, droht Unheil.

 

Literatur:

Brednich, Rolf Wilhelm: Die Spinne in der Yucca-Palme. Sagenhafte Geschichten von heute. München 1992.

Knierim, Volker: Auto, Fremde, Tod. In: Fabula 26 (1985)

Hemma Übelhör

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