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Angst haben wir alle. Der Unterschied liegt in der Frage: wovor (Frank Thiess)

Ich spaziere mit meinen Kindern die Franz-Fischer-Straße entlang. Es ist Sonntagfrüh und erst als mein Blick die digitale Uhr eines Schaufensters streift, bin ich mir wirklich sicher, dass es auch so spät ist, wie ich dachte. Ich bin bislang nämlich noch keinem Menschen begegnet und habe mich schon zu fragen angefangen, ob ich vielleicht irgendeine Sommer- oder Winterzeitverschiebung verpasst habe, oder ob meine Uhren zu Hause vielleicht alle falsch gehen.

 

Nachdem nun aber feststeht, dass die Zeiten der gesichteten Uhren übereinstimmen, gehe ich weiter. Beim Überqueren der Straße sehe ich endlich ein paar Autos und ich bin beruhigt, dass auch andere am Sonntagvormittag unterwegs sein müssen und nicht alle im Umkreis das Anrecht auf ausgiebigen, langen und ungestörten Schlaf haben. Desweiteren fühle ich mich bestärkt in Bezug auf meinen aktiven Spaziergang mit den Kindern: Südringausbau Hin oder Her, Ja oder Nein, Für oder Wider… …wenn insgesamt ein bisschen weniger mit dem Auto fahren würden und sich alle körperlich Gesunden allgemein mehr auf die Tragkraft ihrer Beine verlassen würden, dann wären einige Diskussionen schon von vorneherein geklärt.

 

Wie naiv! Und ich muss schmunzeln…

Nun gut, kurzum, ich sichte also schon die Haltestelle der Straßenbahn und zugleich auch einen Weiteren potentiellen Fahrgast, der, so wie es scheint, ebenfalls beschlossen hat, am Sonntagvormittag das Angebot der Straßenbahn zu nutzen. So wie er uns schon von weitem mit nicht-von-uns-abkommendem Blick fixiert, ist er entweder selber froh, dass noch andere Leute außer ihm unterwegs sind oder er freut sich ebenfalls über weitere Öffis-Nutzer.

 

Mich jedoch beginnt sein Blick zu verunsichern, da er so furchtbar streng schaut und ich verwerfe also ganz schnell sämtliche Gedanken meinerseits, was eine potentielle Freude dieses Menschen über andere Menschen an einem trüben Sonntagvormittag betrifft oder gar, dass er möglicherweise ebenfalls an zurück gelassene Autos an der Garage denkt. Wie naiv! Und ich muss schmunzeln…

 

Doch sein Blick will nicht von uns abkommen, auch nicht, als wir endlich direkt bei der Haltestelle angekommen sind. Der Blick wird sogar noch aufdringlicher und intensiver. Noch unfreundlicher und fordernder. Mir wird anders und ich drehe mich weg. Ich denke darüber nach, dass eigentlich ich diejenige bin, die sich ständig über die fehlende örtliche „Ich-sag-einfach-mal-Hallo“-Moral beklagt und begreife, dass, weil genau mir sowas fehlt, umso mehr ich damit anfangen muss.

 

Diesen Entschluss fassend entlasse ich mich selbst wieder aus der davon-wende-ich-mich-ab-Position und er blickt immer noch. Ganz so, als hätte er, seit ich der Haltestelle von weitem entgegengekommen bin, keinen Mucks gemacht. Ich will ihn grüßen, da öffnet er auf einmal seinen Mund. Widererwartens höre ich in einem völlig freundlichen Ton: „Du, darf ich dich was fragen?“. Ich entgegne ihm mit „ja“ und er sagt: „Weißt du, seit ich dich da mit denen kommen gesehen habe, frage ich mich, was das für eine Rasse ist!“ Ich bin völlig verwirrt, blicke nach links und dann nach rechts, auch nach unten, gerade noch erinnere ich mich, dass es keinen Sinn macht nach oben zu blicken, obwohl ich es intuitiv eben fast getan hätte.

Ich denke, dass ich nicht die Person sein kann, der er diese Frage stellen wollte. Blicke ihn verwirrt an und entgegne ihm einfach nur ein verwirrtes „Bitte?“. Doch er wiederholt die Frage unbeirrt: „Was ist das da für eine Rasse?“ Ich verstehe leider immer noch nicht … Doch mir wähnt was, das nicht gut ist und nachdem es ein paar Sekunden ganz still ist, will ich gar nicht verstehen, was mir da zu verstehen nahe gelegt werden will und ich sage also nochmal „Was meinst du? Wer und welche Rasse?“

 

Wie naiv! Und ich muss nicht mehr schmunzeln…

Er sagt mir: „Die zwei.“ Ich blicke meine Kinder an und will weinen, obwohl ich weiß, dass dieser Moment nicht der richtige Zeitpunkt dafür ist.

 

Die Straßenbahn kommt: Linie STB. Er steigt ein. Ich nicht. Ich will in die 3.

Meine Tochter fragt mich, was denn los sei und ich sage, dass wir warten. Wir warten auf die Nummer 3. „Aber wir sind doch Nummer 1, Mamma?“ Ich will ihr ihre Illusion nicht rauben und bejahe: „Ja, wir sind Nummer 1!“. „Und er?“, fragt sie mich. Ich sage: „Er? Er ist STB. Stahlbeton!“

Von weitem sehe ich die Straßenbahn mit Nummer 3 einfahren. Ich bin verwirrt aufgrund des Vorfalls von gerade eben.

 

Die einzige Gewissheit an der ich mich im Moment festhalten kann ist die, dass auf Beton ja bekanntlich auch keine Blumen wachsen können.

 

Vanessa Schatzer

17 Comments

  1. sowas kann einem wirklich aus  der Bahn  werfen . Es erfordert  auch ein gesundes Denkvermögen. Und traurig  bin ich durch diese Worte in diesem Schreiben allemal . Friedliche,  besinnliche, um Menschen  die es notwendighaben denkende Adventzeit !

  2. Vielleicht ist der Mann auch einfach nur krank? Vielleicht hat er Angst, dass es anderen besser geht als ihm, dass sie das größere Stück vom Kuchen abbekommen haben als er. Traurig zwar, aber vielleicht auch wahr.

  3. tja, da fällt mir ein, wie es mir in einem bus in ibk erging: ich setzte mich mit meiner tochter neben einen älteren mann im bus – meine tochter hat augenscheinlich auch afrikanische wurzeln, neben österreichischen – und der nette herr fragt mich, woher meine tochter kommt. ich antworte wahrheitsgemäß aus innsbruck. er schaut verwirrt und fragt erneut, wo sie denn geboren sei. ich antworte wahrheitsgemäß: in innsbruck. er dreht sich offensichtlich sauer weg und redet kein wort mehr mit mir………nun denn, nur ein erlebnis von vielen.

     

  4. Dazu fällt mir eigentlich nur der alte, aber sehr zutreffende Spruch ein "Menschen sind Ausländer – fast überall. Und Rassisten sind Arschlöcher – überall!" Der Autorin und ihren Kids wünsche ich alles, alles Gute. Die Welt ist bunt und deshalb ist sie schön: trotz alledem!

     

    Dieser Song von Hansi Söllner passt irgendwie dazu, finde ich: http://www.youtube.com/watch

  5. erinnert mich irgendwie an die erste studiparty, zu der ich hier in ibk eingeladen war. man würde sich ja irgendwie erwarten, dass junge leute in der lage sind, ein bisschen über den tellerrand zu schauen. damals hab ich die aussage "ich hab immer noch nicht verkraftet, dass rumänien in der EU ist" mit einem müden lächeln weggesteckt. heute könnt ich kotzen, wenn ich daran denke wie leicht es gewesen wäre, diesem trottel eine verbale watschn zu verpassen. schade dass ichs nicht gemacht habe, vielleicht gäbs dann eine person weniger auf dieser welt, die den mund aufreißt ohne nachzudenken. ich zweifel nämlich dran, dass es sich in den meisten fällen um böswilligen rassismus handelt, vielmehr ist es so, dass die meisten gar nicht wahrnehmen, was für einen scheiß sie eigentlich verzapfen, ein phänomen, dass sich sonst eh auch auf andere bereiche des alltäglichen lebens erstreckt, aber darüber sollte man vielleicht gar nicht erst anfangen nachzudenken, magengeschwüre sollen nämlich gar nicht so toll sein, hab ich gehört…

  6. es ist leider so. mit stahlbeton läuft man in eine gefahr : asozialität . das liegt daran dass man dadurch vom erdmagnetfeld abgeschirmt wird. unsere energiekörper brauchen aber ein intaktes magnetfeld , ansonsten wirds stressig für körper, geist und seele .

  7. >Die einzige Gewissheit an der ich mich im Moment festhalten kann ist die,
    >dass auf Beton ja bekanntlich auch keine Blumen wachsen können.

    Did you hear about the rose that grew
    from a crack in the concrete?
    Proving nature’s law is wrong it
    learned to walk with out having feet.
    Funny it seems, but by keeping it’s dreams,
    it learned to breathe fresh air.
    Long live the rose that grew from concrete
    when no one else ever cared.
    -Tupac Amaru Shakur-

  8. Meine Rasse heißt MENSCH

    Meine Heimat ist die Erde

    Ich bin ein Wesen

    das Liebe und Freundschaft zum Leben braucht

     

    Ich möchte leben 

    frei wie ein Baum und geschwisterlich wie ein Wald

    keine Grenzen, keine Gitterstäbe

    ich möchte lieben

    und anderen Erdenkindern friedlich begegnen

     

    Die Dummheit und der Hass

    sie lähmen mich nicht

    Ich habe keine Angst mehr

    weil ich zu dir gehöre

    liebe große Mutter Erde

     

     

  9. Wenn es um die Schuldzuweisung geht, finde ich es wichtig, dass man dabei beachtet, dass Rasse vom späten 17. Jahrhundert bis gegen Ende des 20. Jahrhunderts als Bezeichnung zur Klassifizierung von Menschen verwendet wurde. (vgl. Link)

    Somit hat es der Herr (abhängig vom Alter) viell. gar nicht gelernt, dass man heutzutage eine solche Frage politisch korrekt anders formulieren sollte.

    Weiters kann ich aus dem Text nicht heraus lesen, dass eine negative Absicht dahinter stand, da er anscheinend seine Neugierde stillen wollte- er fragte ja vor: "Darf ich Sie was fragen?" und wenn ich dies aus dem Text richtig heraus lese, war es kein abfälliges Kommentar von ihm – wie etwa im vorbei gehen laut fragend: "Was istn das für Rasse hier…"

    Ich verstehe voll und ganz eine Empörung – auch im ersten Moment dem Mann gegenüber – aber nach Überlegung stelle ich eher alte Lehrbücher (hoffentlich ALTE Lehrbücher) in Frage.

    Es geht um in Vergangenheit passierte Bildung… 

  10. Ob er wirklich nur uninformiert war, ABC? Oder doch ein Rassist? Die moderne Biologie hat dieses Konzept längst widerlegt. Der Ton macht die Musik und nach der "Rasse" fragt man allenfalls bei Hunden. Wobei es fast alles gibt auf der Welt vor allem in puncto Blödheit.

  11.  Beton

    Viele Menschen wollen eine ebene und glatte Fläche sein,

    doch immer wieder sind sie reingetappt

    in das frisch gegossene Vorsatzfundament.

    Die Fehlerfußspuren und Schwächenabdrücke

    aber wurden stets wieder überbetoniert.

    Ganz unten, unter vielen Schichten von Beton,

    da liegt dann der Mensch

    und kommt nicht mehr zum Vorschein.

    Betonier Dich nicht weiter zu!

    Arbeite an Deinen Fehlern!

    Steh zu Deinen Schwächen!

    (Kristiane Allert-Wybranietz)

     

  12.  ja, und? Es gibt auch Schaubilder, die verschiedene Schädelformen bestimmten "Rassen" zuordnen – das beweist höchstens, dass auch vermeintliche Wissenschaft sich manchmal von kranken Ideologien instrumentalisieren lässt.

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