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Die Brotverkäuferin. Ein Märchen

 Herbert hatte sich in die Brotverkäuferin Susanne, bei der er jeden Tag sein frisches Brot kaufte, einmal, als er ihr ganz zufällig in die Augen sah, verliebt. Er dachte, nachdem er das Geschäft verlassen hatte, was geschehen muss, um den ganzen Wahnsinn sozusagen sichtbar zu machen ehe er ihn beenden konnte. Er liebte, und er musste etwas dagegen tun. Etwas ganz großes sollte es sein. Da war ihm die Idee mit dem überbackenen Auto gekommen, mit dem er sie dann zu einer Spritzfahrt abgeholt hätte. Aber es sollte kein gewohnliches Auto sein, sondern schon ein teures, das etwas hermachte. Etwa ein Porsche. Also ging Herbert, nachdem er auf der Bank sein ganzes Sparkonto abgehoben hatte, in das Autogeschäft Flick & Söhne und kaufte dort einen nagelneuen Porsche Carrera. Er bezahlte den Porsche bar und fuhr damit nach Hause. Manche bewunderten Herbert für diese Tat, denn keiner traute ihm zu, dass er ein so schmissiges Auto fahren würde. Er überlegte kurz, was er als nächste machen musste. Eine Bäckerei aufsuchen, die ihm den Porsche Carrera überbackte. Das war eine Riesenarbeit, dachte er. Und nachdem er jetzt sein ganzes Geld für den Porsche ausgegeben hatte, musste er nun wohl oder übel einen Kredit aufnehmen, um sein Vorhaben auch zu Ende zu bringen. Herbert freute sich wie ein kleines Kind über den Porsche, und fast tat ihm das Auto leid, das durch seine geplante Aktion ja wahrscheinlich Schaden litt. Aber was war das alles gegen Susanne, die hübsche Brotverkäuferin, die ihm jeden Tag das Brot verkaufte. Und von der er nicht mehr wusste als eben ihren Namen, den er auf dem Schildchen lesen konnte, das diese trug.
Zu Hause angekommen, bestaunte er den Porsche, ging um ihn herum wie um ein Heiligtum oder eine Jagdbeute. Er strich mit seiner Hand über den feinen Lack, über die glatte Oberfläche der Karosserie. Da musste sehr viel Teig drauf, schien ihm, der Porsche durfte gar nicht mehr erkennbar sein, er hätte genauso gut eine Attrappe sein können, ein fahrbares Etwas, das man dann vielleicht essen konnte. Die nächste Frage, die sich ihm stellte, war dann, wo es eine Bäckerei gab, die einen so großen Ofen hatte, wo er mit seinem Porsche hineinfahren konnte. Wo gab es so etwas? Er nahm sein Telefonbuch zur Hand und suchte darin alle Bäckereien, die es in der Stadt gab. Das waren ja doch immerhin einige. Wenn er die alle mit seinem Porsche abklapperte, hatte er viel zu tun. Aber anderes blieb ihm wohl nichts übrig. Immerhin war er mit dem Porsche ja sehr schnell, obwohl er in der Stadt damit ja auch wieder nicht so schnell fahren konnte. Und was sollte er dann sagen, bei dem Bäcker. Sollte er sagen: Überbacken sie mir bitte den Porsche, ich will eine Brotverkäuferin damit überraschen? Das klang doch irgendwie schräg. Aber andererseits blieb ihm nicht viel übrig, wenn er diese Aktion machen wollte. Und er wollte sie machen. Ja er freute sich schon darauf, wie er da mit dem total in Brot eingebackten Porsche Carrera vor der Bäckerei, in der Susanne arbeitete, ausstieg und dieselbe zu einer Spritzfahrt einlud.
Aber wie er bald einmal herausfand, verfügte natürlich keine Bäckereien über einen so großen Backofen. Also musste er das ganze anders beginnen. Zuerst die Zutaten für das Brot kaufen, also jede Menge Mehl und Hefe, und mit diesen dann zu einer Eisengießerei fahren, die einen großen Hochofen hatte. Wo er dann den Porsche Carrera überbacken konnte. Gesagt, getan. Herbert fuhr also mit dem Brotzutaten zur Eisengießerei Kandler & Söhne, verlangte dort erst mal den Direktor, dem er dann sein Ansinnen erzählte. Dieser fand die Idee recht cool, wenngleich auch ein wenig verrückt, und gemeinsam bedeckten sie nun den nagelneuen Porsche Carrera mit dem angemachten Brotteig, schoben ihn dann, nachdem sie zuvor das ganze Benzin abgelassen hatten, damit der Porsche nicht im Hochofen explodierte, in diesen hinein und brachten dann den Ofen auf niedrige Temperatur, denn sonst wäre der Wagen ja geschmolzen. Als der Porsche nach zwei Stunden durchgebacken war, schob ihn Herbert zusammen mit dem Gießereidirektor aus dem Ofen, füllte das vorher abgesaugte Benzin wieder in den Tank, startete den Wagen, als er genügend abgekühlt war und fuhr damit los. Er hatte nur mehr Susanne im Kopf. Eine Spritzfahrt mit ihr irgendwo hinaus ins Grüne, er war jetzt so aufgeregt, wie er es sich nur am Tag seiner Geburt vorstellte. Er hatte nur Angst, seinen „Brotporsche“ in der Nacht im Freien stehen zu lassen, denn Herbert besaß ja keine Garage, und womöglich hätte ihm dann irgend ein armer Mensch seinen Porsche angeknabbert, das Brot heruntergegessen, vielleicht sogar ein böser Asylant, der einfach nur Hunger hatte, oder irgendwelche Betrunkenen hätten aus purem Spaß den „Brotporsche“ angepinkelt, und das Brot hätte sich dadurch zum Beispiel von den Kotflügeln oder der Motorhaube gelöst. Wie hätte das dann ausgesehen! Also musste er das Auto unbedingt mit einer großen Plache überdecken, und sein Vorhaben dann gleich am nächsten Abend verwirklichen. Hoffentlich war Susanne inzwischen nicht krank geworden oder hatte spontan gekündigt oder war in den Urlaub gegangen. So fuhr er also noch gleich in ein Geschäft für Autozubehör und kaufte dort eine große Plache, mit der er den Porsche vor seinem Haus dann zudecken konnte. Dann drehte er noch eine kleine Ehrenrunde, die hatte er sich nach all den vielen Mühen verdient, ehe er nach Hause fuhr, den Brotporsche abdeckte und in seine Wohnung ging.
Den nächsten Tag konnte er sich bei seiner Arbeit kaum konzentrieren, so aufgeregt war er. Er konnte den Abend kaum erwarten, an dem er dann mit seinem Brotporsche losfuhr in Richtung der Bäckerei, in der Susanne arbeitete. Als es endlich so weit war, fuhr Herbert rasch nach Hause, legte sich noch in die Badewanne, machte sich schön und sauber, enthüllte dann sein kurioses Gefährt, stieg in dieses ein, startete es und fuhr los.
Fuhr mit einer Riesenanspannung und einer nicht weniger großen Aufgeregtheit  einer Riesenaufgeregtheit und nicht zuletzt auch mit einer Riesengeilheit. Der Motor heulte auf und brummte dann beruhigend dahin. Herbert musste zudem langsam und überaus vorsichtig fahren, damit nicht die Brotkruste von der Karosserie fiel, noch ehe er bei Susanne angelangt war. Es war kein weiter Weg zur Bäckerei, in der Susanne arbeitete. Er sah sie schon vor sich, wie sie bei der Tür herauskam, mit ihrem weißen Häubchen und ihrer weiße Verkäuferinnenschürze, uner der sie womöglich nur ihre Unterwäsche trug, wie sich Herbert  auszumalen begann, noch während er fuhr. Wie aber mochte sie ihn empfangen? Sie kannte ihn ja kaum, nur als Käufer ihrer – im überwiegenden Fall – schlecht gemachten Brote, die Semmeln viel zu trocken und zu hart, die Zeilen zu weich und zu geschmacklos, wie festgezurrte Watte oder ein Stück ungewaschenes Taschentuch, das Frühstücksgebäck nach chemischen Zutaten schmeckend, von den Brezeln wollte er gar nicht reden, die hatte er noch gar nie probiert, die Faschingskrapfen, alles nur billig und schlecht gemacht, nicht mit Liebe und Sorgfalt, wie er es gerne gehabt hätte. Ja wäre nicht sie, Susanne gewesen, hätte er den Laden wahrscheinlich schon längst nicht mehr betreten. Nicht, wo er sich doch jetzt für Susanne so viel Mühe gemacht hatte.  Auch wenn er Herbert sich jetzt auch nicht sicher sein konnte, dass Susanne ihn gleich umarmte und küsste. Erst dann, so hoffte er zumindest, wenn sie sein überbackenes Gefährt sah und er sie einlud, in es einzusteigen. Das wollte er jetzt alles vergessen. Daran durfte er gar nicht denken, um nicht noch einen Unfall zu bauen.
Susanne sagte „Hallo!“ als er das Geschäft betrat, um sich zu vergewissern, dass sie noch da war. „Möchten Sie noch was?“, fragte sie, „wir sperren gleich zu!“ Herbert war für eine Sekunde verlegen, dann fasste er sich gleich wieder und fragte sie ganz selbstbewusst, ob sie heute Abend schon etwas vorhätte. Susanne sah ihn ein wenig irritiert an, dann, vielleicht auch nur, weil sie nicht lügen konnte: „Nein – warum?“ Und er: „Darf ich Sie zu einer kleinen Spritzfahrt einladen?“ Und sie, ein wenig zögerlich: „Ja, warum nicht? Ich muss mich nur noch umziehen.“ Sie ging in den Nebenraum, zog dort ihre Schürze und ihre weiße Mütze ab und kam dann in ärmellosen T-Shirt und blauen Jeans zurück. Sie lachte, als sie das Gefährt sah und fragte Herbert, was denn d a s  sei. Herbert erklärte es ihr, in wenigen Worten nur, aber es waren genug für sie, dass Susanne ihn spontan küsste und ihn umarmte. Sie stiegen ein und fuhren los.
Unterwegs sagte Herbert zu Susanne, dass er sie lieben würde, und sie darauf, dass sie das schon längst gewusst hätte, geahnt, weil Frauen so etwas immer ahnen, wenn Männer in sie verliebt seien. Weil das eben ihr sozusagen sechster Sinn sein würde. Darüber musste nun wieder Herbert lachen. Und freute sich, dass Susanne sein Liebesgeständnis so  überaus positiv aufgefasst hatte. Und er liebte Susanne daher noch mehr, fand sich pudelwohl in diesem Moment seiner Beziehung, und hätte es gern umgesetzt in eine Grafik, eine EEG-Kurve, diese Mikroelektrizität, die da nun aufgekommen war zwischen ihnen beiden. Und für die die Sprache der Liebe keine Worte mehr hatte. Er hielt den Wagen an, und küsste Susanne lange und intensiv. Ehe er den Wagen wieder startete und sie in den blauen Himmel hineinfuhren, der ein schönes Bild war, gemalt von einem Porschefahrer, der in eine junge Brotverkäuferin verliebt war und deshalb seinen Porsche Carrera mit Brot überbacken ließ und damit die junge Brotverkäuferin abholte und mit ihr in einen blauen Himmel hineinfuhr, welchen ein Maler gemalt hatte, der ein Porschefahrer war, der in eine junge Brotverkäuferin verliebt war ….
© Helmut Schiestl

Foto vom Autor

Helmut Schiestl

2 Comments

  1. Den Damen in Backwarengeschäften ist die Verschlagenheit doch anzumerken. Eitel präsentieren sie ihre Wecken und Brezeln und die Butter glänzt unter ofenwarmen Schwaden. Doch es ist wahr: Die Weiber gebären, nähren, begehren und verheeren uns.

  2. Schön romantisch! Das Märchen lädt mich zum Träumen ein und läßt mich schmunzeln. Danke!

    Anmarai

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