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Offen gesagt – ich bin angewidert

Individualisierung ist das neue Kontrastprogramm zur „Flutmetapher“. Wo früher noch von unüberschaubaren „Flüchtlingsströmen“ die Rede war – das Bild einer grauen, gesichtslosen Masse, die uns vollends zu überfluten droht, es ist nur noch eine Frage der Zeit, erzeugend – finden sich jetzt Porträtfotos von Betroffenen zwischen den Zeilen von Interviews, in welchen sie ihre Geschichten erzählen. Junge Männer sind es meistens, die uns da mit ihren dunklen Augen aus der Zeitung anschauen und die uns für einen Augenblick an ihrer Geschichte teilhaben lassen.

Die Medien überschlagen sich neuerdings förmlich mit Geschichten über Einzelschicksale von Menschen auf der Flucht. Jetzt verstehe ich natürlich und heiße auch gut, dass durch die Präsentation von Einzelschicksalen viele Leute besser verstehen können, warum Menschen flüchten und dadurch eine Art von Empathie erzeugt wird. Ein kleiner und sicher auch nur oberflächlicher Einblick in das Leben eines Menschen, der seine Heimat verlassen musste und sich auf den langen und gefährlichen Weg in ein besseres Leben begibt. Und natürlich finde die positive mediale Präsenz, welche Flüchtlingen dadurch zukommt und welche sie sicher seit langer Zeit entbehren mussten, mehr als begrüßenswert. Betroffene zu Wort kommen zu lassen anstatt Vorurteile zu schüren – eine ganz fantastische Angelegenheit ist das.

Und trotzdem bin ich angewidert. Nicht, über die Sache selbst, sondern vielmehr über die Tatsache, dass dies notwendig ist. Dass es notwendig ist, die Geschichten von Menschen öffentlich breit zu treten, um die Mehrheitsbevölkerung verstehen UND glauben zu machen, dass diese Menschen tatsächlich nicht einfach mal eben so nach Österreich rüberspaziert sind, um zu schauen, was bei uns so abgeht. Ist es wirklich notwendig, dass Menschen, die aus einem Kriegsgebiet geflohen sind, öffentlich den Beweis antreten, dass es ihnen schlecht ergangen ist und sie deshalb flüchten mussten? Ist das Wort „Krieg“ alleine etwa wirklich nicht mehr ausreichend, auch nicht zusammen mit den Bildern aus den Nachrichten für all diejenigen, die eher visuell – oder soll ich sagen schaulustig – begabt sind?

Ich für meinen Teil darf sagen, dass ich es gar nicht so genau wissen möchte. Durch meine Arbeit und auch meinen längeren Aufenthalt in einem ehemaligen Kriegsgebiet habe ich im Laufe der Jahre Geschichten gehört, von denen ich bis heute wünschte, dass ich sie niemals gehört hätte. Nicht etwa, weil ich danach gefragt habe, sondern weil sich Menschen nach einer bestimmten Zeit einander anvertrauen, wenn sie einander auf Augenhöhe begegnen – ganz einfach. Es gibt leider viel zu viele Menschen – Männer, Frauen, Kinder, die in ihren Heimatländern Dinge erleben, die derartig schrecklich sind, dass wir als ÖsterreicherInnen sie uns nicht einmal in unseren kühnsten Träumen vorstellen können. Und wir können uns überglücklich schätzen, dass dem so ist.

Und genau aus diesem Grund bin ich angewidert. Können wir bitte aufhören, wissen zu wollen, wie schlecht es jemandem ergangen ist, um abzuschätzen, ob er auch wirklich ein Recht hat, hier zu bleiben? Können wir Flüchtlinge nicht einfach auch mal zur Ruhe kommen lassen? Können wir sie einfach auch mal als Menschen und nicht als Opfer oder Täter (je nach persönlicher Gesinnung) betrachten? Können wir bitte aufhören, mit unseren bohrenden Fragen unkontrolliert in wildesten Traumatisierungen herumzustochern? Können wir nicht einfach mal jemanden einfach nur ohne weitere Erklärungen willkommen heißen, der aus der Hölle durch die Hölle und ins Leben gegangen ist? Können wir das bitte?

BIRGIT HOHLBRUGGER

Hier gehts zu den anderen Teilen der Serie Ein Schwimmkurs für Einheimische

Gast

2 Comments

  1. herzlichen dank für Ihre emotionalen Worte Frau Hohlbrugger,

    Inzwischen habe ich viele Menschen, die flüchten mussten kennengelernt und weiß um die Tränen, die sie noch immer weinen. Ich muss nicht die Geschichte hinter der Geschichte kennen um mit ihnen mit zu fühlen,
    muss nicht wissen wie furchtbar die Flucht war und wie groß die Angst noch immer ist.
    Wer sich mir öffnen möchte, dem reiche ich vertrauensvoll mein Ohr, aber ich respektiere es auch, wenn jemand seinen Schmerz in sich verschlossen hält, weil er es nicht schafft darüber zu reden, weil Heimweh und der Gedanke an das was man verlassen musste, noch immer unerträglich ist.
    Die Achtung vor meinem Menschen, steht immer im Vordergrund.

    Ute AnneMarie Schuster….

  2. Mein Kommentar dazu: Ja, wir müssen die Geschichten hören, ja wir müssen sie lesen, ja wir müssen diesen Menschen in die Augen schauen, immer wieder. Nein, es ist nie genug darüber gesagt, nein, das Wort „Krieg“ reicht hier nicht aus. Weil: Wir sind hier mit einer neuen Situation konfrontiert: Das was diesen Menschen geschehen ist, ist nun auf eine Weise auch Teil unserer Realität geworden, es spielt sich nicht mehr ausschließlich fern unserer Grenzen hab. Diese Menschen sind nach einer unfassbaren Reise bei uns gelandet und wir müssen uns mit ihnen auseinandersetzen. Wir müssen auf sie reagieren. Deswegen müssen wir diesen Menschen zuhören und ihre Erlebnisse ernst nehmen, sie wahrnehmen. Diese Menschen sprechen zu lassen, ihre Erlebnisse zu erfahren bedeutet nicht sie zu bewerten. Es bedeutet einfach zunächst einmal etwas über sie zu erfahren. Es geht nicht darum, die Geschichten dieser Menschen breitzutreten. Es geht zunächst einmal darum, sie zum Thema zu machen. Es braucht Menschen die nachfragen, die sich mit diesen Geschichten auseinandersetzen, weil sie nicht mehr zu ignorieren sind, weil sie vielleicht schon viel zu lange ignoriert wurden. An den Grenzen Europas ist eine riesige Katastrophe im Gange und wir stehen erst am Anfang, damit umzugehen. Wichtig ist es zu informieren, aufzuklären. Ich persönlich empfinde es als unbedingt notwendig, diesem unfassbaren Elend, das sich hier abspielt, dieser riesigen Katastrophe, Gesichter zu geben und vor allem Stimmen. Und die sollen so lange zu hören sein, bis wirklich alle verstanden haben, dass auch wir hier in diesem Land Teil dieser Geschichten sind und in der Verantwortung stehen zu helfen und zu reagieren. Und wenn es dafür noch eine Geschichte und noch ein Gesicht braucht, (von mir aus gerne in jedem „Innsbruck informiert“), dann soll mir das recht sein.

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