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Unbeachtet, unverstanden, unsichtbar: Wieso Tirols Jugendkultur brach liegt

…über ordentliche- und unordentliche Kultur

Das Land Tirol hat ein sehr überholtes Bild von Kultur und vor allem von Jugendkultur. Schützen oder Musikkapelle sind die „akzeptierten“ Vereine, in welchen sich die Jugend unseres Landes kulturell entfalten darf und soll. Wer bestimmt, dass dies das richtige, förderungswürdige Umfeld für das kulturelle Engagement von Jugendlichen ist?

Jugendkultur soll nicht die Traditionen Tirols erhalten, dafür gibt es andere, und zwar mehr als genug davon. Jugendkultur soll sich auch nicht gesellschaftlichen Konventionen anpassen, sie muss diese  einreißen und aus den Trümmern neues schaffen. Jugendkultur darf, nein muss kritisch sein, Missstände aufzeigen und Probleme ansprechen. Sie soll bewusst provozieren, aufwühlen und Rahmen sprengen. Es darf nicht anhand von traditionellen Kriterien entschieden werden, was Kunst für Jugendliche bieten soll und was nicht. Ein Dialog muss her!
 
Und wer soll für die alle bezahlen?

Grundlegender Kasus Knaxus ist, wie leider in den meisten Fällen, auch hier das Geld, genauer gesagt das Kulturbudget. Die Verteilung des Tiroler Kulturbudgets orientiert sich an konventionellen Kulturbegriffen, an den als besonders wertvoll betrachteten und akzeptierten Kulturleistungen. Die Schließung des Bierstindls steht repräsentativ für diese ungerechte Verteilung. Über 25 Prozent des Tiroler Kulturbudgets 2011 kamen der Tiroler Landestheater und Orchester GmbH und der Tiroler Landesmuseums GmbH zugute, die sogenannte „Freie Szene“ erhielt im gesamten 1,32 %.

Setzt man die Kulturausgaben in Relation zu den Gesamtausgaben des Landes, so erhielt man im Jahr 2003 einen relativen Anteil von 3,2 Prozent. Im Jahr 2011 liegen wir bei 2,6 Prozent. Es liegt also nicht nur ein Ungleichgewicht in der Wertschätzung von Kulturbereichen vor, Kultur an sich wird als immer weniger förderungswürdig erachtet. Es wirkt paradox, wenn man bedenkt, dass die Kosten für den Bau des Bergisel-Museum laut Kulturlandesrätin Palfrader knapp über 21 Millionen betragen.

Schlimmer noch ist eben die Art und Weise in der die jugendliche Kulturszene Tirols finanziell verhungert. Hier liegt das Hauptproblem darin, dass es keine klar definierte Zuständigkeit gibt. Wenn Kulturprojekte für Kinder und Jugendliche beantragt werden, werden diese zwischen den jeweiligen Kulturabteilungen und dem JUFF (Referat für Familien, Frauen und Gleichstellung, Jugend, Integration und SeniorInnen) herum geschoben, bis es oftmals, ohne transparente und nachvollziehbare Kriterien, abgelehnt wird.
 
Polka ja, Punk-Rock nein?

Es gibt allein in Innsbruck 19 Schützengilden und 54 Volksmusikgruppen, welche mit Hilfe des Tiroler Kulturbudgets gefördert werden, dies ist schön und soll auch so bleiben. Jedoch muss es auch Möglichkeiten geben den progressiveren Bedürfnissen der jugendlichen Innsbrucker und Innsbruckerinnen gerechter zu werden. Proberaummieten sind unerschwinglich, Auftrittsmöglichkeiten für unkonventionelle Musik gibt es so gut wie keine, Graffiti-Künstlerinnen und Künstler werden kriminalisiert, Skateborden und BMX-Fahren wird auf öffentlichen Plätzen verboten, Schi- und Snowboard Karten sind für junge Menschen dauerhaft nicht leistbar, Fotographiekurse werden nur völlig überteuert angeboten und vieles mehr passt nicht an dem engen Verständnis von Kultur in diesem Land. Alle 5 Jahre ein neues Jugendzentrum zu bauen ist einfach zu wenig, so verkümmern die kulturellen Talente der Innsbrucker Jugend. 

Wenn man der Innsbrucker Jugend vorwirft, dass sie nur zu Hause vor dem Fernseher und dem Computer sitze, dann muss man auch auf die Jugendlichen zugehen und sie fragen welche Angebote fehlen und was verbessert werden muss. Ein Dialog kann Klarheit schaffen und Verständnis fördern, einen Einblick und einen Zugang gewähren.

Daniel Marcher

4 Comments

  1. ein erster Schritt: sich zusammensetzen, auseinandersetzen mit denen, die es betrifft: Jugendliche, Kulturschaffende, MusikerInnnen, Bands, SportlerInnen, Partypeople Poeten. PolitikerInnen dürfen (wenn überhaupt) zuhören. Dann GEMEINSAM diskutieren und vor allem zuhören. Was wollen wir?  Eine lebendige, mitreißende und weltoffene Stadt – keine sozialen Ghettos, Kulturkleingärten und Boboscheiße. Sei frei und lebendig, lebe lieber widerständig.

  2. Diese Diskusssion erinnere ich mich, schon in den siebziger- und achtziger Jahren geführt und gehört zu haben. Schade eigentlich, dass sich da immer noch nichts verändert hat. Oder ist es nur der subjektive Eindruck der jeweils aktuell Jungendlichen, dass zu wenig passiert und gemacht wird für ihre Kultur? Boboscheiße finde ich gut, immerhin ein neues Wort, das es in den achtziger Jahren noch nicht gegeben hat. Die Bobos sind ja die neuen Young-urban-People, die zwar grün wählen, aber in die Bürgerlichkeit abgerutscht sind und dort ihren Lifestyle pflegen, so hört und liest man es zumindest immer. Also gestern noch radikal und progressiv, und heute Entspannungsjoga und Selbstfindungsmantras buchstabieren. Dazu harmonische Klänge vom feinsten.

  3. Jaja. Alles wahr. Aber das Kulturgasthaus Bierstindl war in seinen letzten Jahren alles andere als eine "Junge Kulturinstitution" mit einem, für Jugendliche interessantem Kulturprogramm, vom Kindertheater mal abgesehen.

  4. Schwierigkeiten ergeben sich für die Politik und die Gesellschaft meist dadurch, dass Jugendliche und ihre Jugendkultur sehr facettenreich sind. Was ich auf keinen Fall negativ sehe, im Gegenteil ist es absolut positiv, dass es doch viele verschiedene Möglichkeiten gibt, wie sich junge Leute entfalten wollen. Das Problem ist sie können nicht, weil man ihre Interessen so schlecht in Schubladen sortieren kann. Die Interessen der jungen Leute sind so vielschichtig, dass sie in das Schubladendenken der Gesellschaft einfach nicht hinpassen können und wollen. Außerdem kann man aus der Förderung von "anderen" Interessen kaum oder gar kein Geld verdienen… Die Wertschöpfung ist nicht gegeben. Traurig das man sich als junger Mensch, mit sehr wertvollen Interessen, so wertlos vorkommen muss, weil die Gesellschaft keinen Nutzen aus den Interessen ziehen kann.

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