14

Innsbruck, du machst mich fassungslos

Vergangene Nacht: Ich will gerade von einem Freund nach Hause fahren, da höre ich einen lauten Crash. Mit dem Rad fahre ich dort hin, wo ich den Crash vermute – an der Kreuzung Südring/Fritz-Konzert-Straße. Was sich mir dort für ein Bild bietet, jagt mir auch jetzt noch einen kalten Schauer über den Rücken: Ein (dreiviertel) Auto, daneben liegt ein Mann, im Auto sitzt blutüberströmt ein anderer Mann. Einige Leute, wie ich, eilen zum Unfallort, sind hellauf verwirrt, wollen die Rettung rufen, haben plötzlich keinen Ahnung mehr, wie deren Telefonnummer lautet. Eine Ausnahmesituation, wie sie einen eben überfällt, nicht planbar, schlicht: schrecklich. Zwei Leute ziehen den schwer Verletzten durch das zerstörte Seitenfenster aus dem Wrack, ich will sie noch daran hindern, weil das so ziemlich das Schlechteste ist, was man tun kann, doch es geht alles in Hektik unter – längst telefoniere ich selber und alarmiere Notarzt und Feuerwehr.

Es gelingt mir lediglich einige Andere davon abzubringen, den (noch ansprechbaren) Schwerverletzten in die stabile Seitenlage zu drehen. Ein Anderer greift beherzt den Nacken des Unfallopfers, ich lege meine Jacke auf den Mann. Er zittert, plötzlich gefriert sein Blick. Ich versuche mit ihm zu reden, streichle ihm über den Kopf, will nur, dass er nicht jetzt stirbt. Die Schaulustigen aus dem nahen Cineplexx werden mehr, gaffen, tuscheln.

Endlich Folgetonhörner. Zuerst die Polizei. Ähnlich wie wir, die wir uns um die Unfallopfer kümmern, überfordert. Auf so ein Bild des Schreckens kann einen die beste Polizeischule nicht vorbereiten. Funkverkehr. „Eine Decke!“. Eine Rettungswagen kommt. Dann der Notarzt. Dann die Feuerwehr. Irgendwo in der Nähe flammt Benzin auf. Schnell gelöscht, Benzin rasch gebunden. Ein weiterer Notarztwagen und eine Rettungsauto kommen. Plötzlich wird alles professionell. Rettungsleute und NotärztInnen leisten schier Übermenschliches. Kleidung wird aufgeschnitten, Elektroden angelegt, ein Monitor steht auf dem Gehsteig, Leitungen gelegt.

Als die Routine für NotärztInnen und Co langsam Einzug hält, laufen – laut schreiend – Verwandte der Unfallopfer zur Unglücksstelle. Es ist eine Szenerie wie aus einem viel zu billigem Hollywoodfilm, und doch so scheiß verdammt real. Eine Polizistin und ich halten die Verwandten davon ab, zu ihren Liebsten zu stürmen, die HelferInnen zu stören. Zwei Momente lang zerreißt es mir das Herz. Endlich kommen andere Verwandte und leisten Beistand.

Dann, auf einmal, es sind längst Dutzende Schaulustige, manche machen Handyfotos und wohl auch -videos, strömen aus dem nahen Cineplexx-Komplex, vermutlich aus der nahen Disco einige – man verzeihe mir: Arschlöcher. Volldeppen. Mir fehlen die adäquaten Wörter. Mit lautem „Schalalalaaaa singen sie Schmählieder gegen die Polizei, wollen zur Unfallstelle vordringen. Längst denke ich mir, dass ich mich in einem Hollywood-C-Film wiederfinde. Einige der Randalierer müssen schließlich tatsächlich in Handschellen gelegt werden, die anwesenden PolizistInnen fordern Verstärkung an und rasch brausen drei weitere Polizeiautos heran, um die Randalierer zu bändigen, manche zu verhaften, was auch immer. Auf einmal sind gut 20 PolizistInnen da – damit die NotärztInnen und SanitäterInnen ihre Arbeit tun können. Fassungslos gebe ich einer Polizistin noch meine Daten bekannt. Dann besteige ich mein Fahrrad, meine Jacke lasse ich zurück, zwei weitere Polizeiwägen kommen an, im Hintergrund wird weiter um zwei Leben gekämpft.

Innsbruck, so kann ich dich nicht lieben. Innsbruck, so machst du mich fassungslos. Ich bin schockiert, einfach nur schockiert. (und nein: dieser Artikel beinhaltet kein Foto. Ein paar andere und ich hatten alle Hände voll zu tun.) Es ist Allerheiligen, meine in der Nacht getragene Kleidung ist voller Blut. Meine Augen werden schon wieder ganz feucht. Wohl auch aus Wut.

Markus Koschuh

14 Comments

  1.  das ist user-generated-content vom feinsten was du hier als A-Löcher bezeichnest… die Randalierer, muss ned sein. Aber was in Syrien (tolle wackelige Handyfilme die in jeder nachrichtensendung gezeigt werden) gut ist, muss auch hier als "gut" gelten. News, von Menschen für Menschen.

     

    Schade um die Jacke. Einklagen vom Unfallverursacher ? 

    •  schad um die jacke? sag mal, wie bist du denn drauf?!

      und mit news von mensch zu mensch hat das auch nichts mehr zu tun. mir reicht es bei solchen schlimmen sachen auch, wenn ichs in den nachrichten lese. mehr brauchts für meine gänsehaut ned. 

      jedem von uns kann so ein unfall mal passieren. und ich möchte nicht halb tot auf der straße liegen und dabei gefilmt werden.

      das hat etwas mit respekt zu tun, mein lieber, respekt gegenüber anderen menschen, nicht mit "information".

      genauso, wie die arschlöcher (pardon, randalierer) auf polizisten etc. losgehen: wo ist da der respekt gegenüber denen, die versuchen, das chaos zu verringern? die, die sich um die verzweifelten angehörigen kümmern müssen?  

      keiner denkt über die folgen seines handelns mehr nach. das ist wirklich traurig.

  2. Danke, Markus – ich finde es echt zum Kotzen/Heulen/Vor-Wut-aufn-Tisch-Hauen, was du da schilderst und glaube, jede/r kennt ähnliche Szenen: Unfälle, die von Gaffern gefilmt werden – Hilflose, an denen Menschen einfach wortlos vorbeigehen und Typen, die anscheinend vor Sensationsgier wie paralysiert sind, aber nicht einmal auf die Idee kommen, zu helfen …

     

    Da könnte man leicht an der Menschheit verzweifeln und erklären, dass heute eben alles den Bach runtergeht und die Sitten verlottern. Allerdings glaube ich, dass diese Erklärung zu simpel ist und auch nicht wirklich zielführend – denn was wäre die Konsequenz? Selbst abstumpfen, wegschauen und den Kopf in den Sand stecken? Dann wird die Welt noch ein wenig kälter und unmenschlicher.

     

    Du hast genau das Richtige getan: Du hast versucht zu helfen, bis dagewesen und bist jemanden in großer Not beigestanden – das ist mehr, als viele tun und spricht für Deine Geistesgegenwart und Menschlichkeit. Was andere tun, kann man allermeistens kaum beeinflussen – was man selbst tut, wie man sich konkret verhält, entscheidet jede/r selbst im Alltag wie auch in Ausnahmesituationen.

     

    Allem Anschein nach gab es zumindest keine Toten tirol.orf.at/news/stories/2556982/ – wer weiß, vielleicht hatte Dein Zuspruch auch daran seinen Anteil? Danke Markus, dass Du geholfen hast und nicht nur "dabei" warst!

  3. Da zweifelt man an der Zivilisiertheit und am Wert der neuen Errungenschaften! Nein, ich verteufle ganz sicher nicht iphone, ipad & co. und auch nicht die Leute, die so was haben, aber wie mit diesen Dingen teilweise umgegangen wird, ist echt zum Kotzen!  Und ja, nur Arschlöcher können sich so aufführen wie diese Filmer, Fotografierer …

  4. Ja so was macht mich auch immer wieder betroffen, aber zum Glück gibts professionelle Helfer/innen,  die da vor Ort gute Arbeit machen, die man da wohl nicht hochgenug schätzen kann. Dazu vielleicht noch ein Tipp. Das neue Tirol-ECHO vom November hat einen Artikel zum Thema "Das Rettungs-Desaster"  über die politischen Machenschaften im Zusammenhang mit dem Tiroler Rettungswesen. Vielleicht ein bisschen reißerischer Titel,  zugegeben, hab ihn auch noch nicht gelesen, aber es lohnt sich sicher, da mal reinzuschauen.

  5. Lieber Kozuh,

    was den zweiten teil deines Beitrages betrifft, stimm ich dir voll und ganz zu – wiederlich! Was aber auch bedrückend ist, dass du selbst offensichtlich nicht nur keinen Schimmer von Erste Hilfe hast, sondern, noch schlimmer, andere daran hinderst! Unterlassene Hilfeleistung ist in Österreich ein strafrechtlicher Tatbestand (§323c StGB) und das was du da betreibst und hier noch großartig rausposaunst ist Anstiftung dazu. Opfer aus dem Gefahrenbereich und in stabile Seitenlage bringen  (wenn Atmung passt, aber Bewusstsein nicht da) ist nie wirklich falsch, auch wenn die organisierte Rettung bald eintreffen sollte. Was wäre gewesen, wenn der sich verletzt im Auto übergeben hätte, dank deines Halbwissens (und das ist nicht halbes Wissen, sondern bekanntlich Schwachsinn) wär er vor den Augen der glotzenden Meute und deinen, erstickt! (ja dafür wäre er mit einer intakten Wirbelsäule beerdigt worden) Also lieber Kozuh, zeig nicht nur mit Mund und Feder Verantwortung, sodnern auch mit Taten und besuch schnellstmöglich einen erste Hilfe Kurs (nach deinem – zurecht – sehr erfolgreichen Programm, sollte sich das ja ausgehen)

    Andreas

    • Hallo Andreas,

      ich glaube, du wärst in Amerika gut aufgehoben! Kozuh hat geholfen! Fertig! Wenn du jetzt jeden, der falsch geholfen hat vor den Kadi bringen willst, dann wird, wie in Amerika, niemand mehr helfen! Lieber ist mir wer, der Hilft und etwas falsch macht, als jemand der nur "depat schaut" und nix macht!
      Du bist wohl ein Gutmensch, der sich anmaßt andere zu richten – weil du ja ach so toll kannst und nie etwas falsch machst… traurig!

      Kozuh danke für deinen Bericht

       

      Jemand, der als Einsatzorganisation mit am Einsatz war

    •  Lieber Andreas,

      deine (offensichtlich auch noch falsch) gegoogelten Weisheiten solltest du lieber für dich behalten. Wenn du schon aus einem Strafgesetzbuch vergleichend zitieren willst, so ziehe doch wenigstens die für Österreich gültige Rechtsgrundlage zurate  – für die Zukunft: http://www.ris.bka.gv.at. Wenn du es dann geschafft hast, im Rechtsinformationssystem den gewünschten Eintrag zu finden, legst du bitte deinen Fokus auf das Wort "zumutbar" – die Interpretation bleibt dir überlassen. Und dieser Term, lieber Freund Andreas, ist absichtlich so gewählt und verwendet.

      Deinen Senf, den du zu korrekten Erste-Hilfe Anweisungen von dir gibst, den googelst du das nächste Mal dann auch noch richtig. Eine schwerverletzte Person, welche noch ansprechbar ist, aus einem Auto zu ziehen, überlässt man den professionellen Helfern. Sollte er das Bewusstsein verlieren, bleibt dir immer noch Zeit, ihn oder sie aus dem Wrack zu bergen. Wir Hr Kozuh festhält, war die aufgefundene Person noch ansprechbar. Aktive oder passive Bewegung oder Manipulation von/an einer ansprechbaren aber offensichtlich schwerverletzten Person birgt, sofern sich diese nicht in unmittelbarer Gefahr (zB auf der Überholspur einer Autobahn) mehr Gefahren, als dass sie davon profitiert. Nein, lieber Freund Andreas, dass haben wir uns nicht ausgedacht, sondern auch so gelernt – zufällig in einem Erste-Hilfe Kurs, welcher noch nicht allzu lange her ist. Auch steht dies so in der kleinen, schlauen Erste-Hilfe Fibel, und zwar mit den Worten "absolutes Bewegunsverbot".

      So, lieber Andreas, jetzt haben wir uns unseren Frust von der Seele geschrieben, und raten dir für das nächste Mal auf gut Tirolerisch: Halt einfach deine Pappn‘.

      • bin nicht oft auf den seiten von provinnsbruck, aber hallo,das ist ein toller ton,so richtig tirolerisch also. kinderstube? sollte ich einmal hilfsbedürftig sein, möchte ich euch sicher nicht begegnen, sollte ich um hilfe bitten, kommt dann auch ein "halt die pappn" daher???

  6. wir haben uns bewusst dazu entschieden, auf provInnsbruck anonyme bzw. pseudonyme Postings zu zulassen. Persönliche Beleidigungen und diffamierende Äußerungen werden gelöscht – das Posting von "zwei die jetzt einfach mal was sagen müssen" ist da sicher ein Zweifelsfall. Da ein Großteil dieses Kommentars aber sehr wohl sachbezogen (und noch dazu kenntnisreich) formuliert ist, mag das "Halt einfach deine Pappn" in dem Fall okay sein. Schließlich teilt "Andreas" auch aus und attackiert Koschuh persönlich (auch ohne ihn direkt zu beschimpfen). Wenn ich mir die Debattenkultur in vielen anderen Foren ansehe, muss sich provInnsbruck wirklich nicht schämen. Wir freuen uns über jede Debatte, wollen aber keine Untergriffe oder Hassparolen!

  7. Sollte ich einmal verletzt sein, möchte ich sicher lieber den beiden begegnen, die auch mal was zu sagen haben als dem Andreas (also nicht dem Wiesinger, sondern dem anderen), weil die erstens wüssten, was zu tun ist, und zweitens kann ich über ein "Halt die Pappn" mit einem ironischen Augenzwinkern viel mehr lachen als über den ernst-aggressiven Ton, den manch anderer anschlägt.

    Also scheint mir hier in diesem speziellen Falle das gut "tirolerische" (Kinderstube?) viel eher das voreilige, aber deswegen nicht richtigere – im Gegenteil: sogar falsche – Ausposaunen irgendwelcher angenommener "Tatsachen" zu sein.

    Ja, ja, die Tarrola …

     

     

  8. also ich danke dem kozuh für den artikel und ich erinnere mich auch an folgendes in mehreren, (damit der Schwanzvergleich hier auch noch mit reinkommt) Erste-Hilfe-Kursen gehörtes:

     

    Leistet Hilfe, auch wenn ihr euch nicht wissenschaftlich und abgesichert sicher seid, was nochmal genau in jedem Fall zu tun ist. Meistens wird durch "falsche" Hilfe weniger Schaden angerichtet als durch gar keine. Das hab ich von Rettungskräften im Erste-Hilfe-Kurs gehört. Und wenn es nur Beistand und Beruhigung ist, was man machen kann. Meist passiert es ja, dass sich niemand helfen traut, weil alle Angst haben, was falsch zu machen. Solche kommentare wie der vom Andreas helfen da nicht gerade. Von unterlassener Hilfeleistung kann ja wohl bei Kozuhs Bericht nicht die Rede sein, oder?

     

     

Schreibe einen Kommentar zu provi Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert